
Das neueste Selbstentlastungsmanöver der Grünen ist an Dreistigkeit nicht zu überbieten, zumal es eine wenig inspirierte Wiederholung der Klamotte, die sie mithilfe der Süddeutschen genau vor einem Jahr schon einmal aufführten, darstellt. Es funktioniert auch nur aus dem einfachen Grund, weil die grüne Medienlandschaft wieder einmal artig ihre Rolle spielt.
Das immergleiche Verschwörungsmuster wird deutlich, wenn man die aktuelle Inszenierung von Grünen und Süddeutscher Zeitung mit der vor einem Jahr, Ende Mai 2024, vergleicht. Am 16. Mai 2025 tat sich die Süddeutsche mit einem Artikel hervor, dem sie den nichtssagenden Titel gab: „Macht euch keine Sorgen“. Um dann umso verschwörungstheoretischer zu hubern: „Brisante Akten aus dem Bundeskanzleramt zeigen, wie vehement sich Angela Merkel dafür engagierte, das Gasgeschäft mit Russland trotz aller politischen Bedenken zu erweitern und die Pipeline Nord Stream 2 durchzusetzen.“
Nichts an den Akten ist brisant, nichts ist wirklich neu daran.
Die Vorgänge sind aus den Unterlagen zu Nord Stream 2 aus dem BMWK bekannt. Dass die Regierung Merkel/Scholz mit allen Mitteln den Bau von Nord Stream 2 vorantrieb, weiß inzwischen jeder. Man konnte die Uhr danach stellen, wie lange es dauern würde, dass die Grünen die übersensationelle (Ironie aus) Enthüllung der Süddeutschen zum Anlass nehmen würde, um einen Untersuchungsausschuss Merkel zu fordern, der Merkels Rolle bei der Durchsetzung des Projekts Nord Stream 2 klären soll.
Und richtig, jetzt fordern die Grünen den Untersuchungsausschuss Merkel, welch große Überraschung. Und es stellt sogar eine noch größere Überraschung dar, dass Felix Banaszak von den Grünen groß tut: „Erstens schlummern in den gut verschlossenen Akten einige Erkenntnisse zu politischen Entscheidungen und damit zur Verantwortung für den größten energie-, wirtschafts- und außenpolitischen Schaden in der Geschichte der Bundesrepublik.“
Damit meinte er allerdings nicht die Energiepolitik Robert Habecks, zu so viel Erkenntnis der Wirklichkeit reicht es dann doch nicht. Und auch der PCK-Schwedt-Ruinator der Grünen, der ehemalige Staatssekretär Kellner, äußert: „Angela Merkel wusste über die Risiken Bescheid und ist sie geflissentlich übergangen. Damit ist sie ihrem Amtseid, Schaden vom Land abzuwenden, nicht gerecht geworden. Bis heute haben sich entscheidende Akteure der deutschen Politik nicht aus ihrer Fixierung auf russisches Gas gelöst.“ Zu den „entscheidenden Akteuren“ gehört übrigens auch Jürgen Trittin, wie man noch sehen wird.
Wie wäre es mit einem U-Ausschuss, der Kellners und Habecks Kontakte zu Enertrag überprüft, der die Frage stellt, wie es zu der von der Politik verursachten Gefährdung von Deutschlands energiewirtschaftlicher und strategischer Infrastruktur kam? Banaszak hat ja recht, wenn er sagt: „Erstens schlummern in den gut verschlossenen Akten einige Erkenntnisse zu politischen Entscheidungen und damit zur Verantwortung für den größten energie-, wirtschafts- und außenpolitischen Schaden in der Geschichte der Bundesrepublik.“
Was die Süddeutsche hier als großen Coup verkauft, ist nicht neu. Dass sie es wichtig macht, und die Grünen, als hätten sie nur darauf gewartet, darauf anspringen, ist einfach zu erklären: Der Grund besteht im AKW-Untersuchungsausschuss, der auf der Grundlage der offengelegten AKW-Files untersuchen soll, ob die Grünen aus parteipolitischem Interesse und ideologischer Befangenheit in einem totalitären Denkmodell in einer von den grünen verursachten Energiekrise vollkommen verantwortungslos die drei letzten AKWs abstellten. Wie die AKW-Files belegen, wurde bis auf die Ebene des Ministers getarnt und getrickst.
