
Die Bürokratie müsse abgebaut, die Wirtschaft dadurch befreit und gestärkt werden – so lautete die Einsicht und das Versprechen des neuen Bundeskanzlers Friedrich Merz (CDU) im Wahlkampf. Doch auch dieses Versprechen hat die Beförderung Merz’ nicht überstanden: Ein zusätzliches Ministerium und eine zusätzliche Stelle für einen Staatssekretär zeigten bereits früh auf, dass seine Regierung in die entgegengesetzte Richtung des Versprochenen geht.
Nun hat sich Merz Parteifreundin und Familienministerin Karin Prien gegenüber der Funke Mediengruppe für ein Pflegegeld ausgesprochen. Wer seine Angehörigen zuhause pflegt, soll mit seiner Arbeit pausieren und von diesem Geld leben können. Prien selbst habe an dieser neuen staatlichen Leistung ein “riesengroßes Interesse”. Im Koalitionsvertrag ist vom “Einstieg” in eine solche Zahlung tatsächlich die Rede. Unter dem üblichen Vorbehalt der Finanzierung. Über die inhaltlichen Details ihrer Idee äußerte sich Prien nicht konkret.
Das Problem der Pflege ist bekannt: 5,7 Millionen Menschen waren in Deutschland Ende 2023 pflegebedürftig, teilt das Statistische Bundesamt mit. Im Jahr 2009 seien es lediglich 2,3 Millionen Menschen gewesen. Mit der zunehmenden Alterung der Gesellschaft werde der Bedarf weiter steigen. Dies sei mit rein professionellen Pflegekräften nicht zu bewältigen, sagt Prien. Deswegen müsse der Staat die unterstützen, die ihre Angehörigen zuhause versorgten.
Die Pflege ist schon jetzt einer der Bereiche, in denen sich zeigt, dass der deutsche Staat an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit geraten ist und grundsätzlich Wünschenswertes nicht mehr finanzieren kann. Demnach haben sich zwar die Einnahmen des gesamten Staates laut Statistischem Bundesamt von 2020 auf 2024 von 1,5 auf 2 Billionen Euro erhöht. Im Wesentlichen stammt dieses Geld aus den Steuern der Bürger. Doch trotz der steigenden Einnahmen kann die Politik mit diesem Geld nicht haushalten, sind die Ausgaben im gleichen Zeitraum von 1,7 auf 2,1 Billionen Euro gestiegen.
Als wesentlichen Kostentreiber macht das Bundesamt die Sozialausgaben aus. Etwa die zunehmenden Kosten des Bürgergelds, für die Gesundheitsversorgung und eben auch für die Pflege. Das Defizit der Kommunen ist im vergangenen Jahr von 6,6 Milliarden auf 24,8 Milliarden Euro deutlich gestiegen. In den Städten und Gemeinden fällt ein Großteil der Sozialausgaben an. Wobei reine Sparsamkeit als Reaktion auch problematisch ist. So verlangen die Krankenkassen einen Ausgabenstopp. Nur arbeiten viele Kliniken und Pflegeheim schon jetzt defizitär. Sowohl die Pflege wie auch das Krankenhauswesen erleben eine Pleitewelle. Würde der Staat an dieser Stelle einfach sparen, kann sich das entsprechend auf die Infrastruktur auswirken.
Um die nicht vorhandenen finanziellen Spielräume wusste Merz. Zumindest nach der Wahl. Entsprechend erteilte er sich zusammen mit SPD, Grünen und Linken noch vor seinem Amtseintritt das Recht, ungebremst staatliche Schulden machen zu dürfen. Die bis dahin gültige Bremse in der Verfassung schafften Bundestag und Bundesrat ab. Doch es gibt noch die Grenzen des europäischen Rechts. Demnach darf der Schuldenstand eines Mitgliedslands der EU nicht 60 Prozent seines Bruttoinlandproduktes überschreiten. Das soll die gemeinsame Währung Euro stabil halten.
