Krise? Welche Krise? – Merz auf Wohlfühlkurs durchs Elend

vor etwa 11 Stunden

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Bildquelle: Tichys Einblick

Friedrich Merz tourt durch Deutschland. Zwischen Zugspitze, Mittelstand und VW-Werk verteilt der Kanzler Streicheleinheiten für die Industrie, diskutiert mit Forschern über Zukunftstechnologien und fordert mit der ihm eigenen Verve einen Klassiker des politischen Kabaretts: Den Bürokratieabbau.

Auf seiner Reise meidet Merz auffällig konsequent jene Orte, an denen sich die Folgen von Massenzuwanderung, Deindustrialisierung und Staatsversagen ins Straßenbild eingebrannt haben. Kein Besuch in Duisburg-Marxloh oder Berlin-Neukölln, keine Worte zu den implodierenden Sozialsystemen oder dem längst überschrittenen Kipppunkt des deutschen Wohlstandsmodells.

Stattdessen: Bilderbuchkulissen und leere Zukunfts-Rhetorik, garniert mit betont staatsmännischem Ton vor den Kameras. Das weckt Erinnerungen.

Doch könnte der Kontrast kaum schärfer sein: Während sich Merz auf seiner Rundreise mit zahlreichen PR-Auftritten in der Wirtschaft in Szene setzt, beschleunigt sich der wirtschaftliche Kollaps des Landes ungebremst. Nach den Horrormeldungen aus Kernsektoren wie dem Maschinenbau oder der Bauwirtschaft wird nun auch die wirtschaftliche Schwäche der privaten Haushalte zum veritablen Problem.

Um einen groben Eindruck von der tatsächlichen Stimmungslage in der deutschen Bevölkerung zu erhalten, können wir auf zwei signifikante Datenpunkte zurückgreifen. Da wäre zum einen der Einbruch des Geschäfts im Hotellerie- und Gastgewerbe. Die jüngsten Zahlen aus dem Mai zeigen einen realen Umsatzrückgang im Vergleich zum Vorjahr von vier Prozent. Diese Werte deuten auf eine schwere, vom Konsumenten getragene, Rezession hin.

Nach den Inflationsjahren im Zuge der Lockdowns konnte sich der deutsche Verbraucher von diesem Schock nicht mehr erholen. Diese These untermauert auch der aktuelle GfK-Konsumklimaindex. Dieser erfasst etwas abstrakter die Situation der deutschen Verbraucher und ist im laufenden Monat auf minus 21,5, von zuvor minus 20,3 Punkten, tiefer ins rezessive Terrain gefallen.

Wäre es nicht so traurig, müsste man darüber lachen. Buchstäblich im Moment, in dem der Kanzler gemeinsam mit der Konzernrunde das fingierte Investitionspaket als Aufbruchssignal feiert, melden zahlreiche Unternehmen aus der zweiten Reihe, aber auch der Garde der deutschen Ökonomie, massive Stellenstreichungen.

Bosch plant weltweit einen Abbau von 7.000 Jobs, davon 3.800 in Deutschland – betroffen sind die Bereiche der Autozulieferung, Werkzeuge und Entwicklung. Bei ZF Friedrichshafen sollen bis zu 14.000 Jobs wegfallen, 1.800 davon bereits bis Ende 2026 allein in Saarbrücken. Werksschließungen? Nicht ausgeschlossen.

Schaeffler baut rund 4.700 Stellen ab, davon 2.800 in Deutschland. Der Grund – wie könnte es anders sein: Schwache Industrienachfrage. Auch bei Volkswagen ziehen sich die dunklen Wolken weiter zusammen: Die Softwaretochter Cariad streicht 1.000 Jobs, während im Konzern selbst Gerüchte über einen weit größeren Aderlass kursieren.

Ganz offensichtlich hat man in den Chefetagen dieser Unternehmen das Memo aus Berlin nicht erhalten, dass Deutschland den Wendepunkt erreicht hat und die Regierung in den Wachstumsmodus gewechselt ist.

