
Nachdem die Reform der Schuldenbremse am Freitag auch den Bundesrat passiert hat, steht einer Regierungsbildung nur noch die Einigung in den Koalitionsverhandlungen der CDU/CSU und SPD im Weg. Bereits bei der Schuldenfrage ist CDU-Chef Friedrich Merz weit von seiner ursprünglichen Position von vor der Wahl zur Schuldenbremse abgewichen und hat somit einen Großteil seiner Wählerschaft getäuscht, stellt auch das ZDF-„Politbarometer“ in einer Umfrage fest.
Damit hat sich Merz unmittelbar nach der Wahl mit großen Schritten auf seine Koalitionspartner zubewegt. Umso mehr legt die Union jetzt Wert darauf, in der Migrationsfrage die eigene Position durchzusetzen. Bislang weigern sich die Sozialdemokraten aber, sich den Christdemokraten gleichsam anzunähern. Vergangene Woche veröffentlichte die Arbeitsgruppe Migration der SPD ein Papier, in dem unter anderem das Wahlrecht für alle, die langfristig in Deutschland leben, gefordert wird, „unabhängig von ihrer Staatsbürgerschaft“ (Apollo News berichtete).
Vor der Wahl machte Merz große Versprechungen: „Ich werde im Fall meiner Wahl zum Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland am ersten Tag meiner Amtszeit das Bundesinnenministerium im Wege der Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers anweisen, die deutschen Staatsgrenzen zu allen unseren Nachbarn dauerhaft zu kontrollieren und ausnahmslos alle Versuche der illegalen Einreise zurückzuweisen“, sagte der CDU-Vorsitzende in Reaktion auf den Anschlag in Aschaffenburg. Jetzt wackelt er. Damit droht die Migrationsforderung, sich in eine ganze Reihe von Versprechen einzureihen, die die Union seit der Bundestagswahl hat fallen lassen.
Als Oppositionsführer übten sich die Christdemokraten an harter Kritik an Beschlüssen wie dem Heizungsgesetz, dem Cannabisgesetz oder dem Selbstbestimmungsgesetz. Im gemeinsamen Wahlprogramm versprach die Union deutlich, das Heizungsgesetz der Ampel abzuschaffen.
In das Sondierungspapier mit der SPD hat es diese Forderung hingegen nicht geschafft. Zu groß war offenbar die Furcht, die Gunst der Grünen zu verlieren, auf die die CDU für die Abstimmung zur Grundgesetzänderung bei der Schuldenregel angewiesen war. Außerdem äußerte bereits der CDU-Politiker Thomas Heilmann verfassungsrechtliche Bedenken bei der Abschaffung des Gesetzes (Apollo News berichtete). Auch wenn Abgeordnete wie Tilman Kuban beschwichtigten, große Forderungen zur Rückabwicklung lassen bislang auf sich warten.
Und auch das Selbstbestimmungsgesetz soll laut dem CDU-Programm rückgängig gemacht werden. „Die voraussetzungslose, jährliche Änderungsmöglichkeit von Vornamen und Geschlecht hat sich als falsch erwiesen. Der Schutz von Kindern und Jugendlichen ist in den Vordergrund zu stellen“, wird ein Sprecher des CDU-Bundesvorstands in der Welt zitiert. Hier scheint es nahezu ausgeschlossen, dass sich die SPD gegen das selbst verabschiedete Gesetz stellen wird.
Der queerpolitische Sprecher der SPD, Falko Droßmann, kündigte im Interview mit der Siegessäule im Februar an: „Das Selbstbestimmungsgesetz bleibt!“ Weiter warf er der Union vor, die Grenzen zum Populismus zu übertreten. Von der Union war zu diesem Thema seit der Wahl nichts zu hören.
Gleiches zeichnet sich beim Cannabisgesetz ab. Obwohl Merz etwa gegenüber der Funke Mediengruppe ankündigte, das Gesetz „nach einer Regierungsübernahme umgehend rückgängig“ zu machen, findet sich auch darüber nichts im Sondierungspapier. Thorsten Frei rückte sogar von der Maximalforderung ab, indem er sagte, dass die Schwerpunkte in anderen Bereichen liegen, wie dem Thema wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit und Beendigung der illegalen Migration. Themen, bei denen sich die Union schwer genug tut.
