Merz steht zu Brosius-Gersdorf: Opportunismus pur

vor etwa 3 Stunden

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Angesichts der Totalausfälle, die sich deutsche Bundesregierungen innerhalb des letzten Jahrzehnts geleistet haben, ist die Rede vom „Offenbarungseid“ geradezu inflationär und wirkt abgeschmackt. Das ändert nichts daran, dass dies der einzige Ausdruck ist, der treffend beschreibt, was Friedrich Merz nach der Generaldebatte im Bundestag am 9. Juli abgeliefert hat.

Bereits seit Tagen läuft das bürgerliche Lager Sturm gegen die Nominierung der Juristin Frauke Brosius-Gersdorf, die am 11. Juli zur Richterin am Bundesverfassungsgericht gewählt werden soll. Nun stellte Merz sich hinter sie – verblüffend direkt und beunruhigend deutlich.

Inhaltlich sind die Gründe für die Ablehnung dieser Personalie zahlreich. Gleich ob es um das Vorgehen während der Covid-Krise geht – und damit um den Umgang mit Grundrechten in vergleichbaren Situationen –, um die Verschandelung der deutschen Sprache durch das Gendern oder um einen ultralinken Feminismus, der Abtreibung als Frauenrecht betrachtet und diese legalisieren und ausweiten will: Treffend beschreibt der Cicero Brosius-Gersdorf als „linke Kulturkämpferin“, Josef Kraus charakterisiert sie bei TE als „Links-Ideologin“. Genau das ist sie.

Eine fatale Mischung für Demokratie und Gesellschaft: Wer so denkt und mit genügend Macht ausgestattet wird, hat keine Hemmungen, den Bürger zu entrechten, wenn dies politisch opportun erscheint. Und genau das hat Brosius-Gersdorf in ihren Äußerungen während der Corona-Pandemie deutlich gemacht; genau das liegt auch ihren Aussagen zugrunde, mit denen sie ernsthaft in Betracht zieht, die Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes erst dem geborenen Menschen voll zukommen zu lassen, zumindest aber Schutzwürdigkeit je nach Entwicklung des Ungeborenen kontinuierlich zu steigern.

Das ist so radikal gegen den ersten Artikel des Grundgesetzes gerichtet, und so intuitiv gegen den gesunden Menschenverstand, dass selbst der ansonsten im Dämmerschlaf verharrende deutsche Konservatismus, der sich gern klaglos von links demütigen und zerschlagen lässt, aufgewacht, und in breite Empörungsbekundungen ausgebrochen ist.

Merz und die Union könnten den Rückenwind nutzen, Zweifelnde zurückgewinnen, und zugleich die politische Stabilität fördern und sich zu einer Rückkehr zu sachorientierter Politik bekennen, indem sie hier dem Gespür des bürgerlichen Lagers folgen, und die Demokratie gegen linke Versuche, die Gewaltenteilung zu unterlaufen, verteidigen.

Und so fragte Beatrix von Storch den Bundeskanzler im Rahmen der Befragung der Bundesregierung nach der Generaldebatte, ob er es mit seinem Gewissen vereinbaren könne, „Frau Brosius-Gersdorf zu wählen, für die die Würde eines Menschen nicht gilt, wenn er nicht geboren ist“.

Nach dem üblichen Geplänkel, das den Ball zurückspielen, und von Storch indirekt der mangelnden Verfassungstreue verdächtigen sollte, kehrte Merz überraschend zur Frage zurück, und beantwortete sie ebenso überraschend: „Auf Ihre hier gestellte Frage ist meine ganz einfache Antwort: Ja!“.

Ein Politiker, der sonst jede Klarheit vermissen lässt, der gern viel verspricht, und noch jedes Versprechen fallen ließ, sobald die Einlösung Mut, Rückgrat oder Durchhaltevermögen verlangt hätte: Hier spricht er Klartext, und das sogar ohne Not. Gewundene Erklärungen hätte es genügend gegeben, wie der CSU-Abgeordnete Alexander Hoffmann ja bewies, als er die Wahl der linken Kandidatinnen fürs Richteramt mit hohlen Floskeln rechtfertigte, die sämtlich den Kern des Problems ignorierten.

Stattdessen wirft Merz die Frage auf, ob er einfach nur gewissenlos ist, oder tatsächlich nicht begreift, dass das Grundgesetz zur Fassade verkäme, wenn Brosius-Gersdorfs offen proklamierte Überzeugungen Leitschnur der Entscheidungen des Gerichts würden. Denn die Unantastbarkeit der Menschenwürde verlöre jeden Wert, wäre die Zuerkennung dieser Menschenwürde Verfügungssache.

Das deutsche Volk muss nun also mit der Erkenntnis leben, dass es von einem Kanzler regiert wird, der die Verfassung ablehnt, oder von einem, der zum einen nicht über genug Intellektualität verfügt, um zu verstehen, wann die Verfassung gefährdet ist, und der zum anderen vermeint, Verfassungstreue bestehe einfach darin, sozusagen im Autopilot stets einfach das Gegenteil dessen zu vertreten, was aus den Reihen der AfD geäußert wird.

Oder von einem Kanzler, der allein von Berechnung und Opportunismus beherrscht wird, und bereit ist, schon zur Vermeidung eines üblichen politischen Konflikts jedes höhere Gut aus dem Fenster zu werfen.

In jedem Fall: Ein Offenbarungseid.

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