Merz hätte seine Gute-Laune-Reise durch die Republik wenigstens ein- oder zweimal, am besten unter Ausschluss der Medien, in mittelgroßen deutschen Städten unterbrechen sollen. Dort hätte er im Bürgerdialog für Politiker durchaus wertvolle Einblicke in die wahre Lage der Nation gewinnen können. Der Sektempfang mit den 60 Konzernchefs, die ganz im korporatistischen Geist dem Kanzler ein wenig Luft unter die lahmen Flügel hauchen wollten, ist beim besten Willen kein Indikator für die tatsächliche Entwicklung der deutschen Ökonomie.

Die ausgesuchten Konzerne zählen lediglich zu den Profiteuren des gigantischen Schuldenpakets, das Berlin geschnürt hat, um die Kunstökonomie des Klimageschäfts sowie die Rüstungsindustrie am Laufen zu halten.

Merz´ Reise soll gute Laune suggerieren, vorzeigbare Fotos und Videosequenzen aus einem aufstrebenden, optimistischen Land verbreiten. Irgendwie muss den Kanzler dann aber doch wie aus heiterem Himmel der Blitz der Realität getroffen haben. Wie sonst wäre sein Vorschlag zustande gekommen, eine Senkung der Luftverkehrssteuer in Aussicht zu stellen? Ein Häppchen fürs Volk: Reisen soll wieder günstiger werden.

Tourismuskoordinator Christoph Ploß wurde die „Ehre“ zuteil, diese steuerpolitische Farce bei Bild zu verkünden. Die Regierung könnte so, Zitat, den „wohlverdienten Mallorca-Urlaub“ um bis zu 12,77 Euro verbilligen. Selbstverständlich greift Vater Staat dem Bürger zeitgleich an anderer Stelle nochmal tiefer in die leeren Taschen.

Wirklich ärgerlich ist dabei der unverhohlen elitistische Grundton, der die politmediale Berliner Scheinwelt durchdringt. Dechiffriert klingt Ploß in etwa so: Gönnen wir dem Bürger doch seinen Vulgärtrip nach Mallorca. Dann herrscht in der Heimat wieder die nötige Grabesstille.

Mit der Scheindebatte um die Luftverkehrssteuer treffen wir punktgenau auf den Kern des Elitenproblems, das im Wesentlichen Ausdruck der erodierten Meritokratie im Land und eines dysfunktionalen Selektionsmechanismus ist.

Der Cursus honorum, der die Besten der Besten an die Spitze einer Verantwortungs-Hierarchie hieven sollte, wurde ersetzt durch ein Parteiensystem, das einen hermetisch abgeschlossenen Brutkasten für passgenaue Funktionärscharaktere betreibt. Dieses Phänomen findet sich auf allen Ebenen jenseits der Kommunalpolitik. Sie funktioniert im Wesentlichen durch das Ehrenamt – hier gibt es für Karrieristen nichts zu holen!

Merz agiert in seiner politmedialen Strategie längst elitistisch-abgehoben. Dem ehemaligen Präsidenten der EU-Kommission, Jean-Claude Juncker, gelang einst die treffendste Beschreibung dieses Elitenproblems. Weinselig-jovial verkündete Juncker: „Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, ob was passiert. Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter – Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt.“ Dieses Zitat stammt aus einem Artikel im SPIEGEL vom 27. Dezember 1999.

Geschieht dann einmal tatsächlich etwas, wie ein nicht einkalkulierter Stimmungsabfall in der Bevölkerung, tritt man einen Trippelschritt zurück, simuliert Grenzkontrollen und einen einzelnen Abschiebungsflug oder man senkt eine unbedeutende Steuer, um nach kurzer Zeit zur Tagesordnung zurückzukehren.

Junckers Euro-Bonmot wie auch Merz´ Regierungsstil beschreiben in ihrer ganzen abgehobenen Arroganz der Macht das tatsächliche Verhältnis der politischen Elite zu dem Teil der Gesellschaft, den man früher als den „Souverän“ bezeichnet hätte. In diesem Kontext gelesen, erscheint die lächerliche Steuersenkung, die Friedrich Merz ins Spiel gebracht hat, als das, was sie ist: Ein paternalistisches Vehikel zur Stimmungslenkung.

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