
Am Ende konnte niemand überrascht sein. Nach den Sondierungsverhandlungen mit der SPD konnte Merz das Kanzleramt schon so greifbar nah sehen, dass er sich von den Forderungen der Grünen auch nicht mehr aufhalten ließ. Sie hätten sogar noch mehr verlangen können. Und es braucht auch keiner zu glauben, dass es in den nun folgenden Koalitionsverhandlungen irgendeinen Punkt geben könnte, bei dem die Union sagen würde: Sorry, das können wir nicht mitmachen, dann gibt es eben keine Koalition. Es verhandelt sich eben nicht gut, wenn einer der Partner sich selbst unter Einigungszwang gesetzt hat. „Alternativlos“ hat eine frühere Kanzlerin ihren Kurs genannt – mit seinem Politikverständnis steht Merz in bemerkenswerter Tradition.
Die Regierungen der letzten sogenannten Großen Koalition sind den Menschen auch deshalb noch in unguter Erinnerung, weil sie geprägt waren von Weichenstellungen, die vielen erst nach Jahren in ihrer vollen Brisanz klar geworden sind: Verzicht auf jede Kontrolle und Steuerung der Migration, alleinige Fixierung auf erneuerbare Energien, Aussetzen der Wehrpflicht und Herunterwirtschaften der Bundeswehr. Zu keiner einzigen dieser Entwicklungen gab es ein Wählervotum, sie alle widersprachen dem vorherigen programmatischen Verständnis der Union, sie alle haben zur anhaltenden Entfremdung vieler Menschen von der Union beigetragen.
Peter Kurth: „Es braucht auch keiner zu glauben, dass es in den nun folgenden Koalitionsverhandlungen irgendeinen Punkt geben könnte, bei dem die Union sagen würde: Sorry, das können wir nicht mitmachen, dann gibt es eben keine Koalition.“
Nun also eine Rekordverschuldung, die ihresgleichen sucht. „Die Schulden von heute sind die Steuererhöhungen von morgen“ – so hatte es noch im Wahlprogramm gestanden. Schnee von gestern. Ob es nun außer den Sonder(-vermögen)schulden von 500 Mrd. für Infrastruktur 300, 400 oder 500 Mrd. weitere Schulden außerhalb der Schuldenbremse sein werden, kann man noch nicht sagen, weil die Unterstützung für die Ukraine sich nicht beziffern lässt und ebenfalls nicht begrenzt sein soll. Die Hoffnung, dass wenigstens finanzpolitisch die Union Verantwortung für nachfolgende Generationen spürt, kann man mit dieser Schuldenorgie jedenfalls auch begraben. Die Union wird in Zukunft damit für den ungebremsten Marsch in den Schuldenstaat stehen. Es ist der Wille zur Macht, der die Union treibt – egal, was im Programm steht, egal, was den Wählern vor der Wahl gesagt wurde.
Vermutlich wird die Union nun weitere Wähler verlieren, die sich inhaltlich nicht mehr vertreten fühlen. Ein Blick in viele weitere europäische Länder zeigt, was aus früher sehr starken Partnerparteien der Union geworden ist, die sich einem vermeintlichen Zeitgeist gebeugt haben, während ihre Wähler immer noch mitte-rechts wählen: Sie stehen noch für Wahlergebnisse von ca. 10 %. Andere Parteien sind dabei, an ihre Stelle zu treten, so schwach diese personell und inhaltlich oft noch sind. Aus der Union ist irgendein Widerstand gegen den neuen Kurs nicht zu erwarten: Andere Parteien werden oft als Meute wahrgenommen, die Union war immer Herde.
***Peter Kurth (64) war CDU-Finanzsenator von Berlin und zuletzt Präsident eines Wirtschaftsverbandes. Zuletzt war er auch im Interview bei „Schuler! Fragen, was ist“ zu Gast.