
Nachdem Friedrich Merz von seiner Freundin, der lieben Angela, um den Fraktionsvorsitz im Deutschen Bundestag gebracht worden war, machte er seinem Ärger öffentlich Luft. „Auf alles waren wir vorbereitet“, schimpfte er, „nur nicht auf den Machthunger eines Stasi-gehärteten Mädchens aus dem Osten.“ Wir, das waren die Mitglieder des damals sogenannten Anden-Pakts, eines Zusammenschlusses junger, ehrgeiziger CDU-Nachwuchspolitiker zu wechselseitigem Nutzen. Das Stasi-geschulte Mädchen war Angela Dorothea Merkel.
Frau Merkel hatte zwei Lehrherren, Erich Honecker und Helmut Kohl. Von beiden hatte sie dasselbe gelernt: dass man, um seinen Platz im ersten Rang zu behaupten, die Plätze neben sich mit Leuten besetzen sollte, die in den zweiten oder dritten Rang gehören, mit dicken Männern also, die des Nachts gut schlafen. „Du suchst Anhänger?“, hatte Nietzsche gefragt, und empfohlen: „Schreibe Nullen!“ Das hat sich Frau Merkel nicht zweimal sagen lassen und sechzehn Jahre lang befolgt.
Jetzt darf er. Und wie macht er das? Genauso wie Frau Merkel. Er wechselt – mal das Thema, mal die Richtung, mal den Partner. Er hat gemerkt, dass man auf dem Weg zur Macht nicht prüde sein darf, und hält sich dran. Frau Merkel war erst für, dann gegen die Atomkraft; erst für, dann gegen Putin; erst für die Wehrpflicht, dann dagegen, und so weiter. Es ist nicht leicht, die tausend Haken, die sie in ihren sechzehn Kanzlerjahren geschlagen hat, im Kopf zu behalten. Nötig ist es auch nicht, weil es auf Haken, Wechsel, Widersprüche gar nicht ankommt.
In der Diktatur, schrieb Konrad Heiden, der erste (und immer wieder lesenswerte) Hitler-Biograph, gibt es keinen Widerspruch zwischen Wort und Tat; es gibt nur Widersprüche in der Praxis selbst. „Die Diktatur handelt nicht anders als sie spricht, sie handelt heute anders als gestern und hier anders als dort.“ Sie hat kein Programm und keine Theorie. Deswegen ist es sinnlos, sie an Versprechen zur erinnern oder von Wortbruch zu reden, wenn sie das Gegenteil von dem tut, was sie angekündigt hat. Die Diktatur ist Praxis, Herrschaftspraxis und sonst nichts. Was sie tut, ist alternativlos, faktischer Zwang. Sich ihr gegenüber auf Anstand, Logik oder Konsequenz zu berufen, bringt nichts, „denn die Macht disputiert nicht“.
Merz auch nicht. Da ihm der Kompass fehlt, bewegt er sich in alle Richtungen. Er bezieht Stellungen, die er schnell wieder aufgibt – oder umgekehrt, ja nach Windrichtung. Parteien, die dasselbe wollen wie er, sind ihm verhasst; dafür verhandelt er mit denen, die er jahrelang bekämpft hatte, inzwischen ja auch mit den Grünen. Dass er auf diesem Weg den Stand der öffentlichen Schulden über die von ihm leichtfertig avisierte Marke von 900 Milliarden Euro hinaustreibt, ist ihm egal. Er ist ein Geschöpf der Parteiendemokratie, die ohne Richtung, Ziele und Programme auskommt. Am Ende wohl auch ohne Volk.
Dr. Konrad Adam ist Journalist, Publizist und ehemaliger Politiker der AfD. Er war Feuilletonredakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und Chefkorrespondent und Kolumnist der Tageszeitung Die Welt in Berlin.