Gerichtsurteil widerlegt Vorwürfe über Volksbegriff: Wie das Buch des Professors Wagener den Verfassungsschutz blamiert

vor etwa 4 Stunden

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Ein Gerichtsurteil, in dem es um die behauptete Verfassungsfeindlichkeit eines Buches über den Volksbegriff ging, ist eine veritable Ohrfeige für das Bundesamt für Verfassungsschutz. Und es könnte noch eine Rolle im angestrebten Verbotsverfahren gegen die AfD spielen.

Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels hat den kleinen Lau-Verlag in Reinbek bei Hamburg auf Rückzahlung von 7500 Euro Fördergeld verklagt – wegen angeblich verfassungsfeindlicher Inhalte in einem Buch – und verloren. Das Landgericht Frankfurt stellte fest: Das Werk des Politologen Martin Wagener, „Kulturkampf um das Volk: Der Verfassungsschutz und die nationale Identität der Deutschen“ (2021), ist nicht verfassungsfeindlich.

Wagener, der als Professor für Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Internationale Politik und Sicherheitspolitik an der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung im Fachbereich Nachrichtendienste tätig ist, ist nicht verfassungsfeindlich.

Um die lächerliche Summe geht es nicht – vielmehr um die politische Brisanz, die der Angelegenheit innewohnt. Weil Wagener als Professor des Bundes gegen die Linie der Regierung argumentierte, wurde der Versuch unternommen, ihn in die rechtsextremistische Ecke zu rücken. Der Deutschlandfunk machte 2023 die damalige Kulturstaatsministerin Claudia Roth auf das Buch aufmerksam, die wiederum setzte den Verfassungsschutz auf das Werk an, um es auf Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung überprüfen zu lassen.

Die damalige Kulturstaatsministerin Claudia Roth brachte den Stein ins Rollen.

In seinem Buch, das den Kampf um die Deutungshoheit dessen, was das deutsche Volk ausmacht, in der Tiefe beschreibt, hatte Wagener auch die Rolle des Verfassungsschutzes beleuchtet, der als nachgeordnete Behörde des Bundesinnenministeriums von der Regierung instrumentalisiert wird, und sich insbesondere mit dessen damaligem Präsidenten Thomas Haldenwang beschäftigt, der von Bundeskanzlerin Angela Merkel inthronisiert worden war.

Der Autor identifizierte eine „intelligence to please“, also das Produzieren von Erkenntnissen, welche die gerade aktuelle politische Agenda der Verantwortlichen flankieren. Solche „Gefälligkeitsgutachten“ arbeiteten etwa der Regierung bei ihrer Strategie zu, rechtsextremistische Bestrebungen als Hauptbedrohung darzustellen und linksextremistische und islamistische herunterzuspielen.

Wageners kritisches Buch, das zu Unrecht als verfassungsfeindlich verleumdet wurde

Das gefiel der Behörde gar nicht, sie ließ Wagener durch den Bundesnachrichtendienst (BND) unterstellen, er vertrete in seinem Buch einen ethnischen Begriff des Staatsvolks, also die Idee, Deutschsein habe auch etwas mit Abstammung zu tun – in anderen Ländern eine Selbstverständlichkeit. Und früher auch in Deutschland, bis im Jahr 2000 die rot-grüne Bundesregierung das Abstammungsrecht (ius sanguinis) durch das Geburtsortprinzip (ius soli) ersetzte.

Im Gutachten des Verfassungsschutzes hieß es, es lägen „tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung bei Herrn Wagener vor“. Die Begründung: „Diese resultieren aus einem ethnisch-abstammungsmäßigen Volksbegriff, der im Widerspruch zu Art. 1 Abs. 1 GG steht.“ Wie der Lau-Verlag allerdings betont, vertritt Wagener einen kulturellen Volksbegriff, erkennt aber die Souveränität des Staatsvolks im Sinne des Art. 20 GG an. Auch das Grundgesetz erwähnt diesen kulturellen Volksbegriff.

Auch die Behauptung, Wageners Ausführungen wiesen Parallelen mit dem von der Neuen Rechten verbreiteten Narrativ des „Großen Austausches“ auf, wonach die europäischen Völker in ihrer ethnischen und kulturellen Zusammensetzung aufgelöst und durch außereuropäische Einwanderer ersetzt werden, ist falsch. Von dieser Theorie distanziert sich der Autor, er lehnt Einwanderung nicht grundsätzlich ab und erkennt das Asylrecht an.

