Merz versucht sich zur Migrationswende zu kungeln

vor 19 Tagen

Blog Image
Bildquelle: Tichys Einblick

Markus Söder (CSU) war der redselgiste der drei Koalitionäre, bei der Vorstellung dieses neuen 144 Seiten umfassenden Koalitionsvertrags, und das, obwohl er nur rund fünf Prozent zu dieser Koalitionsmehrheit beiträgt. Und das ließ Lars Klingbeil (SPD) und auch Friedrich Merz (CDU) gelegentlich nervös hinüberschielen oder die Augen rollen. Söder walzte seine Redezeit aus, war deutlich motivierter als Merz, wo der mutmaßlich neue Kanzler graue Maßnahmen aufeinanderhäufte.

Es wurde dann doch nichts mit der Kürze und Knappheit, weder in Söders Rede noch im Vertrag. Die Länge des Vertrags wird gemeinhin so erklärt, dass die „Partner“ einander nicht so sehr vertrauen, dass ein paar grundsätzliche Absprachen genügt hätten – so, wie es eigentlich Merzens Plan gewesen war. Und so gibt es in diesem Vertrag doch einige Punkte zur Migrationspolitik, die Friedrich Merz seit einiger Zeit zur Bedingung eines Koalitionsvertrags gemacht hat. Aber werden alle Maßnahmen auch wirklich so kommen? Davor stehen in vielen Fällen Gesetzgebungsverfahren, mit bekanntlich ungewissem Ausgang.

Alles „zurück wie vor 2015“, behauptete der redselige Söder, das bedeute der Koalitionsvertrag in Sachen Migration. Und: Die Bezahlkarte, die es in Bayern schon gebe, soll in ganz Deutschland kommen. Zugleich wird diese Bezahlkarte aber sogar in Bayern von Grünen und anderen fleißig umgangen und ausgehebelt. Also wieder mal alles nur Fassade?

Das betreffende Kapitel im Koalitionsvertrag heißt „Migration und Integration“. So weit, so gut: Wer einwandert, sollte sich integrieren. Aber dann wird umgehend der Asyl-Status-quo festgeschrieben: „Deutschland ist ein weltoffenes Land und wird es auch bleiben. Wir stehen zu unserer humanitären Verantwortung. Das Grundrecht auf Asyl bleibt unangetastet.“ All das steht am Anfang des Kapitels „Migration und Integration“, als ob dieser Zusammenhang unverrückbar wäre.

Was aber hat normale Migration wirklich mit „humanitärer Verantwortung“ zu tun? Was soll die Tatsache, dass es Menschen gibt, die ihr Heimatland aus den unterschiedlichsten Gründen verlassen, um anderswo ein besseres, schöneres, reicheres Leben zu führen, was sollte diese Tatsache mit „humanitärer Verantwortung“ zu tun haben? Schon hier könnte man vermuten, dass es mindestens einem Koalitionspartner darauf ankommt, ein System des Missbrauchs fortzusetzen, in dem Personen Asylanträge stellen, die dazu laut Grundgesetz und laut EU-Recht nicht berechtigt sind.

„Humanität“ an deutschen Grenzen und in der deutschen Migrationspolitik hat wenig mit dem „Grundrecht auf Asyl“ zu tun. Der Menschlichkeit wäre auch dann Genüge getan, wenn man die Einreisewilligen an der deutschen Grenze ab- und auf die Möglichkeit verwiese, ihren Asylantrag im ebenso humanen Nachbarland zu stellen, so wie es die Gesetze vorsehen. Aber dieser Maßstab scheint noch weit entfernt.

Die Union hat lange genau solch eine schärfere Migrationspolitik mit Zurückweisungen vor sich hergetragen und behauptet, dass sie diese von Tag eins ihrer Regierung an umsetzen wolle. Die Union und vor allem Friedrich Merz, der nun Kanzler werden soll, stehen unter Zugzwang. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass der Eindruck äußerster Konsequenz hergestellt werden soll.

Aber beendet werden sollen die illegalen Einreisen über die Landesgrenzen offenbar nicht. Man wolle „Migration ordnen und steuern und die irreguläre Migration zurückdrängen“, heißt es sehr mittelmäßig.

