Merz plant Wirtschaftsgipfel – doch die helfen der Industrie kaum

vor etwa 4 Stunden

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Bildquelle: Tichys Einblick

Der „Stimmungsumschwung“, den Kanzler Friedrich Merz noch einige Monate nach seinem Regierungsantritt beschworen hatte, bleibt aus: Im zweiten Quartal 2025 sank die gesamtwirtschaftliche Leistung im Vergleich zu den ersten drei Monaten um 0,3 Prozent. Deutschland steckt mittlerweile seit drei Jahren in einer hartnäckigen Rezession fest. Im September musste die Bundesregierung feststellen, dass es in zwei Schlüsselbranchen noch schlechter steht als befürchtet: der Stahl- und der Autoindustrie. Merz kündigte deshalb an, „kurzfristig“ zu einem Stahl- und einem Autogipfel ins Kanzleramt zu laden.

Schon jetzt zeichnet sich allerdings ab, dass es dabei nicht um eine Verbesserung der allgemeinen Rahmenbedingungen gehen dürfte, also eine Senkung der Unternehmenssteuern, ein Stopp der energieverteuernden CO2-Abgabe, eine Aufhebung des ab 2035 geplanten EU-Verbrennerverbots und ein Verzicht auf eine weitere Belastung von Arbeitnehmern. Denn genau diese Punkte betreffen nicht nur die beiden Krisenbranchen, sondern die gesamte Wirtschaft. Stattdessen laufen die Beratungen wohl auf punktuelle Eingriffe hinaus: beispielsweise eine Senkung der Netzentgelte für die energieintensive Industrie. Diese Maßnahme würde allerdings aus dem sogenannten Klima- und Transformationsfonds bezahlt, der sich wiederum durch die CO2-Abgabe füllt.

Am deutlichsten schlägt die Krise bei Thyssenkrupp Steel Europe (TKME) durch – das Unternehmen schreibt rote Zahlen, und plant den derzeit noch bestehenden Mitarbeiterstamm von 27.000 bis 2030 2030 auf 16.000 zu schrumpfen. Das soll durch eine Verkleinerung von Kapazitäten geschehen, aber auch Auslagerung oder Verkauf von Unternehmensteilen.

Schon jetzt greifen die deutschen Stahlfirmen zum naheliegenden Mittel: Sie reduzieren ihr defizitäres Geschäft, da sich auch die Nachfrage bei den größten Abnehmern verringert – dem Bau und der Automobilherstellung. Im ersten halben Jahr 2025 sank die inländische Stahlproduktion um 12 Prozent. „Der Produktionseinbruch in unserer Branche zeigt, wie dramatisch es um den Industriestandort Deutschland steht“, kommentiert die Hauptgeschäftsführerin der Vereinigung, Kerstin Maria Rippel. Die Rohstahlproduktion liege auf dem Niveau der Banken-und Finanzmarktkrise im Jahr 2009. In ihrer Not diskutieren Stahl-Manager auch schon darüber, die sogenannte Flüssigphase ganz aus Deutschland zu verlagern, also die Eisen- und Rohstahlverarbeitung. Das würde Kosten senken, aber auch einen erheblichen Teil der Wertschöpfung.

Vor allem Nordrhein-Westfalen mit seinen Stahlstandorten trifft die Schieflager der Branche hart, denn hier befinden sich mehrere Werke des Branchenprimus Thyssen. „Duisburg muss Stahl-Standort bleiben“, erklärt die Vorsitzende der NRW-SPD Sarah Philipp. Nur wie – das verrät sie nicht. Von der SPD ist jedenfalls keine Forderung nach einem Stopp der CO2-Abgabe zu hören, weder im Revier noch im Bund. Zu dem von Schwarz-Grün auf 2030 vorgezogenen Kohleaussteig in NRW, der neben den Stromkosten auch noch ein Versorgungsproblem mit sich bringt, schweigt sich die SPD ebenfalls aus. Auch deshalb müssen die Sozialdemokraten in Nordrhein-Westfalen für die Kommunalwahl am 14. September vor allem in den alten Arbeiterstädten herbe Verluste befürchten. Denn hier macht sich der Job-Abbau längst bemerkbar.

In der Autobranche sieht es nicht weniger trübe aus: Laut Managermagazin will der Zulieferer Bosch 15.000 Jobs streichen, der Reifenproduzent Continental 10.000, der Getriebehersteller ZF 5000, Schaeffler 4700. Insgesamt könnten in der Branche 2025 bis zu 50.000 Stellen wegfallen. Vor allem deutsche Elektroautos leiden unter einer Absatzschwäche, zumal auch hier chinesische Hersteller mit Macht auf den Markt drängen.

Die Bundesregierung entschied bereits, die Stromsteuer für das produzierende Gewerbe und die Landwirtschaft dauerhaft auf das EU-Mindestniveau zu senken. Das bringt allerdings bundesweit gerade eine Entlastung von insgesamt drei Milliarden Euro pro Jahr. Die Netzentgelte sollen durch staatliche Zuschüsse sinken – allerdings wie erwähnt, finanziert durch die CO2-Abgabe, die wiederum fossile Energieträger verteuert. Weder das eine noch das andere hilft den Stahl- und Autoherstellern aus ihrer tiefen Misere.

Zwei SPD-geführte Ressorts arbeiten außerdem daran, die rezessionsgebeutelte Wirtschaft noch weiter zu belasten. Erstens Umweltminister Carsten Schneider, der ein Gasbohr-Verbot in Nord- und Ostsee überall dort verkündete, wo der Bund über die Areale entscheiden kann.

Statt eigenes Gas zu fördern, bleibt Deutschland darauf auch in Zukunft auf den Import von sehr teurerem Flüssiggas angewiesen. Arbeitsministerin Bärbel Bas kündigte an, für 2026 die Beitragsbemessungsgrenzen für Sozialversicherungen drastisch anzuheben: Für die Renten- und Arbeitslosenversicherung steigt die Schwelle des abgabenpflichtigen Bruttoeinkommens um monatlich 400 Euro auf 8450 Euro, in der Kranken- und Pflegeversicherung um 300 Euro auf 5812,50 Euro. Beide Sprünge liegen deutlich über der Bemessungsgrenzen-Erhöhung der vergangenen Jahre – und vor allem über der Gehaltsentwicklung.

Ingenieure, Facharbeiter und Meister erhalten also ab dem kommenden Jahr deutlich weniger Netto. Beziehungsweise: Falls der Arbeitgeber das Gehalt erhöht, fressen die höheren Sozialabgaben das Plus gleich wieder auf. Das verschlechtert nicht nur die Binnennachfrage noch weiter – bisher die einzige Stütze der dauerschwächelnden Wirtschaft –, sondern setzt auch einen Anreiz für ältere Arbeitnehmer, sich möglichst früh aus dem Berufsleben zu verabschieden.

Statt die Rahmenbedingungen für die Gesamtwirtschaft zu verbessern, stellt die Bundesregierung kleinen punktuellen Verbesserungen gleich wieder Verschlechterungen gegenüber.

Um das zu beenden, bräuchte Merz keinen Gipfel in Berlin – sondern einen Koalitionspartner mit Problembewusstsein.

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