Der Anti-Trump: Wie Merz alle Trümpfe aus der Hand gibt – und welches Schreckens-Szenario der Union nun droht

vor etwa 2 Monaten

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Merz verhandelt nach dem Fata-Morgana-Prinzip: Stets behauptet er, Trümpfe in der Hand zu haben, die er sich einbildet.

Vor der Wahl vertröstete er seine Partei mit der Behauptung, dass nach der Wahl zwei linke Koalitionspartner zur Verfügung stehen würden, SPD und Grüne, und man diese gegeneinander ausspielen könnte. Es war aber bereits vor dem Wahlabend abzusehen, dass es anders kommen würde.

Dann versprach er seiner Partei, dass die SPD durch die eigenen Verluste bei den Wählern zur Vernunft kommen und sich dem Wunsch der Bevölkerung nach einer Verschärfung der Migrationspolitik beugen würden – auch hierauf deutet derzeit nichts hin.

Nun hat sich die Union mit der SPD auf ein Sondervermögen für die Infrastruktur in Höhe von 500 Milliarden geeinigt und will zusätzlich die Schuldenbremse lockern, um weitere Milliardenschulden für die Bundeswehr aufzunehmen. Die Partei streut den Spin, dass die Sozialdemokraten sich nach diesem großzügigen Schulden-Geschenk erkenntlich zeigen und in den Sondierungsgesprächen auf die Union zukommen müssten. Aber warum sollte die SPD das tun?

Sie verkündeten die neuen Milliarden-Schulden: Markus Söder (CSU), Saksia Esken (SPD), Friedrich Merz und Lars Klingbeil.

Vielmehr geistert bereits eine andere Option durch das politische Berlin: Lange bevor Merz zum Kanzler gewählt werden könnte, wird nach dem jetzigen Fahrplan die Reform der Schuldenbremse sowie das 500-Milliarden-Sondervermögen beschlossene Sache sein. Lars Klingbeil und seine SPD hätten damit Milliarden Staatsgeld zum Verteilen zur Verfügung. Das würde sie aber noch längst nicht dazu verpflichten, Merz zum Kanzler zu wählen. Vielmehr könnten die Sozialdemokraten darauf setzen, die Verhandlungen mit der Union scheitern und es im Bundestag auf eine Kanzlerabstimmung ankommen zu lassen – und im dritten Wahlgang mit einfacher Mehrheit SPD-Chef Klingbeil zum Kanzler zu wählen. Dafür bräuchte die SPD Stimmen von Grünen und Linken. Merz hingegen hat bereits ausgeschlossen, sich mit Stimmen der AfD zum Kanzler einer Minderheitsregierung wählen zu lassen.

Dieses Szenario wird die Sondierungs- und später die Koalitionsverhandlungen überschatten. Und den Druck auf die Union verstärken. Denn entgegen der Lesart, die Unionspolitiker befürworten, muss sich eben nicht die SPD erkenntlich zeigen, um an der Macht beteiligt zu werden und die Milliarden später auch verteilen zu dürfen, sondern Merz und seine Union.

Die Spitzen von Union und SPD tauschten sich am Mittwoch im Kanzleramt aus.

Dass Merz in einer schwachen Verhandlungsposition ist, zeigt sich schon daran, dass die SPD ihre Infrastruktur-Milliarden ohne Gegenleistung bekam. Hatte Merz im Wahlkampf noch versprochen, die Schuldenbremse im Bund nicht aufweichen und stattdessen lieber Prioritäten im Haushalt setzen zu wollen, also Ausgaben zu kürzen, gelang es ihm nun nicht einmal, eine solche Regelung in die gestrige Einigung zu integrieren. Warum bestand Merz nicht darauf, im Gegenzug für die Schulden massive Ausgabenkürzungen zu beschließen? Oder, um ein anderes Wahlversprechen der Union zu nennen: Warum bestand Merz nicht auf die Grenzschließung als Gegenleistung für die Milliarden?

Er hatte offensichtlich nicht die Karten dafür. Merz' Trümpfe sind keine. Und jeder sieht, jeder weiß es. Merz blufft nicht, denn das hieße, dem Gegenüber eine Überlegenheit weiszumachen, die nicht existiert. Merz leistet öffentlich einen Offenbarungseid. Als er im Wahlkampf bei einer Rede mit einem imaginierten Dienstwagen-Schlüssel in der Luft herumwedelte, um zu verbildlichen, dass man die Koalitionspartner mit der Aussicht auf Privilegien locken und über den Tisch ziehen werde, da war dies visionär, aber anders als beabsichtigt: Es ist Friedrich Merz selbst, der jetzt alles dafür tut, Kanzler zu werden – und koste es die Deutschen eine Billion.

Anstatt wie Donald Trump mit Maximalforderungen in die Verhandlungen zu gehen, räumt Merz die eigenen Forderungen ab, bevor die SPD überhaupt darauf drängen konnte. „Niemand von uns will die Grenzen schließen“, versprach er dem Koalitionspartner gleich am ersten Tag nach der Wahl öffentlich und ohne Not. Sein Generalsekretär Carsten Linnemann schloss sich dieser Strategie an und erklärte wenige Tage vor der Wahl in der ARD: „Ich will das Heizungsgesetz nicht abschaffen. (...) Ich will Technologieoffenheit. Die Politik muss das Klimaziel vorgeben. Wie diese erreicht werden, das muss die Wirtschaft, das müssen Ingenieure lösen.“

Robert Habecks umstrittenes Heizungsgesetz könnte also bestehen bleiben, was auch den Grünen gefallen würde, die die nächste Herausforderung für die Union darstellen. Weil die Union für die Reform der Schuldenbremse das Grundgesetz ändern muss, braucht sie eine Zwei-Drittel-Mehrheit und damit die Stimmen der Grünen. Deren Fraktionschefin Katharina Dröge kündigte bereits an, dass diese nicht einfach so zu bekommen sind: „Wir machen gar nichts auf Zuruf“, kündigte Dröge am Dienstagabend in der ARD an.

Außenministerin Annalena Baerbock strebt nicht in den Fraktionsvorsitz. Dröge macht als derzeitige Fraktionsvorsitzende jedoch Bedingungen für die grüne Zustimmung deutlich.

Bedingung der Grünen wird aller Voraussicht nach sein, die Milliarden-Investitionen den Kriterien der Nachhaltigkeit zu unterwerfen. Das bedeutet: neue Bürokratie, mehr Lenkung durch den Staat, noch weniger Marktwirtschaft. Merz könnte es also gelingen, rot-grüne Milliardenschulden zu beschließen, ohne selbst Kanzler zu sein oder irgendeine Gegenleistung zu erhalten außer einer Aufstockung des Bundeswehr-Etats, den aber angesichts der geopolitischen Lage ohnehin jede Regierung hätte beschließen müssen.

Die Union glaubt noch immer an die Fata Morganas, die ihnen ihr Chef in bunten Farben ausmalt. Zumindest kommunizieren Vertreter von CDU und CSU nach außen große Einigkeit. Wie ein durstiger Wanderer läuft die Union der Wasserstelle entgegen, sie läuft und läuft – und könnte doch in der Wüste verdursten.

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