Merz will nur, dass seine Reformen „kurzfristig sichtbar“ werden. Angeblich sei er schon seit einiger Zeit im Gespräch mit den wichtigsten Nachbarn, die die Sache ähnlich sähen wie Deutschland. Aber man erinnert sich dann doch an einige Unstimmigkeiten in der Vergangenheit, als die Zurückweisungsidee von Merz erstmals bekannt wurde – sei es in Österreich oder Polen. Insofern ist es bedeutsam, dass die Abstimmung mit Frankreich und Polen noch „läuft“, also noch nicht abgeschlossen ist.

Es ist also eher unwahrscheinlich, dass es gelingt, alle Zuwanderer an der deutschen Grenze zurückzuweisen. Der Union ist auch damit gedient, einige Migranten zurückzuweisen. Es müssten keineswegs alle sein. Gesichtswahrend würde hier – wie schon in Faesers Schlussphase – auch eine Senkung der Zahlen wirken. Kommt sie aber nicht, umso schlimmer.

Jedenfalls geben sich Union und SPD entschlossen, die Grenzkontrollen an allen deutschen Staatsgrenzen fortzusetzen, bis es endlich einen „funktionierenden Außengrenzschutz“ gibt und alle Dublin-Regelungen sowie die neuen Bestimmungen der gemeinsamen Asylpolitik GEAS erfüllt sind.

Das mit den Dublin-Rückführungen scheint die Koalitionäre noch einmal besonders bewegt zu haben, denn hierzu findet sich einiges, etwa die Zentralisierung der Zuständigkeit beim Bund: Dublin-Fälle, die in andere EU-Länder gehören, und Fälle nach der neuen Asyl-Migrationsmanagementverordnung werden dann zu Bundes-Abschiebefällen, was vielleicht ja sogar in die richtige Richtung geht, aber vermutlich nicht – wie von Merz vor der Presse behauptet – „kurzfristig sichtbar werden“ wird. Denn dazu sind die EU-Verhältnisse in dieser Sache zu verfahren, die Südländer zu beschäftigt mit dem eigenen Teil der Migrationskrise.

Überhaupt will die neue Bundeskoalition einige Kompetenzen an sich ziehen. Sie will die Ausreisepflicht abgelehnter Asylbewerber mit einem „kohärenten Ansatz der Bundesregierung“ durchsetzen. So will man vor allem die Zusammenarbeit der Herkunftsländer stärken, zum Beispiel mit den Instrumenten „Visa-Vergabe, Entwicklungszusammenarbeit, Wirtschafts- und Handelsbeziehungen“. Das sind Vorschläge, die lange im Schwange sind, aber von der Ampel bisher (zuvor auch von Merkel) systematisch vernachlässigt wurden. Im Gegenteil: Annalena Baerbock ging es natürlich vielmehr um eine Visa- und Einreise-Offensive als um eine Abschiebe-Offensive. Ob das unter der neuen Regierung anders wird, wird sich wohl im Miteinander der Minister herausstellen. Festgelegt ist hier nichts, der Vertrag zwischen Schwarz und Rot strotzt in diesem Bereich vor Willensbekundungen, die noch viel administratives Fleisch brauchen werden, um zum Leben zu erwachen.

Die Bundespolizei soll „die Kompetenz erhalten, für ausreisepflichtige Ausländer vorübergehende Haft oder Ausreisegewahrsam zu beantragen, um ihre Abschiebung sicherzustellen“. Das könnte vielleicht helfen. Darüber hinaus soll es die „Möglichkeit für einen dauerhaften Ausreisearrest für ausreisepflichtige Gefährder und Täter schwerer Straftaten“ geben, auch nach der Haftverbüßung. Die Kapazitäten für die Abschiebehaft sollen erhöht werden, so weit es geht. Und die „Möglichkeiten zur Aberkennung des Schutzstatus bei Straftätern“ will man anwenden.

