Milliarden-Kosten für Endlos-Prozesse: Wie der Kauf von Monsanto den Traditions-Konzern Bayer in den Abgrund reißt

vor 10 Monaten

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Bildquelle: NiUS

Mit Bayer steht der nächste deutsche Traditionskonzern vor großen Problemen: Die juristischen Prozesse rund um das Thema Glyphosat fressen Milliardensummen auf. Ein Ende der gerichtlichen Schlammschlachten ist vorerst nicht in Sicht.

Die Aktie der Bayer AG aus Leverkusen fällt seit Juni 2017 kontinuierlich. Hatte das Papier zur Jahresmitte 2017 noch bei 120 Euro gelegen, notiert es heute um die 27 Euro. Es hat also in sieben Jahren 80 Prozent seines Wertes verloren. Wer im Juni 2017 für 1.000 Euro Bayer-Aktien gekauft hat, besitzt heute noch Werte für etwa 225 Euro. Ob die Bayer-Aktie ihr Allzeithoch vom 10. April 2015, das bei 143,43 Euro lag, jemals wieder erreicht, steht in den Sternen – wahrscheinlich ist es nicht.

Nun fallen die Reaktionen auf solche Hiobsbotschaften von der Börse in Deutschland ja immer recht ähnlich aus. Da sind einmal die Leute, leider die meisten, die keine Aktien besitzen, weshalb ihnen alle Arten von Börsennachrichten total egal sind. Dann kommen die Herrschaften, die behaupten, dass jedes Investment in Aktien reine Spekulation wäre und die Börsen nichts anderes als Casinos seien, wo Zocker um einen grünen Tisch mit Roulette-Rad sitzen und blind auf irgendeine Zahl setzen, die dann kommt oder nicht. Und dann gibt es die professionellen Gesundbeter, die zwar verstehen, dass die Anteile an den meisten internationalen Großunternehmen in Form von Aktien an den Börsen gehandelt werden (müssen), allerdings meinen, dass die Kurse selbst kaum etwas über die wirtschaftliche Verfassung eines Unternehmens aussagten, sondern allein von den Launen von Banken, Fonds und Spekulanten abhängig seien.

Die Vertreter dieser Theorien liegen alle falsch. Wer keine Aktien besitzt und die Börsen ignoriert, mag zwar gut verdienen, aber er wird nie ein solides Vermögen aufbauen und kann nicht von den zigfach bewiesenen Wertsteigerungen eines wohldiversifizierten Aktienportfolios profitieren. Wer glaubt, dass Börsen Casinos und Anleger Zocker seien, hat – Entschuldigung! – von Wirtschaft null Ahnung und ignoriert 150 Jahre Wirtschaftsgeschichte, die das Gegenteil beweisen.

Am Standort in Leverkusen herrscht derzeit gedämpfte Stimmung.

Jetzt kommen wir zu den Gesundbetern. Das sind zum einen Kleinanleger, die miese Aktien im Portfolio haben und jetzt ihre Fehlkäufe in kleinen, verschwiemelten Internetforen rechtfertigen wollen in der vagen Hoffnung, dass ihre fallenden Papiere irgendwann auf mirakulöse Weise (und ohne Rücksicht auf betriebswirtschaftliche Fundamentaldaten) doch noch nach oben abzischen. Unter den Gesundbetern sind aber auch viele Wirtschaftsjournalisten, die es eigentlich besser wissen sollten, von ihrem Chefredakteur aber den Auftrag erhalten haben, deutsche Vorzeigeunternehmen, die unter die Räder der grünen Wirtschaftspolitik geraten sind, nach oben zu schreiben. Diese bedauernswerten Zeitgenossen müssen nun wöchentlich Börsenbulletins veröffentlichen, die immer nur einen Tenor kennen: Es ist alles nicht so schlimm, noch ist die deutsche Wirtschaft nicht verloren, bald geht es wieder aufwärts. Freilich: Die Aktien der deutschen Vorzeigeunternehmen hinken denen der amerikanischen Technoriesen meilenweit hinterher, aber die Börse sieht das im Moment offenbar nicht richtig, das wird schon wieder besser, das renkt sich wieder ein.

