Merkels Flüchtlinge sind in Arbeit: So positiv wie Medien es zeichnen, ist das Bild nicht

vor etwa 4 Stunden

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„Die meisten Geflüchteten von 2015 haben einen Job“, titelte die Tagesschau. „Sie haben es geschafft“, schreibt der Spiegel und meint damit die Flüchtlinge von 2015 in Arbeit.

Zahlreiche Medien taten es ihnen gleich, und alle bezogen sich auf einen Kurzbericht des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Pünktlich in eben der Woche, in der sich der berühmte Satz von Angela Merkel „Wir schaffen das“ zum zehnten Mal jährt, werden die positiven Daten über Asylbewerber in Arbeit publik. Die Frage „Haben wir es geschafft?“ ist Teil des Titels der Analyse. Es wird also kein Hehl daraus gemacht, dass die Auswertung zeitlich bewusst veröffentlicht worden ist und es sich um die Flüchtlinge handelt, die infolge von Angela Merkels „Wir schaffen das“ nach Deutschland gekommen sind.

NIUS hat sich die Analyse genauer angeschaut, und dabei fällt auf: Ganz so positiv, wie das Bild medial gezeichnet wird, ist es nicht. Die Abhängigkeit von Sozialleistungen ist trotz inzwischen guter Beschäftigungsquote weiterhin sehr hoch. Und die Zahlen zeigen auch: Erst nach vielen Jahren Aufenthalt in Deutschland fassen Asylbewerber beruflich einigermaßen Fuß.

64 Prozent der Zugewanderten, die 2015 nach Deutschland gekommen sind, haben einen Job.

Die Analyse bezieht sich auf Menschen, die 2015 als „Schutzsuchende“ nach Deutschland gekommen sind und demnach inzwischen neun Jahre in Deutschland leben. Die Botschaft der Autoren: „Insgesamt haben sich damit die Beschäftigungs- und Erwerbstätigenquoten der 2015 zugezogenen Schutzsuchenden stark an das Niveau der Gesamtbevölkerung angenähert.“

In Zahlen: 64 Prozent der Menschen, die 2015 nach Deutschland gekommen und im Alter zwischen 18 und 64 Jahren – also erwerbsfähig – sind, gehen einer „abhängigen Beschäftigung“ nach. Das sind beinahe so viele wie im Bundesdurchschnitt, der bei 70 Prozent liegt, führen die Autoren aus – also nur etwa rund zehn Prozent darunter. Ergänzt man die hier benutzte Erwerbstätigenquote um Selbstständige, Beamte und Soldaten, vergrößert sich die Lücke noch etwas. Eine besonders große Lücke liegt zwischen männlichen und weiblichen Zuwanderern: 76 Prozent der Männer, aber nur 35 Prozent der Frauen, die 2015 nach Deutschland kamen, haben Arbeit. Dort sehen die Studienautoren ein großes Arbeitsmarkt-Potenzial und machen dafür unter anderem den „unzureichenden Zugang zu Kinderbetreuung“ verantwortlich.

Die Quote der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten liegt in einem ähnlichen Korridor: 90 Prozent bei den Schutzsuchenden von 2015, 92 Prozent im bundesdeutschen Durchschnitt. Heißt: 57,7 Prozent der Zugewanderten gehen einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nach. Wie hoch unter ihnen die Teilzeitquote ist, ist der Auswertung nicht zu entnehmen.

Bemerkenswert ist jedoch: Nach drei Jahren in Deutschland lag die Beschäftigungsquote bei gerade einmal 30 Prozent, nach fünf Jahren bei 40 Prozent, wie die Daten der Studienautoren zeigen. Es dauert also sehr lange, bis Zugewanderte sich dem Beschäftigungsniveau in Deutschland angleichen können.

Dass das „sie haben es geschafft“-Frohlocken etwa des Spiegels an der realen Aussage der IAB-Analyse vorbeiführt, zeigt jedoch der Blick auf die Quote derer, die 2015 nach Deutschland eingewandert sind und bis heute auf Sozialhilfe angewiesen sind: Während diese Quote im bundesdeutschen Durchschnitt bei 8,2 Prozent und unter Deutschen bei 5,2 Prozent liegt, ist sie auch unter den 2015 Zugewanderten beinahe um den Faktor 7 höher (34 Prozent).

Verhältnismäßig viele Zugewanderte sind auch nach neun Jahren in Deutschland abhängig von Sozialhilfen – mehr als vier Mal so viele wie im deutschen Durchschnitt.

Auch hier fällt erneut auf: Es dauert sehr lange, bis die Abhängigkeit vom Sozialstaat nach und nach sinkt. Drei Jahre nach der Einreise nach Deutschland liegt die Quote noch bei 60, fünf Jahre nach der Einreise noch bei 50 Prozent. Und auch neun Jahre nach der Einreise ist die Abhängigkeit vom Sozialstaat in der Gruppe der Zugewanderten deutlich höher als beim Rest der Republik.

Dieser massive Unterschied gibt einen Hinweis darauf, dass die Beschäftigungsqualität – also der Grad an Facharbeit und gut bezahlten Tätigkeiten – noch weit vom Durchschnitt entfernt liegt. 2015 Zugewanderte arbeiten laut IAB zumeist in Logistik-, Handels- und Fertigungsberufen. Der Durchschnittslohn bei Vollzeitbeschäftigten liegt mit 2.675 Euro brutto beinahe ein Drittel unter dem deutschen Durchschnittslohn und nur knapp über der Niedriglohnschwelle. Hoffnungsschimmer hier: Viele der Zugewanderten sind vergleichsweise jung und haben noch ein langes Arbeitsleben mit möglichen Lohnsteigerungen vor sich.

Jeder sechste der 2015 zugezogenen beschäftigten Flüchtlinge erhält ergänzende Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II; sie sind „Aufstocker“, wie es im Volksmund heißt. Im bundesdeutschen Durchschnitt ist das nur etwa jeder fünfzigste.

Bedeutet zusammengefasst: Neun Jahre nach der Einwanderung nach Deutschland nähert sich die Gruppe der Zuwanderer so langsam der bundesdeutschen Quote an, was den Umstand angeht, überhaupt einer Beschäftigung nachzugehen – eine Selbstverständlichkeit, die Erwartungshaltung im aufnehmenden Land sein sollte.

Alles darüber hinaus ist jedoch kein Grund zur Freude: Die Gruppe der Zuwanderer kann mit ihren Fähigkeiten und Fertigkeiten auch nach neun Jahren in Deutschland auf dem deutschen Arbeitsmarkt nicht gänzlich Fuß fassen. Es sind zumeist einfachere und weniger gut bezahlte Berufe, die sie ausüben können, was jedoch dazu führt, dass die Sozialstaatsquote trotz Beschäftigung weiterhin hoch ist.

Mehr NIUS: Beamtengehälter, Dienstreisen, Pachten: Wie die Bundesregierung die Verteidigungs-Schulden verprasst

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