Erfreulich klar ist der erste Satz im hier zitierten Unterkapitel zu einer zu startenden „Rückführungsoffensive“: „Abgelehnte Asylbewerber müssen unser Land wieder verlassen.“ Ebenso der letzte: „Nach Afghanistan und Syrien werden wir abschieben – beginnend mit Straftätern und Gefährdern.“ Noch zwei Willensbekundungen, aber wird Schwarz-Rot in der Lage sein, sie umzusetzen? Das scheint unsicher, denn in Syrien wird die Lage derzeit noch nicht besser, in Afghanistan wird sie sich sicher nicht ändern. Es wird also einiges an Stehvermögen vom künftigen CSU-Innenminister brauchen, und auch vom Kanzler, um hier nicht der linken, grünen Anti-Abschiebelobby zu erliegen. Schon im Vorfeld der Verhandlungen hatte Boris Pistorius (SPD) intern erklärt: Nur weil in einem Koalitionsvertrag stünde, man wolle abschieben, heiße das noch lange nicht, dass man wirklich abschieben werde. Was bleibt, ist vorerst die Überschrift.

Daneben beklagt der Vertrag „schwer erträgliche Taten und Äußerungen“, offenbar von Zuwanderern oder Nichtdeutschen. Aber konkreter wird man hier nicht. Es heißt dann nur: „Wer den Aufenthalt in Deutschland missbraucht, indem er hier nicht unerheblich straffällig wird oder gewalttätige Stellvertreterkonflikte auf deutschem Boden austrägt, dessen Aufenthalt muss beendet werden.“

Dann kommt noch ein Renner aus dem Unions-Wahlkampf: Strafttaten gegen Leib und Leben, die sexuelle Selbstbestimmung, Volksverhetzung und Taten gegen Polizisten und andere Vollstreckungsbeamte sollen zur umgehenden Ausweisung führen. Nun ist eine Ausweisung noch keine Abschiebung oder Rückführung. Aber auch diese Willensbekundung hängt daran, dass man erstens ein Land hat, in das man zurückführen kann, zweitens das Verfahren auch praktisch durchführen kann. Und da gibt es bekanntlich Helfer und Ratgeber für Migranten, die sagen, wie es geht, wenn ein Zuwanderer nicht gehen will: vom provisorischen Fernbleiben aus der Asylunterkunft bis zum Schreikrampf im Abschiebeflieger. Die neue Bundesregierung will „Flugunternehmen … zur Beförderung bei Rückführungen verpflichten“. Also wieder Zwang gegen Bürger. Ob das dann hilft?

Zugleich will Schwarz-Rot aber sogar noch einen neuen Aufenthaltstitel schaffen für „geduldete Ausländer, die gut integriert sind“. Also sind scheinbar doch nicht alle abgelehnten Asylbewerber ausreisepflichtig, denn eine Ablehnung ist Vorbedingung für den Duldungsstatus. Gemeint ist offenbar eine Neufassung des Chancenwahlrechts der Ampel. Umgehend abschaffen will man es offenbar nicht. Auch die Reform des Staatsbürgerschaftsrechts durch die Ampel soll grundsätzlich bleiben, nur die kürzere Einbürgerungsfrist von drei Jahren bei „besonderen Integrationsleistungen“ will Merz zurücknehmen. Die neue Standard-Einbürgerung nach fünf Jahren bleibt aber in Kraft. Früher waren es einmal acht Jahre. Es bleibt also auch mit der CDU an der Macht bei der Turboeinbürgerung – nur der Doppelturbo wird abgeschaltet.

Dann will man natürlich Asylverfahren beschleunigen, vor allem die Klage- und Gerichtsverfahren. Noch eine Versprechung, die sich erst einmal durchsetzen muss – zuerst in der Politik, dann in der Gesellschaft und Justiz.

Freiwillige Bundesaufnahmeprogramme – wie das für Afghanen – sollen beendet werden. Ebenso die UN-Resettlement-Kontingente, was die UNHCR aufhorchen ließ. Die globale Organisation hofft aber auf baldige Besserung. Das denken sicher auch die NGO-Truppen, die sich – Esken verkündete es – weiter großzügiger Bundesmittel erfreuen können. So etwas nennt man übrigens eigentlich GONGO: „government-organized non-governmental organization“ oder „von der Regierung organisierte Nicht-Regierungs-Organisationen“ (deutsch folglich RONRO abzukürzen). Auch die RONROs werden von Tag eins an daran arbeiten, dass die Migrationswende unter Kanzler Merz nicht stattfindet. Und die SPD wird ihre „fünfte Kolonne“ auf der Regierungsbank sein.

Publisher Logo

Dieser Artikel ist von Tichys Einblick

Klicke den folgenden Button, um den Artikel auf der Website von Tichys Einblick zu lesen.

Weitere Artikel