
Opposition ist Mist. Die Worte des einstigen SPD-Chefs Franz Müntefering gelten. Allerdings ist Regierung auch nicht immer schön. Wenn du zum Beispiel eine Mietpreisbremse als Quatsch erkannt hast, sie allem widerstrebt, für was du kämpfst und die sie dann doch machst, weil dein Koalitionspartner eine Mietpreisbremse will und dein Chef einen Dienstwagen. Denn dann kommt irgendwann der Moment, in dem du diesen Beschluss im Bundestag verteidigen musst. Öffentlich. Regierung ist Mist.
In solchen Momenten, in denen du wider deine Überzeugung handelst, schickst du als Fraktion nicht die erste Reihe ans Pult. Das würde sie beschädigen. Also schubst die Union Susanne Hierl (CSU) ans Mikrofon. Die Mietpreisbremse sei nur ein erster Schritt, sagt Hierl. Da komme noch mehr. Was denn? Doch bitte nicht ein Arbeitskreis, der irgendeinen anderen Namen erhält, weil jeder mittlerweile weiß, dass Arbeitskreise nur die Simulation von Politik sind. Es wird eine Expertengruppe geben, sagt Hierl. Die werden so lange beraten, bis sie Lösungen für die Probleme gefunden haben. Danke. Reicht. Die Union ist zu Ende erzählt.
Das Thema Wohnungsnot ist indes nicht zu Ende erzählt. Ganz im Gegenteil. Manche Experten sagen, es fehlten in Deutschland 500.000 Wohnungen, andere sagen, es gäbe sogar 800.000 Wohnungen zu wenig. Dass es einen Mangel gibt, beweisen die rasant steigenden Mieten in den Städten – und vor allem die absurden Schlangen, die sich bilden, wenn in einer Stadt wie München eine Wohnung zur Vermietung angeboten wird. Rund 400.000 neue Wohnungen bräuchte Deutschland im Jahr, hat die Ampel festgestellt. Die alte Regierung wollte diese bauen. Doch unter Ministerin Klara Geywitz (SPD) ist der Bau eingebrochen – am Ende hat die Ampel sich schwergetan, auch nur die Hälfte der 400.000 neuen Wohnungen zu packen.
Wie bei so vielen Themen ist es die AfD, die den Elefanten anspricht, der im Raum steht und vor dem die “Parteien der demokratischen Mitte” sich derart fürchten, dass sie ihn nicht beim Namen nennen: Eine Einwanderung von mehreren Millionen Menschen habe dafür gesorgt, dass der Wohnraum knapper wird und in logischer Folge die Mieten steigen, sagt Christopher Grimm. Der Wohnungsbau komme nicht hinterher.
Nun soll es also die Verlängerung der Mietpreisbremse richten, wie Stefanie Hubig (SPD) im Bundestag erklärt. Sie ist die neue Ministerin für Verbraucherschutz. Werden Wohnungen neu vermietet, darf danach Miete nicht mehr als zehn Prozent über der Vergleichsmiete in der jeweiligen Stadt liegen. Das helfe, damit die Mieten langsamer ansteigen, sagt zumindest Ministerin Hubig. Auch sie spricht von “weiteren Vorhaben zum Schutz von Mietern”, auf die sich Union und SPD schon in ihrem Koalitionsvertrag geeinigt hätten. Etwa das Schließen von “Schlupflöchern” und die Umwälzung der Nebenkosten vom Mieter auf den Vermieter.
Die Mietpreisbremse greife ins Leere. Diese Kritik vereint Grüne, Linke und AfD. Die Begründungen sind nur unterschiedlich. Hanna Steinmüller (Grüne) bemängelt, dass die Bremse in der Praxis so gut wie nie gezogen werde. Sie zitiert eine Studie aus München, wonach nur 2,4 Prozent der Mieter darauf zurückgegriffen hätten, die ein Recht dazu hatten. Vielleicht, weil sie sich nicht getraut hätten, vermutet Steinmüller, aus ihrer Sicht aber sei es eher wahrscheinlich, dass die Mieter von der Bremse nichts gewusst hätten. Caren Lay (Linke) ist sich indes sicher, dass sich auf einem harten Mietmarkt kein Mieter mit seinem Vermieter anlegen wolle.
Grimm kritisiert, dass die Regierung die Mietpreisbremse als Rettung verkaufe, die “ist aber nichts anderes als ein politisches Feigenblatt”. Eher noch sei das Instrument ein Teil des Problems. Denn die Bremse schrecke potenzielle Bauherren von einer Investition ab, was wiederum den Mangel verschärfe und die Mieten somit weiter in die Höhe treibe. Für den AfD-Abgeordneten liegt die Lösung der Wohnungsnot in der Einwanderung: “Wir müssen den Druck reduzieren und die Zuwanderung drastisch begrenzen.”