Dass die Süddeutsche nun einen alten Hut zur Sensation machen will, ist ein noch älterer Hut. Im Juni 2024 schrieb ich: Man dürfte sich das im Habeck-Umfeld so schön vorgestellt haben: Am 31. Mai (2024) kommt die Süddeutsche mit einem reißerisch aufgemachten Artikel, der investigativ wirken soll, unter der Überschrift: „Die Akte Nord Stream 2“, das Brisanteste an der „Akte“ ist die Aufmachung durch die Süddeutsche, die vollmundig die „Chronik eines historischen Irrtums“ darstellen will.
Der Hauptanklagepunkt der Süddeutschen lautet: „In Berlin und der Welt ist Russlands imperiale Aggressivität da natürlich längst bekannt. Und doch treibt die Bundesregierung den Bau von Nord Stream 2 voran, als könne man Russlands Präsident Wladimir Putin vertrauen.“ Die CDU und Merkel seien blind gegenüber Putins Aggressivität gewesen. Das ist die Vorlage für Habecks Inszenierung auf dem Grünen-Parteitag, der im Grunde nur das Ausmaß offenbarte, mit dem die Grünen ihre Parallelwelt vor jedem Einbruch der Wirklichkeit abgedichtet haben.
Auf ebenjenem Parteitag in Potsdam gefällt sich Habeck in der Rolle von Deutschlands Retter. Unfähig, eine neue Wirtschaft zu errichten, zerstört Habeck, wie alle relevanten Zahlen belegen, Wertschöpfung in Deutschland in rasantem Tempo … Habecks Ziel dürfte vor allem darin bestanden haben, den AKW-Untersuchungsausschuss zu verhindern, die katastrophale Bilanz seiner Wirtschaftspolitik zu verschleiern und die Schuld an dem von ihm und seinen Leuten maßgeblich verursachten Desaster den Vorgängern, der CDU in die Schuhe zu schieben.
Natürlich trägt die CDU daran eine Mitschuld, aber nur insofern sie grüne Wirtschaftspolitik gemacht hat und Angela Merkel die beste Politikerin ist, die die Grünen je hatten.
Habeck geht sogar so weit zu behaupten: „Die Ursache der Krise war: Es kam kein Gas aus Russland mehr.“ Reicht Robert Habecks Gedächtnis nicht einmal in das Jahr 2022 zurück, als im April Annalena Baerbock in Riga tönte, dass Deutschland keine russischen Energieimporte mehr haben wollte: „Wir werden bis zum Sommer das Öl halbieren und bis Ende des Jahres bei null sein. Und dann wird Gas folgen, in einem gemeinsamen europäischen Fahrplan – denn unser gemeinsamer Ausstieg, der vollständige Ausstieg mit der Europäischen Union, ist unsere gemeinsame Stärke.“
Die gemeinsame Stärke Europas sieht allerdings so aus, dass Polen noch bis ins Frühjahr 2023 russisches Erdöl durch die Druschba bezog, was Deutschland zum immensen eigenen Schaden ab 1. Januar 2023 ablehnte … Nicht Putin hat die Energielieferungen eingestellt, sondern die deutsche Außenministerin hat den Weg in die Energiekrise freigeräumt. Zu diesem Zeitpunkt, als Baerbock die Backen aufblies, wussten weder Baerbock noch Habeck, noch sonst jemand in der deutschen Regierung, woher man Erdöl und Erdgas beziehen sollte.
Habecks Bückling beim Emir von Katar erwies sich beinahe unmittelbar nach seinem Besuch schon als Luftnummer. Doch Habeck stellt sich und die Grünen als Retter Deutschlands dar, die Deutschland vor der Energiefalle gerettet hätten, in die sie Putin gelockt habe und in die die Große Koalition willig und blind gelaufen sei – und genießt dabei die parteipolitische Begleitmusik der Süddeutschen, die resümiert hat: „Sieben Jahre lang haben zwei große Koalitionen diese Pipeline als rein ‚privatwirtschaftliches Projekt‘ dargestellt, während sie mit allen Mitteln dafür kämpften. Sieben Jahre lang haben sie Vorbehalte ihrer Partner abgewehrt wie lästige Fliegen.“ Doch die Darstellung der Süddeutschen enthält mehr Lücken als Fakten. Denn wer in der Darstellung der Süddeutschen fehlt, sind die Grünen.