Wagener unterscheidet zwischen einem deutschen Volk und einem deutschen Staatsvolk, wobei „zum ersten [...] die Deutschen qua Geschichte und Abstammung gehören, zum zweiten über die erlangte Staatsbürgerschaft. Ersteres hat etwas mit Identität zu tun, letzteres etwas mit Recht.“

Merkel hatte indes 2017 gesagt: „Und deshalb gibt es auch keinerlei Rechtfertigung, dass sich kleine Gruppen aus unserer Gesellschaft anmaßen, zu definieren wer das Volk ist. Das Volk ist jeder, der in diesem Lande lebt“ – obwohl das Grundgesetz eine Gleichsetzung von Volk mit Einwohnern definitiv ausschließt. Das deutsche Volk umfasst im Sinne des Grundgesetzes nur deutsche Staatsangehörige.

Die Politik versucht die Definition umzudeuten, daher lautet Wageners zentrale These: Deutschland werde gerade aus einer organisch gewachsenen Kulturnation in eine „multikulturelle Willensnation“ und „Zwangsnation“ umgestaltet. Nationale Kompetenzen werden an supranationale Institutionen abgetreten. Unter den Labels „Vielfalt“ und „Willkommenskultur“ soll der Bevölkerung eine Politik der Transformation des Landes in einen multikulturellen Vielvölkerstaat übergestülpt werden.

Weil das alles Thomas Haldenwang nicht passte, behauptete er, Passagen des Buches würden „gegen die Menschenwürde“ verstoßen. Auf Druck des Verfassungsschutzes hob der BND Wageners Sicherheitseinstufung auf. Seither darf er nicht mehr im Gebäude des BND in Berlin seine Studenten unterrichten und nicht einmal das Gelände seiner Hochschule betreten. Seit fast vier Jahren läuft ein Disziplinarverfahren gegen den Dozenten, das immer noch nicht abgeschlossen ist.

Prof. Martin Wagener wurde übel mitgespielt.

Der Börsenverein indes verlangte, nachdem das im Auftrag entstandene Verfassungsschutzpapier vorlag, den Druckkostenzuschuss aus dem Roth-Topf (Programm „Neustart Kultur“, angestoßen noch von Roths Vorgängerin Monika Grütters) vom Lau-Verlag zurück. Weil das Buch verfassungswidrig sei, sei es nicht förderungswürdig gewesen. Der Rechtsprofessor Alexander Thiele sollte ein eigenes Gutachten erstellen, fand aber nichts Verfassungswidriges und insinuierte einen angeblichen „Graubereich“, um einen Verdachtsfall zu rechtfertigen. Schmankerl am Rande: Thiele gehörte auch zu den Juristen, die sich für die inzwischen gescheiterte SPD-Kandidatin für das Bundesverfassungsgericht Frauke Brosius-Gersdorf in die Bresche warfen.

Jetzt hat das Frankfurter Landgericht den Vorwurf der Verfassungsfeindlichkeit als unbegründet abgelehnt. Offenbar hat das Gericht „Kulturkampf um das Volk“ gründlich gelesen, im 34-seitigen Urteil wird großzügig daraus zitiert. Für die Bejahung der Verfassungsfeindlichkeit einer Äußerung sei auch erforderlich, „dass ein konkreter, über den reinen Diskurs hinausgehender Handlungsbedarf bei der Leserschaft geweckt wird. Dies kann im vorliegenden Fall, auch wenn ohne Zweifel die Lektüre großer Teile des Werkes inhaltlich schwer zu ertragen ist, im Ergebnis nicht bejaht werden.“

Eine Verletzung der Menschenwürde sei nicht festzustellen. Diese sei erst „dann gegeben, wenn eine konkrete Person oder eine Personengruppe zum Objekt degradiert oder als Objekt instrumentalisiert wird. Eine Verletzung ist nicht bereits dann gegeben, wenn eine Veröffentlichung Geschmacklosigkeiten, einzelne polemische Ausfälle und sprachliche Entgleisungen aufweist, bei denen es der handelnden Person in erster Linie um die Kränkung der angegriffenen Person geht.“

Angela Merkel 2017: „Das Volk ist jeder, der in diesem lande lebt.“

Dem Richter kann man beim besten Willen keine rechte Gesinnung unterstellen, im Gegenteil, er gendert sogar („Migrant*innen“), wirft dem Autor „sprachliche oder inhaltliche Entgleisungen“ vor und führt aus, das Buch sei „aus Sicht des angerufenen Gerichts zwar als durchaus reaktionär und in großen Teilen auch rechtsnational sowie verfassungskritisch, aber noch nicht als verfassungsfeindlich einzuordnen.“

