
Als erstes Land weltweit möchte Deutschland bis 2045 klimaneutral werden – und das sogar ins Grundgesetz schreiben. Das hat zumindest Friedrich Merz am Freitag als Einigungskompromiss mit den Grünen bekanntgegeben. Dabei ist Deutschland bei dem Ausstoß von Emissionen an europäisches Recht gebunden – und die EU plant die sogenannte Klimaneutralität erst für 2050 ein.
Zwar spricht aus deutscher Sicht rechtlich nichts gegen ein früheres Erreichen dieser Ziele, das könnte aber paradoxe Folgen haben: Was in Deutschland schon ab 2045 eingespart wird, könnte von anderen Akteuren in der EU ausgestoßen werden. Grund dafür wäre der europäische Emissionshandel. Über hier verkaufte Zertifikate soll der Ausstoß von Treibhausgasen reguliert werden.
Pro ausgestoßene Tonne Kohlenstoffdioxid-Äquivalent – andere Treibhausgase werden umgerechnet – ist ein Zertifikat fällig, das momentan etwa 70 Euro kostet. Wer Ende April eines Jahres weniger Zertifikate als ausgestoßene CO2-Äquivalente vorweisen kann, muss sich an einer Börse weitere Emissionsrechte nachkaufen, die hier von Akteuren angeboten werden, die weniger ausgestoßen haben, als sie mit den erworbenen Zertifikaten berechtigt gewesen wären. Wer nicht genügend Zertifikate vorweisen kann, muss mit Strafzahlungen rechnen.
Derzeit werden noch nicht alle Emissionen mit Zertifikaten ausgeglichen, der europäische Emissionshandel deckt branchenübergreifend etwa 85 Prozent aller Treibhausgase ab. Das soll sich aber nicht erst bis 2045 durch eine radikale Klimapolitik ändern: Im Vergleich zu 2005 soll die Anzahl der verfügbaren Zertifikate bis 2030 um 62 Prozent reduziert sein, dafür werden die verfügbaren Zertifikate derzeit jährlich um über vier Prozent reduziert.
Und aufgrund der geringeren Menge müssen Unternehmen dann auch die eigenen Emissionen anpassen, um Strafzahlungen zu umgehen. Verfolgt Deutschland das Ziel, bereits fünf Jahre vor der EU klimaneutral zu sein, würden die daraufhin frei werdenden Zertifikate an der europäischen Börse angeboten und weiterverwendet werden.
Zwar gibt es auch die Möglichkeit, die Zertifikate zu annullieren oder vom Markt zu nehmen. Weil die Menge der Zertifikate bis dahin aber sowieso immer weiter reduziert werden soll, könnte es auch sein, dass die Unternehmen, die bei einer restriktiven Wirtschaftspolitik bis dahin überhaupt noch in Deutschland sind, ihre Zertifikate schon im Vorhinein verkaufen.
Bei der derzeitigen Gesetzgebung könnten dann also andere Akteure diese Zertifikate nach und nach aufkaufen, während Deutschland bei einem in der EU gleichbleibenden Ausstoß die sogenannte „Klimaneutralität“ erreicht. Auch jetzt schon verfolgt Deutschland dieses Ziel. Das Bundeswirtschaftsministerium unter Robert Habeck hat immer wieder betont, dass Deutschland bis 2045 klimaneutral werden kann.
Dieses Ziel hätte aber jederzeit verworfen werden können. Das forderte etwa Christian Lindner kurz vor dem Ampel-Aus in einem Papier zur Wirtschaftswende im November (Apollo News berichtete). Mit Merz‘ Versprechen, die Klimaneutralität ins Grundgesetz aufzunehmen, würden die Klimaziele rechtlich bindend werden – obwohl sich in Europa dadurch nichts ändern würde.
Zusätzlich gilt: Laut Zahlen der EU beträgt Deutschlands Anteil an den jährlichen Treibhausgasemissionen 1,3 Prozent, andere sehen ihn bei 1,8 Prozent. Bei China sind es hingegen beispielsweise gut 30 Prozent (Apollo News berichtete).