Am 25. Dezember 2018 schrieb der Spiegel als Einleitung zu seinem Interview mit Jürgen Trittin: „Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hält zwar noch an dem Bau fest, doch der außenpolitische Sprecher der Union geht schon öffentlich auf Distanz und bringt die Möglichkeit von Sanktionen gegen Russlands Gasindustrie ins Gespräch.“
Auf die Frage des Spiegel: „Würde ein Energieboykott durch Europa Russlands herrschendes Regime nicht stark treffen?“, antwortete Trittin: „Die Idee, der Russe würde aus Jux und Dollerei eben mal den Gashahn zudrehen, ist deshalb absurd: Der Kreml würde sich vorsätzlich selbst schädigen. Das hat nicht einmal die Sowjetunion im Kalten Krieg getan.“ Noch im Oktober 2020 verteidigt Trittin Nord Stream 2 gegen die Androhung von Sanktionen aus den USA.
Im April 2020 hatte Jürgen Trittin als Fraktionschef der Grünen im Bundestag den Baubeginn von Nord Stream 2 ausdrücklich als „ein Stück mehr Versorgungssicherheit“ gelobt. Im Januar 2021 schrieb Trittin in der „Internationalen Politik“: „Ja, Europa ist abhängig – es hängt an der Nadel der fossilen Energien. Die fossile Abhängigkeit gefährdet die europäischen Klimaschutzziele. Und sie gefährdet Europas Souveränität. Falsch ist, dass Deutschland deswegen von Russland abhängig ist. Das ist Blödsinn. Über Jahrzehnte lieferte Russland, lieferte die Sowjetunion selbst über den eigenen Zusammenbruch hinaus verlässlich Gas.“ Und: „Für Europas Souveränität ist nicht Russland das Problem.“ 13 Monate später überfielen Putins Truppen die Ukraine.
Es mag sein, dass man in der Süddeutschen andere Medien nicht zur Kenntnis nimmt, muss man auch nicht, Michael Bauchmüller, einer der Autoren des Artikels „Die Akte Nord Stream 2“ hätte nur im eigenen Blatt oder im eigenen Computer nachschauen müssen, denn am 14. März 2018 hatte er ein Interview mit Jürgen Trittin geführt, dessen Unterzeile lautet: „Als grüner Umweltminister hat Jürgen Trittin gegen die erste Ostseepipeline gekämpft. Die zweite Leitung sieht er anders.“
Die Süddeutsche wirft der CDU und Merkel vor, dass sie „diese Pipeline als rein „privatwirtschaftliches Projekt“ dargestellt hätten, „während sie mit allen Mitteln“ als Staat „dafür kämpften“. Doch im Interview mit Bauchmüller 2018 bestätigte Trittin die Sicht der Bundesregierung: „Der Gasmarkt ist liquide, und keiner kann erpresst werden. Die Kommission versucht nun, das privat finanzierte Nord Stream 2 auszubremsen, zum Teil mit Mitteln jenseits des Völkerrechts.“ … „Der weitaus größerer Skandal, den man zu vertuschen sucht, besteht darin, dass Nord Stream 2 letztlich nur eine Erweiterung von Nord Stream 1 ist – und Nord Stream 1 wurde von der rotgrünen Koalition Schröder-Fischer vorangetrieben.
Der wahre Grund für die gestiegene Erdgas-Abhängigkeit besteht in dem Kardinalfehler deutscher Energiepolitik, von Schröder, Fischer und Trittin ins Werk gesetzt und von Merkel, Steinmeier und Scholz übernommen und vorangetrieben, der unter den Namen Energiewende firmiert. Es stellt gewiss keinen Zufall dar, dass das BMWK die Nord-Stream-2-Akten sehr freigiebig an die Süddeutsche, an das Handelsblatt und dadurch auch notgedrungen an uns herausgegeben hat, aber es an dieser Großzügigkeit missen lässt, wenn es um die Nord Stream 1 Akten geht.“
Das alles wurde vor einem Jahr geschrieben. Richtig, es geht um Aufklärung, aber um eine Aufklärung, die den Namen wirklich verdient – und nicht um ein billiges parteipolitisches Manöver, in dem die Süddeutsche den Grünen die Hand- und Spanndienste liefert.
Was die Süddeutsche als Hilfestellung für die Grünen liefert, ist die Neuauflage ihres Manövers vom Mai 2024.
Die hübsche Pointe allerdings lautet, dass die Politikerin, die den Grünen am meisten geholfen hatte, nun von ihnen gnadenlos und undankbar zur Reinwaschung Robert Habecks und der Grünen an den Pranger gestellt wird. Mitleid mit Angela Merkel muss man nicht empfinden, aber ein Lehrstück darüber ist allemal, wie es einem ergehen kann, wenn man sich zu tief mit den Grünen einlässt.