Dennoch ist das Urteil eine schallende Ohrfeige für den Verfassungsschutz, dem hier entschieden widersprochen wird. „Zum verfassungsrechtlichen Problem würden entsprechende Ansichten erst dann, wenn und soweit mit ihnen zugleich eine latent abwertende Auffassung über den zugewanderten Personenkreis an sich und damit zugleich eine Verweigerung vollständiger Integration derselben in das deutsche Staatsvolk einhergehe. Das Beklagen eines vermeintlichen kulturellen Verfalls, der auch auf der Zuwanderung beruhe, werde man noch nicht als generell verfassungsfeindlich ansehen können.“

Wer eine gewachsene historisch-kulturelle deutsche Identität behauptet, ist noch lange kein Verfassungsfeind, auch wenn versucht wird, Menschen mit dieser völlig legitimen Ansicht als Staatsfeinde zu diskreditieren. Der frühere Chef des Verfassungsschutzes, Hans-Georg Maaßen, war nicht dazu bereit, die politische Positionierung der Bundesregierung im „Kampf gegen rechts“ durchzusetzen und dabei auch mal „Hetzjagden“, die es nicht gab, wider besseres Wissen zu behaupten. Sein Nachfolger Thomas Haldenwang (Spitzname „Haltungszwang“) hingegen blieb stets „auf Linie“.

Merkels Mann beim Verfassungsschutz: Thomas Haldenwang war williger Vollstrecker der Politik.

Das Urteil (noch nicht rechtskräftig, ob der Kläger in die Revision geht, steht noch nicht fest) ist jedoch nicht nur ein Etappensieg für die Meinungsfreiheit, sondern hat auch eine gewisse bundespolitische Bedeutung. Weil der Verfassungsschutz keine Anhaltspunkte dafür hat, dass die AfD darauf abzielt, die freiheitliche demokratische Grundordnung – also die Demokratie, den Rechtsstaat oder die Menschenwürdegarantie – zu beseitigen oder dauerhaft zu beschädigen, tabuisiert er den ethnisch-kulturellen Volksbegriff, den die Partei propagiere. Denn sie ist der Ansicht, dass aus einem afghanischen, syrischen oder irakischen „Zuwanderer“ kein Deutscher wird, nur weil er einen deutschen Pass bekommt.

Der ethnisch-kulturelle Volksbegriff, so der Verfassungsschutz, sei mit dem Grundgesetz unvereinbar, seine Verwendung verfassungsfeindlich, weil dadurch deutsche Staatsangehörige mit Migrationshintergrund aus dem deutschen Staatsvolk ausgegrenzt würden. Derzeit stuft er die AfD mit diesem Argument als „gesichert rechtsextrem“ ein. In einem möglichen Parteiverbotsverfahren, das von SPD und Grünen immer wieder gefordert wird, würde es vor allem um diesen Punkt gehen.

Und da ist noch ein weiterer heikler Punkt: Das Kulturstaatsministerium, das die Fördergelder des Programms „Neustart Kultur“ über den Börsenverein des Deutschen Buchhandels verteilen ließ, hätte nach dem Wechsel (Wolfram Weimer folgte Claudia Roth im Amt nach) auf die Rückforderung der 7.500 Euro für den Lau-Verlag verzichten können. Hat es aber nicht. Und das, obwohl Weimer selbst einen Volksbegriff vertritt, der deutlich härter ist.

In seinem Buch „Das konservative Manifest“ schrieb der Konservative Weimer 2018 unter anderem: „Während Generation um Generation in einer Jahrtausende währenden Selbstverständlichkeit die Fortdauer der eigenen Familie, des eigenen Blutes, der Sippe, des Stammes, der Nation, der Kultur, der Zivilisation als einen heiligen Moment des Lebens begriffen hat, so bricht dieses Bewusstsein plötzlich in Scherben.“

Auch von „Boden“, „Herkunfts- und Heimatbürger“, einer „geschlossenen kulturellen Abstammungsgemeinschaft“ und „biologischer Selbstaufgabe“ ist in Weimers Buch die Rede, womit der heutige Kulturstaatsminister glatt ins Visier des Verfassungsschutzes geraten könnte. Schon daran wird die Absurdität des Falles Wagener deutlich.

Für die Debatte um den Volksbegriff ist das Urteil des Frankfurter Landgerichts ein belebendes Element. Um noch einmal Angela Merkel von 2017 zu zitieren: „Wer das Volk ist, das bestimmt bei uns noch immer das ganze Volk, das bestimmen wir alle. Und nicht ein paar wenige, und mögen sie auch noch so laut sein.“ Die paar wenigen, und mögen sie auch noch so laut sein, sind allerdings jene, die den Volksbegriff mit aller Macht noch auf den fremdesten Einwanderer ausweiten wollen und all jene delegitimieren, die das nicht so sehen.

Auch bei NIUS: Ethnischer Volksbegriff und IQ-Unterschiede: Die Gerichtsprozesse von Solingen und Göttingen brechen Tabus der Migrationsdebatte auf

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