Auf den Zusammenhang zwischen Einwanderung, mehr Nachfrage und zu geringem Angebot gehen die anderen Parteien nicht ein. Doch ein Argument Grimms greift Hierl auf: Sein Argument greife ins Leere, dass die Mietpreisbremse Investoren vor Neubauten abschrecke. Die Bremse gelte ja nur für Bestandswohnungen, nicht für Neubauten. Eine kurze Pause. Das ist die Wirtschaftskompetenz der CSU im Jahr 2025: Wer eine Investition tätigt, die über 50, wenn nicht gar über 100 Jahre die Kosten einspielen und dann Rendite abwerfen soll, dann interessiert ihn nur, dass er am Anfang frei in der Preisgestaltung ist – was danach kommt, sei ihm egal. Setzen lassen. So ist das dieser Tage mit der Union.
Dann kommt Hierl noch auf den entscheidenden Punkt. Eher aus Versehen. Man müsse Linke daran erinnern, dass Verfassungsrechte auch für Vermieter gelten würden. In der Fußball-Talkshow DoPa müsste die CSU-Frau für eine solche Erkenntnis das Phrasenschwein füttern. Doch im Bundestag ist das ein berechtigter Hinweis. Und dass die Linken die Vermieter als Feind behandeln, prägt sowohl die Debatte um die Mietpreisbremse als auch die gesamte deutsche Wohnungsmarkt-Politik. Nur sitzt diese Art von Linken nicht ausschließlich in der Partei, die sich so nennt. Sie sitzen auch in der grünen Fraktion. Beim Koalitionspartner SPD. Und immer mehr auch in CDU-CSU selbst. Etwa wenn Hierl tatsächlich glaubt, verkaufen zu können, dass sich Wohnungsnot auflöst, wenn staatlich eingesetzte Experten lange genug darüber quatschen. Noch schlimmer wäre nur, falls sie das tatsächlich selbst glaubt.
Als ob man mit einem Stück Papier Naturgesetze außer Kraft setzen könne. So beschreibt der AfD-Abgeordnete Grimm die Wohnungsbau-Politik der Vereinten Linke im Bundestag, die von Misstrauen gegenüber den Vermietern geprägt ist. Sieht man sich einen Änderungsantrag der Partei die Linke an, zeigt sich, in welche Richtung der Wohnungsbau in Deutschland gehen soll: Demnach seien zehn Prozent über der üblichen Preislage “noch viel zu viel”. Die Mieten müssten auf die ortsübliche Vergleichsmiete festgelegt werden. Das wäre dann ein Einheitspreis. Also ganz im Sinne der einstigen Einheitspartei.
Ob Hierl den Zusammenhang versteht, der zwischen Investoren Freiräume lassen, Anreize für den Wohnungsbau schaffen, tatsächlichem Wohnungsbau und Miethöhen besteht? Wer weiß. Die Linke Lay versteht den Zusammenhang ganz sicher. Und wenn AfD-Mann Grimm warnt, die Mietpreisbremse halte Private vom Wohnungsbau ab, dann wird die Linke das niemals zugeben – aber die Analyse teilen sie. Nur, dass das Ergebnis halt ganz in ihrem Sinn ist. Sie wollen einen staatlichen Wohnungsbau. Das geht aus ihrem Änderungsantrag hervor, der ein großes, staatliches, mit Schulden finanziertes Investitionsprogramm in den Wohnungsbau vorsieht.
Was passiert? Was macht die Union? Also für den Anfang behandelt der Bundestag die Verlängerung der Mietpreisbremse nun in den Ausschüssen. Dann wird sie vermutlich mit Stimmen von CDU, CSU und SPD beschlossen. Doch was, wenn die Mieten trotzdem steigen? Und sogar die Experten in ihrem Arbeitskreis keinen Zauberspruch finden, mit dem sich die Wohnungsnot – Abrakadabra, Simsalabim, Avada Kedavra – auflösen lässt? Dann muss die CDU-CSU sich entscheiden, ob sie die eine vergebliche Polit-Simulation durch eine andere Simulation ersetzen will, um sich nochmal etwas Zeit zu kaufen. Und ob die Partei Ludwig Erhards an der freien Marktwirtschaft festhalten will. Oder ob sie ihres Koalitionspartners und des Dienstwagens zuliebe in den staatlichen Wohnungsbau einsteigen will. Hand aufs Herz, wer nicht weiß, wie das ausgeht.