
Friedrich Merz ist seit hundert Tagen Bundeskanzler. In einem Beitrag zu seiner Videobotschaft schrieb er: „100 Tage Politikwechsel für unser Land in bewegten Zeiten: Deutschland ist wieder verlässlicher Partner in Europa und weltweit. Wir haben die Wirtschaftswende eingeleitet und die Migrationspolitik der vergangenen Jahre korrigiert. Der Anfang ist gemacht.“
In der Ansprache sagte Merz: „100 Tage sind wir an der Arbeit, um die Lebensbedingungen für die Menschen in Deutschland zu verbessern“. Man habe „einiges auf den Weg gebracht.“ In Deutschland werde „wieder investiert“, die Stimmung in der Wirtschaft werde „langsam besser“.
Deutschland müsse „Schritt halten, auch mit Forschung, Entwicklung, mit wirklich gut bezahlten, hochqualifizierten Arbeitsplätzen“. Es gehe auch darum, „in Brücken, Straßen, Infrastruktur in Deutschland besser“ zu investieren und Versäumtes „der letzten Jahrzehnte“ nachzuholen. Zur Verteidigungspolitik sagte Merz: „Wir investieren in die Bundeswehr so viel wie nie zuvor. Wir haben im Kabinett die wichtigsten Entscheidungen schon getroffen, manche davon sogar schon durch den Bundestag und durch den Bundesrat gebracht.“
In der CDU mehren sich dennoch Zweifel an seinem Kurs, in der Koalition wächst das Misstrauen. Entscheidende Faktoren sind sein abrupter Wechsel in der Schuldenpolitik, der Koalitionsvertrag und ein Führungsstil, der selbst enge Parteifreunde gegen ihn aufbringt. Merz hatte das milliardenschwere Sondervermögen unmittelbar nach der Wahl mit der SPD verabredet – zu einem Zeitpunkt, als er öffentlich noch Haushaltsdisziplin forderte. In der Fraktion nennt ein Abgeordneter die Vereinbarung „lausig verhandelt“. Ein CDU-Präsidiumsmitglied sagt: „Die Vereinbarung mit der SPD trägt nicht die Handschrift der CDU.“
Das Paket umfasst 100 Milliarden Euro für Klimaschutz und die Festschreibung der Klimaneutralität bis 2045 im Grundgesetz. Mehrere Unionsabgeordnete sehen darin eine Vorleistung für Koalitionsgespräche mit SPD und Grünen, ohne dass zentrale Positionen der CDU gesichert wurden.Im Koalitionsvertrag finden sich zudem Punkte, die im Wahlkampf von der Union kritisiert worden waren: eine erweiterte Rassismus-Definition, die Fortführung des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ sowie die Stärkung zivilgesellschaftlicher Akteure. Auch „geschlechtliche Vielfalt“ erhielt einen eigenen Abschnitt. In der CDU wird dies als Widerspruch zur Ankündigung eines Politikwechsels bewertet.
Aus der Fraktion wird Merz’ Führungsstil kritisiert. Abgeordnete berichten, er treffe Entscheidungen ohne vorherige Abstimmung und binde die Fraktion unzureichend ein. Die Spannungen traten offen zutage, als Merz bei der Kanzlerwahl im Bundestag im ersten Wahlgang keine Mehrheit erreichte – ein einmaliger Vorgang für einen neu gewählten Regierungschef.
Der von Merz verhängte Stopp von Waffenlieferungen an Israel wurde zuvor nur mit Vizekanzler Lars Klingbeil abgestimmt – ohne Konsultation des restlichen Kabinetts oder der Partei. Die Entscheidung sorgte für einen parteiinternen Aufschrei: Mehr als ein halbes Dutzend Bundestagsabgeordneter und auch die Junge Union stellten sich offen gegen den Kanzler – eine Seltenheit innerhalb der Union.
Kritik gab es auch an seinem Vorgehen bei der Besetzung eines Richterpostens am Bundesverfassungsgericht. Die SPD hatte Frauke Brosius-Gersdorf für das Amt vorgeschlagen. Auf eine Frage der AfD-Abgeordneten Beatrix von Storch erklärte Merz im Bundestag, er würde jemanden wählen wollen, „der Abtreibungen bis zum neunten Monat befürworte“. Nach Angaben aus der CDU erkannte er die Tragweite der Aussage nicht; in der Fraktion wurde dies als unprofessionell bewertet.