
Friedrich Merz ließ sich wieder einmal in Deutschland blicken. Der Kanzler bekannte jüngst, er verfolge den Streit in seiner Koalition aus dem Augenwinkel. Wer mag es ihm verdenken! Schließlich sind in Washington, Brüssel und Luxemburg alle Augen auf ihn gerichtet. Da muss er zurückblicken ins Auge der Geschichte und kann nur zwischendrin kurz auf die deutschen Verhältnisse schielen.
Ein Interview im Ersten sollte nun die Kehrtwende einleiten. Friedrich Merz wollte bei „Maischberger“ eine Botschaft platzieren: dass Friedrich Merz sich um Deutschland kümmert.
Friedrich Merz im Interview bei Sandra Maischberger.
Entstanden ist ein anderer Eindruck: dass Friedrich Merz agiert wie ein Aufsichtsratsvorsitzender der Bundesrepublik Deutschland AG. Er will mit Details nicht belästigt werden. So ist das Amt des Kanzlers nicht gedacht.
Deutschland hat einen Bundeskanzler, der im Gegensatz zu seinem ulkigen Vorgänger Stabilität ausstrahlt und Überlegenheit. Schaut man genauer hin, scheint es sich bei Friedrich Merz um einen politischen Sitzriesen zu handeln. Er beugt sich staunend über Dinge, die er wissen müsste. Er erklärt den eigenen Zick-zack-Kurs zur geraden Linie. Beobachtern, die seine Volten als Volten benennen, wirft er eine falsche Optik vor.
Das Wort, das er bricht, erklärt er zum Beweis kluger Staatskunst: Die Dinge hätten sich halt geändert, womöglich über Nacht. Sollte er, Friedrich Merz, da trotzig im Gestern verharren? Und am gestern gegebenen Wort stur festhalten? Aber iwo doch. Friedrich Merz ist eine Wetterfahne, die sich den Wind zugute hält, in dem sie flattert.
Nehmen wir den Koalitionsvertrag von CDU, CSU, SPD. Man sollte meinen, im Koalitionsvertrag hätten die Parteien festgezurrt, was sie verbindet und was sie tun wollen. Friedrich Merz sieht im Koalitionsvertrag ein Angebot. Das gelte es im Licht des je neuen Tages zu studieren – auch von jenen, die ihn verfasst haben.
Der Koalitionsvertrag ist also ein Bündel an Versprechen. Manche werden eingelöst, manche nicht. Merz kann heute die Schuldenbremse zum Superdogma erklären und sie morgen aufweichen.
Er kann heute versprechen, die Stromsteuer für alle zu senken, und sie morgen nur für Betriebe absenken. Friedrich Merz spielt auf wie ein fahrender Geselle: Heute hier, morgen da. Es ist halt alles unfassbar kompliziert – besonders bei der Rente.
Die verbummelte Rentenreform zählt zur schlimmsten Hinterlassenschaft Angela Merkels. Doch die Union und die SPD halten sich für staatstragende Parteien. Sie sollten in der Rentenpolitik mehr im Gepäck haben als hehre Absichten und genügend Sitze für einen neuen Stuhlkreis.
Auch sollte ein Bundeskanzler das Land, das er regiert, realistisch einschätzen kann. Er sollte nicht von einem Stimmungsaufschwung reden, den es nicht gibt. Er sollte nicht die schlechte wirtschaftliche Lage beschönigen, indem er einen einzigen optimistischen Bankenchef zitiert.
Zumal es sich bei der zitierten KfW-Bank um einen 100-prozentigen Staatsbetrieb handelt. Merzens Kronzeuge für den Stimmungsaufschwung ist ein Staatsbediensteter. Vor Gericht würde man einen solchen Zeugen für befangen erklären.
Keineswegs auch sollte ein Kanzler, dessen versprochene Migrationswende mit der Geschwindigkeit einer Schnecke daherkommt, auftreten wie ein migrationspolitischer Kraftmeier.
Nein, Herr Friedrich Merz. Sie tun nicht alles, damit Deutschland wieder sicherer wird. Sonst hätten Sie Ihren Innenminister angewiesen, jeden Asylmigranten ohne Einreisepapiere an der Grenze abzuweisen. Jeden. So hatten Sie, Herr Merz, es einmal versprochen.
Alexander Dobrindt hat bisher nicht die versprochene Weisung von Kanzler Merz erhalten.
Sie, Herz Merz, wagen sich auch nicht an eine Abschiebeoffensive, die diesen Namen verdient. Sie tun nicht, was Sie versprachen.
Aber auch wenn viele Deutsche mäkeln und den Wortbruchkanzler an seine Worte erinnern: Im bedeutenden Zwergstaat Luxemburg hält man große Stücke auf ihn.
Friedrich Merz sucht nach einer Statur, die zu ihm passt. Er will wie ein Aufsichtsratsvorsitzender große Linien vorgeben, aber nicht in den Kleinigkeiten des politischen Alltags ertrinken.
So aber ist das Amt des Kanzlers nicht gedacht. Wer Vertrauen einfordert, ohne verlässlich zu agieren, wird nicht ernst genommen. Und wer meint, Deutschland aus dem Augenwinkel regieren zu können, braucht eine neue Brille – oder einen anderen Job.