
„Diese Seite ist derzeit nicht aktiv oder existiert in unserem Angebot nicht“. Diese Mitteilung erscheint, wenn man auf den Link „Ein besseres Berlin ist möglich“ des Berliner Landesverbandes der CDU klickt. Es wirkt fast wie ein Offenbarungseid der Partei, die vor der Wiederholungswahl Anfang 2023 damit geworben hat, die Hauptstadt endlich wieder sicherer zu machen. Sie hat mit Sprüchen wie „Was Kriminelle bald häufiger hören: Haftbefehl“ oder „Ganz Berlin braucht die Polizei“ Tausende Stimmen von Menschen gewonnen, die nicht mehr ständig besorgt über ihre Schulter gucken wollten. Von Menschen, die Nachrichten wie diese nicht mehr ertragen können: „Syrer ersticht Familienvater in U-Bahn.“
Von der bitteren Enttäuschung, der Wut, dem Schock, der Trauer und Angst, die viele Berliner am Samstag bei dieser Schlagzeile ergriffen hat, kriegt Steve H. nichts mehr mit. Sein einjähriges Kind wird von seiner trauernden Mutter wohl erst in vielen Jahren erfahren, was am Wochenende in Kai Wegners „Chancenstadt“, vorgefallen ist. Sie wird ihm erzählen müssen, dass sein 29-jähriger Vater am helllichten Tag, mitten in der Öffentlichkeit, mit einem Küchenmesser massakriert wurde – um kurz nach 16 Uhr, in der viel befahrenen U-Bahnlinie 12, vor etlichen Zeugen. Von einem wegen schwerer Gewaltdelikte vorbestraften Syrer, der gar nicht hätte vor Ort sein dürfen.
„In Berlin kommt es nahezu täglich zu Messerangriffen, zuletzt am Wochenende mit tödlichem Ausgang“, sagte unser allzu mitfühlender Bürgermeister dazu nur, als hätte er mit all dem nichts zu tun. Dafür hat er eine Lösung parat: eine Ausweitung der „Waffen- und Messerverbotszonen auf den Öffentlichen Personennahverkehr“ sei der „richtige Weg“. Als hätte das Shadi S. davon abgehalten „Bobby“, wie Steve H. liebevoll von seinen Freunden und Angehörigen genannt wurde, ein Messer ins Herz zu stechen. Als wüsste Wegner nicht selbst, dass wir nicht annähernd genug Polizisten in Berlin haben, um ein solches Verbot zu kontrollieren – in einer Stadt, in der bei der 110 teilweise nur der Anrufbeantworter rangeht.
Aber was will man auch von einem Mann erwarten, der trotz all der Gewalt und der inzwischen unzähligen Schwerletzten und brutal ermordeten Menschen, im letzten Jahr allen Ernstes in einem Interview mit der Rheinischen Post behauptete: „Berlin ist eine sichere Stadt“. Ob er das dem Sohn oder der Tochter von Steve H. auch ins Gesicht sagen würde? Oder seiner Freundin Gina, die „das Beste, das [ihr] je passieren konnte“ für immer verloren hat? Einer Frau, die ihr Kind alleine großziehen und es für den Schulweg womöglich sogar in die U-Bahnlinie schicken muss, in der der Vater wegen einer kleinen Auseinandersetzung abgestochen wurde.
Wohl eher nicht. Sonst müsste Wegner erklären, wie es in einer sicheren Stadt und unter den angeblich so strengen Zügeln der CDU möglich sein konnte, dass ein geduldeter syrischer Mann trotz Sicherungshaftbefehls nicht im Gefängnis, sondern in der U-Bahn war. Und das, obwohl er schon einmal mit dem Messer zugestochen hat: Er schnitt seiner eigenen Schwester in den Oberschenkel, weil sie ihm keinen Einblick in ihr Handy gewähren wollte. Die herbeigerufene Polizei bedrohte und attackierte er, sodass ein Beamter sich den Mittelhandknochen brach. Und das ist nur eines von vielen Vergehen, die Shadi S. vorgeworfen werden.
Auch wenn Wegner sich gerne den Bürgermeister des Jahres-Pin ans Revers stecken würde: Berlin ist vieles, aber sicher ist es nicht. Allein im vergangenen Jahr gab es laut dem LKA insgesamt 3.412 (registrierte) Messerattacken – das entspricht 10 Angriffen pro Tag. Es gibt immer mehr Schwerverletzte und immer mehr Tote. Man kann sich weder in Parks, noch auf der Straße oder in der U-Bahn sicher fühlen. Ich rate meinen Freunden und vor allem Neu-Berlinern deswegen schon seit Jahren, die öffentlichen Verkehrsmittel am besten komplett zu meiden. Auch wenn ich dafür manchmal schräg angeguckt werde – Berlin habe doch so ein tolles Verkehrsnetz.
Aber das kann nur jemand sagen, der noch keine Erfahrung mit den Berliner Öffis gemacht hat – oder nicht allzu sehr an seinem Leben und seiner körperlichen Unversehrtheit hängt. Ich jedenfalls stehe lieber im Auto im Stau, als dass mir jemand vor die Füße kotzt, mich anspuckt oder mir zwischen die Beine greift. Nennen Sie mich konservativ, aber ich sehe nicht gerne, wie jemand ein paar Sitze weiter masturbiert oder auf die Sitze in der U8 pinkelt. Auch nicht, wie sich Leute plötzlich gegenseitig blutig schlagen oder wie ein Obdachloser ein junges Mädchen die Treppen zum U-Bahnhof runterstürzt.
Das sind alles Dinge, die ich in Berlin schon gesehen und erlebt habe. Und das ist noch vergleichsweise harmlos. Ein Bekannter musste genau so eine Situation, wie sich diesen Samstag ereignete, schon selbst mitansehen: Er stand daneben, als in einer Berliner U-Bahn ein Mann abgestochen wurde und blutend zusammenbrach. Ein anderer Schulkamerad sah, wie eine Gruppe junger Männer im Streit einen anderen vor die S-Bahn gestoßen hat. Er fiel in den Spalt zwischen der einfahrenden Bahn und dem Bahnsteig. Ein Rad riss ihm seinen kompletten Unterschenkel ab.
Das alles war vor Kai Wegner und der CDU – aber verbessert hat sich entgegen aller Versprechen nichts. Berlin hat nicht „den Wechsel gewählt“. Genauso wenig wie es Deutschland mit Friedrich Merz und der Bundespartei getan hat. Während Merz sich als neuen Brandmauer-Kanzler feiert und mit der SPD die Ampel noch von Links überholt, stellt Deutschland einen neuen Terror- und Gewaltrekord nach dem anderen auf. Es werden Volksfeste und Kinderkarnevals-Veranstaltungen abgesagt, weil man nicht für die Sicherheit der Teilnehmer garantieren kann. Jede größere Stadt ist mit Anti-Terror-Pollern gepflastert. Jede Tageszeitung voll mit Berichten über Messerattacken – über Menschen wie Steven H., der in ein paar Wochen seinen 30. Geburtstag in Thailand feiern wollte. Menschen, deren Namen unsere Politiker am liebsten verschweigen würden.