Die Bayer AG ist ein gutes Beispiel dafür, dass sich nichts schnell wieder einrenken wird. Denn die Probleme bei Bayer sind riesengroß, und sie haben zwei furchtbare Namen: Monsanto und Glyphosat. Im Jahr 2018 hat Bayer den amerikanischen Chemiekonzern Monsanto, einen Spezialisten für Unkrautvernichtungsmittel, für 68 Milliarden Euro gekauft. Das war der bis heute größte Unternehmenszukauf eines deutschen DAX-Wertes überhaupt. Und der unglücklichste – um ein schlimmeres Wort zu vermeiden – gleich dazu. Denn Bayer hat nicht nur Monsanto gekauft, sondern die massiven juristischen Probleme der Amerikaner obendrein.

Im Zentrum dieser Probleme steht das Unkrautvernichtungsmittel Roundup von Monsanto, das den Wirkstoff Glyphosat enthält, der krebserregend sein soll, was Bayer auf Basis vieler Gutachten jedoch für widerlegt hält. Das hält tausende amerikanischer Kläger aber nicht davon ab, seit Jahren gegen Bayer als Rechtsnachfolger von Monsanto zu prozessieren. Wer jemals einen der vielen amerikanischen Gerichtsfilme gesehen hat, der weiß: Gerichtsprozesse laufen in Amerika ganz anders als bei uns. Sammelklagen für hunderte, ja tausende von Klägern sind dort für große und gewiefte Anwaltskanzleien eine lukrative Industrie. Ziel der Prozesse ist es stets, für die Kläger enorme Entschädigungen einzuklagen, von denen die Anwälte dann ein Drittel als Honorar erhalten. Das funktioniert deshalb so gut, weil die von den Geschworenen zuerkannten „Punitive damages“ oft exorbitant hoch sind. Punitive damages sind im amerikanischen Rechtssystem eine Form von Schadensersatz, der nicht primär dazu dient, den Kläger für erlittene Verluste zu entschädigen (dafür gibt es den kompensatorischen Schadensersatz), sondern der darauf abzielt, den Beklagten zu bestrafen und von zukünftigem Fehlverhalten abzuschrecken.

Wie so etwas in der Praxis läuft, zeigen bekannte Fälle aus der Vergangenheit: 1998 mussten die amerikanischen Tabakfirmen 206 Milliarden Dollar an Strafen zahlen, BP wurde 2016 nach der Deepwater-Horizon-Katastrophe mit 20 Milliarden Dollar zur Kasse gebeten, und Volkswagen musste 2016 fast 15 Milliarden Dollar wegen seiner Schummel-Software beim Abgastest („Dieselgate“) an den Staat Kalifornien entrichten. Bayer hätte also lange vor der Übernahme von Monsanto wissen können, was auf den Konzern zukommt, hat dieses Risiko aber anscheinend fahrlässig ignoriert.

Beim Thema Glyphosat scheiden sich seit Jahren die Geister.

Bayer ist bei den Kosten für Anwälte, Prozesse und Schadensersatzzahlungen längst in den Dimensionen anderer Rekordklagen angekommen. Das Unternehmen hat bislang 16 Milliarden Euro an Rückstellungen für die Beilegung der Glyphosat-Klagen eingebucht, wovon bereits 10 Milliarden ausgegeben wurden. Im Moment gibt Bayer pro Jahr für die Rechtsstreitigkeiten in den USA mehr aus als die 2,4 Milliarden Euro für Forschung und Entwicklung im ganzen Konzern – ein schlechtes Omen für einen Pharmakonzern, der nicht vom Verkauf uralter Generika wie Aspirin lebt, sondern von der Entwicklung neuer Medikamente.

Und ein Ende ist nicht in Sicht: Zwar will nun Bayer den Supreme Court der Vereinigten Staaten anrufen, aber ob der total überlastete oberste Gerichtshof das Verfahren überhaupt annimmt, ist mehr als zweifelhaft. Bislang hat Bayer mit milliardenteuren Vergleichen vor Gericht unfassbare 114.000 Klagen beendet, aber 58.000 weitere Klagen sind noch offen und hängen über dem Konzern wie das sprichwörtliche Damoklesschwert. Konzernchef Bill Anderson, der in den Prozessen eine „existenzielle Bedrohung“ sieht, verspricht bis Ende des Jahres Lösungen zu präsentieren.

Eine endgültige Beilegung der amerikanischen Klagen könnte so aussehen wie bei BP nach Deepwater Horizon: Bayer einigt sich mit allen Klägern darauf, einen Treuhandfonds mit einer Summe in der Größenordnung von 30 Milliarden Dollar auszustatten, aus dem dann die Schadenersatzansprüche sämtlicher Kläger befriedigt werden. Erst wenn ein solch endgültiger Schlussstrich gezogen ist, könnte sich die Aktie wieder erholen.

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