Doch auch beim selbst ausgerufenen Schwerpunktthema Wirtschaft und Arbeit lässt die Union die Schärfe aus der Oppositionszeit vermissen. Zwar gelang es ihnen, kleine Erfolge in das Sondierungspapier aufzunehmen. Zum Beispiel ließen sich die Sozialdemokraten darauf ein, härtere Anforderungen und gegebenenfalls Sanktionen gegen Bürgergeldempfänger zu verschärfen und die Aktivrente sowie Steuererleichterungen für Überstunden mit aufzunehmen. Gleichzeitig ist in Forderungen wie ein Mindestlohn von 15 Euro bis 2026 die Handschrift von Esken und Klingbeil zu erkennen.
Eine weitere, zentrale Forderung der CDU zur Stärkung der Wirtschaft war, für günstige Energie zu sorgen. Dass eine Festlegung auf erneuerbare Energien und die Verknappung des Energieangebots durch das Abschalten von leistungsstarken Kern- und Kohlekraftwerken der Industrie schadet, zeigen die Jahre der Ampelregierung unter Wirtschaftsminister Robert Habeck. Einer Umfrage der Deutschen Industrie- und Handelskammer zufolge, überlegen 45 Prozent der Industrieunternehmen mit hohem Stromkostenanteil, ihre Produktion im Inland einzuschränken oder ins Ausland zu verlagern.
Vor der Wahl forderte die CSU, die Kernkraft weiterzunutzen und weiterzuentwickeln. Im Sondierungspapier heißt es lediglich, dass „Reservekraftwerke zur Stabilisierung des Strompreises zum Einsatz kommen“ sollen. Damit sind keine Kernkraftwerke gemeint. Öffentliche Forderungen, die AKWs wieder in Betrieb zu nehmen, gab es bislang nicht.
Im zweiten Schwerpunktthema Migration prägt vor allem die Frage, ob Zurückweisungen von illegalen Einwanderern an den Grenzen mit dem expliziten Einverständnis der Nachbarländer geschehen sollen, die Debatte. Bereits das Staatsangehörigkeitsgesetz der Ampel kritisierte die Union. „Das ist das Gesetz der Ampel in dieser Legislaturperiode mit den weitreichendsten negativen Folgen für unsere Gesellschaft“, kritisiert Alexander Throm.
Der CDU-Politiker bezeichnete das Gesetz als „Staatsangehörigkeits-Entwertungs-Gesetz“. Auch dieses Gesetz wollte die Union ursprünglich rückgängig machen – schon damals hagelte es Kritik von der SPD dafür. „Ich wünsche mir, dass Friedrich Merz endlich aufhört, Migration ständig als Bedrohung darzustellen“, so Miersch im Spiegel.
Wie wenig Erfolg die Union dabei hat, selbst ihre fundamentalsten Maßnahmen durchzusetzen, zeigt, wie unwahrscheinlich es ist, dass die lange Liste an Forderungen bestehen bleiben werden, die die Union von der Oppositionsbank aus aufstellte und damit genügend Wähler überzeugte, ihnen ihre Stimme zu geben. Das ist nicht zuletzt bereits beim Einknicken in der Schuldenfrage sowie dem Rückzieher bei der Anfrage über die Finanzierung von NGOs deutlich geworden.
Friedrich Merz hat seine Karten bereits aus der Hand gegeben, indem er das Tor für sämtliche Lieblingsprojekte der SPD und eine Fortführung der fehlerhaften Politik der vergangenen Jahre, insbesondere im Bereich Migration und Wirtschaft, geöffnet hat. Zumindest bei der Migration will die Union sich jetzt durchsetzen. Sobald sich die SPD aber entgegenstellt, bleibt Friedrich Merz nicht viel anderes übrig, als klein beizugeben.
Andernfalls können die Sozialdemokraten die Koalitionsverhandlungen platzen lassen und die politische Karriere des Sauerländers beenden. Der wahrscheinlichste Ausgang bleibt ein Kompromiss auf Kosten der bürgerlichen Wähler – linke Politik unter christdemokratischer Führung.