
Eine anti-britische Stimmung beherrschte Deutschland, das stärkste EU-Land, in der zweiten Hälfte der Zehnerjahre. 2016 hatte sich das Vereinigte Königreich in einer Volksabstimmung für den Austritt aus der EU entschlossen, Anfang 2020 wurde der vollzogen. In Berlin und Brüssel herrschte der Wunsch, die Briten für die Scheidung bestrafen zu wollen – in der festen Überzeugung, ohne einen selbst werde der Partner auf direktem Weg ins Unglück laufen.
Die allermeisten deutschen Medien übernahmen – Überraschung – die Sicht der deutschen Regierung. Der scheidende Partner solle für die Trennung bezahlen und werde anschließend von Hunger und Wirtschaftsnot heimgesucht. Seine Währung werde schmelzen wie Eiscreme im stromlosen Kühlschrank. Diese Prognose hat sich – Überraschung – als falsch erwiesen:
Für einen Pfund musste man im Jahr 2020 laut Boerse.de 1,15 Euro zahlen, dieses Jahr sind es 1,17 Euro. Die britische Wirtschaft erreichte in den vergangenen Jahren Wachstumsraten zwischen 0,7 und 1,7 Prozent – während die deutsche Wirtschaft schrumpfte. Das Statistische Bundesamt hat einen Brexit-Monitor erstellt, um online zu zeigen, wie verheerend sich das Verlassen der EU auf die britische Ökonomie auswirkt – das Statistische Bundesamt hat die Arbeit am Brexit-Monitor eingestellt.
Im Wunsch den scheidenden Partner bestrafen zu wollen, sind unsinnige Regelungen entstanden. So hatten jugendliche Analphabeten eine bessere Chance zur Ausbildung und Arbeit nach Deutschland zu kommen als die Absolventen der britischen Eliteschulen. Deutschland und die EU haben gedacht, der scheidende Partner komme ohne sie nicht aus. Doch gerade Deutschland muss sich nun eingestehen, dass es in der Sicherheitspolitik auf Großbritannien angewiesen – ihm regelrecht ausgeliefert ist. Militärisch braucht Deutschland die Atommacht, in der inneren Sicherheit die britischen Geheimdienste. Will man deren Leistungsfähigkeit vergleichen, muss man sich die Partie FC Liverpool gegen Sportfreunde Hierscheid vorstellen. Zweite Mannschaft.
Friedrich Merz ist nun nach London gereist. Deutschland schließt einen “Freundschaftsvertrag” mit Großbritannien ab. Militärisch und polizeilich will Deutschland wieder enger mit dem Königreich zusammenarbeiten – ebenso wirtschaftlich. Es hört auch auf, beleidigte Leberwurst zu spielen und erleichtert wieder den Austausch junger Menschen.
Die Details des Vertrags sind noch nicht erarbeitet oder liegen zumindest der Öffentlichkeit nicht vor. Berichten nach soll es aber auch den Punkt Migration enthalten. Was ein linker Euphemismus für Kampf gegen illegale Einwanderung ist. Ein Punkt, den deutsche Medien gerne weglassen, wenn sie den Brexit analysieren: Für diesen hätte es in einer Volksbefragung kaum für eine Mehrheit gereicht, wenn es nicht die deutsche Flüchtlingspolitik unter Angela Merkel (CDU) gegeben hätte. Die Briten hatten Angst, genauso überrannt zu werden wie Deutschland – und haben mit dem Brexit die Notbremse gezogen. Nach zehn Jahren verfehlter Einwanderungspolitik unter Merkel und Olaf Scholz (SPD) wollen die beiden alten und neuen Partner nun die Kehrtwende gemeinsam schaffen.
Die Briten sind von deutschen Medien seinerzeit gescholten und gewarnt worden. Doch die Untergangsszenarien erweisen sich eher als Journalisten-Prosa. Sich vor dem Brüsseler Übergriff geschützt zu haben, zeigt jetzt auch seine Vorteile. Entsprechend ist es nicht die EU, die nun Freundschaftsverträge mit Großbritannien schließt. Sie war es, die den Brexit-Vertrag durchgesetzt hat, der vom Charakter einer beleidigten Leberwurst geprägt war. Es sind nun die beiden wichtigsten EU-Länder Deutschland und Frankreich, die separat Freundschaftsverträge mit dem Vereinten Königreich schließen.
Es ist nicht der einzige Punkt, indem die einzelnen Staaten misstrauischer gegenüber der Brüsseler Verwaltung werden. Deren EU-Präsidentin Ursula von der Leyen (CDU) hat nun den Finanzbedarf für die Jahre 2028 bis 2034 angemeldet: zwei Billionen Euro, rund 700 Milliarden Euro mehr als bisher. Deutschland entstünden zusätzliche Kosten von etwa 25 Milliarden Euro im Jahr. Vor dem Aufweichen der Schuldenbremse waren das noch unvorstellbare Summen – doch so wie die schwarz-rote Koalition das Geld ausgibt, ist die Höhe noch nicht das allergrößte Problem an von der Leyens Entwurf.
Die Christdemokratin will auch die Logik des Haushalts verändern – und damit den politischen Alltag. Sie will weg von fest verplanten Etats, etwa für Landwirtschaft und hin zu pauschalen Etats. Deren Verwendung will die Brüsseler Verwaltung dann projektbezogen verhandeln. Im Fall Deutschlands auch am Bund vorbei direkt mit den Ländern. Das würde mehr zentrale Steuerung aus Brüssel ermöglichen – und höhere Abhängigkeiten von der Verwaltung schaffen.
In diesem Fall will von der Leyen auch die Einkommensbasis der EU verbessern. Zusätzlich zu der Erhöhung. Die Union soll direkte Einnahmen erhalten – durch “Mindeststeuern”. Bisher ist es für Konzerne möglich, sich in Mitgliedsstaaten niederzulassen, die extrem niedrige Steuern nehmen, um so den eigenen Standort zu verbessern. Irland und Luxemburg sind dafür berüchtigt. Mit dem Sitz in diesen Ländern können die Konzerne dann die vollen Vorteile des EU-Binnenhandels genießen. Eine Mindeststeuer ginge dann direkt an die EU.
Die EU erhält schon jetzt die Einnahmen aus Zöllen. Für eine Verwaltung ändert es die Sicht auf andere Vorgänge, wenn sie ihre eigene Machtbasis ausbauen will. Ein Handelskrieg mit den USA wäre verheerend für die Handelsnation Deutschland – deren Wirtschaft aktuell nicht vor Kraft strotzt. Vorsichtig ausgedrückt. Für die EU bedeutet aber ein Handelskrieg, der mit hohen Zöllen geführt wird, höhere direkte Einnahmen. Ihre Verwaltung verhandelt die Konditionen mit den USA, würde aber gleichzeitig von einer Eskalation profitieren.
Über einen Sprecher hat Merz bereits erklären lassen, dass seine Regierung die Vorschläge seiner Parteifreundin kritisch sehe. Das war zu erwarten. Für den Vorschlag von der Leyens im Jahr 2025 war ohnehin keine Einigung vor dem Jahr 2027 vorgesehen. Doch nach Green Deal, Lieferketten-Richtlinie, skandalösem Impfstoff-Einkauf oder Richtlinien, die den Kampf gegen illegale Einwanderung unmöglich machen, nähern sich offensichtlich auch die 27 Regierungschefs der Meinung der Brexit-Befürworter, dass es gar nicht mal so schlau ist, der Brüsseler Zentralverwaltung allzu viel Macht zu geben. Die separaten Verträge mit Großbritannien sind da ein Fingerzeig.