Nun hat die Merz-Regierung beschlossen, wieder stärker auf Schulden zu setzen. 500 Milliarden Euro für “Investitionen in die Infrastruktur”. 100 Milliarden Euro allein für den Klimaschutz. Für die Verteidigung will der Christdemokrat unbegrenzt viele Geld ausgeben. “Whatever it takes”. Damit entfernt sich die Merz-Regierung willentlich von den Vorgaben, die einer seiner Vorgänger Helmut Kohl (CDU) einst mit entwickelt hat, um den Euro stabil zu halten.
Mit den Schulden geht die Erhöhung der Staatsquote einher. Die ist laut Statistischem Bundesamt im vergangenen Jahr um 1,1 Prozentpunkte auf nun 49,5 Prozent gestiegen. Damit liegt Deutschland nun über dem Schnitt der EU von 49,2 Prozent. Auch hier sieht das Amt die steigenden Sozialausgaben für den Grund der höheren Staatsquote. Ein Blick auf die Historie der Quote zeigt: In wirtschaftlich guten Jahren liegt sie unter 45 Prozent. So war es etwa 2007, 2008, 2014 und 2015. Also vor und nach der Bankenkrise. In Krisenzeiten wie der Pandemie geht die Quote über die Grenze von 50 Prozent hinaus. Ihren höchsten Stand erreichte sie in Deutschland 1995 mit 55,2 Prozent, als die Regierung Kohl die Schulden der sozialistischen DDR-Wirtschaft abwickeln musste.
Dass es weniger Staat bräuchte, um die Wirtschaft wieder zum Laufen zu bringen, weiß Merz. Beziehungsweise. Er wusste es. Vor der Wahl. Nun geht sein eigenes Regierungshandeln in die andere Richtung: neue Ministerien, neue Staatssekretärsstellen, aber vor allem massiv neue Staatsschulden. Und auch die Vorschläge seiner Ministerinnen führen zu mehr Staat: Rentenpflicht für Selbstständige oder eben Pflegegeld.
Wobei Prien einräumt, dass diese Zahlung nur mit einer stärker werdenden Wirtschaft möglich werde. Genauso gut könnte sie als Voraussetzung festlegen, dass vorher Schweine fliegen lernen. Mit der Politik der Investitionspakete hat die Regierung Scholz einen Teufelskreis ausgelöst: Schulden basierte Ausgaben führten zu höherer Staatsverschuldung und zu höherer Staatsquote. Die wiederum lähmten die Wirtschaft und ließen sie zwei Jahre in Folge schrumpfen – im dritten Jahr korrigieren Bund und EU die “Wachstums”-Prognosen permanent nach unten. Aktuell gehen sie von exakt null Prozent Wachstum aus. Also von Stagnation.
Merz setzt diese Politik fort. Nur von den wenigsten der geplanten Ausgaben kann die Wirtschaft auf einen echten finanziellen Vorteil hoffen. Etwa durch die Senkung der Stromsteuer. Andere Ausgaben bringen der Wirtschaft bestenfalls indirekte Vorteile. Etwa Investitionen in die Verteidigung. Staatliche Ausgaben lösen zwar ein kurzes Konjunktur-Feuer aus. Doch wie schnell das verlöscht, zeigt sich an den “Wummsen” von Olaf Scholz – und dem danach einsetzenden Schrumpfen der Wirtschaft im nunmehr dritten Jahr in Folge.
Die Regierung Merz müsste ans Einsparen ran und ans bessere Wirtschaften. Für beides ist das Bürgergeld ein Symbol. Keines der Projekte der Ampel ist derart schiefgegangen wie die massive Erhöhung des staatlichen Geldes für Langzeitarbeitslose – und der staatliche Verzicht darauf, Empfänger unter Druck zu setzen, um Arbeit und Gehalt anzunehmen. In einem Land, in dem die Regierung “Arbeitskräftemangel” als eines ihrer Probleme ausgibt, steigt die Arbeitslosigkeit. Wer nur wenig oder mittelmäßig verdient, wird in der Bundesrepublik zum “Held der Arbeit” – denn er mehrt den Wohlstand des Landes, obwohl er nicht entscheidend mehr davon hat als ein Langzeitarbeitsloser.
Doch von Einsparen ist nichts in Sicht. Indem Friedrich Merz und sein Koalitionspartner Lars Klingbeil (SPD) als erstes gemeinsames Projekt die Schuldenbremse gelöst haben, haben sie eine Goldgräber-Stimmung ausgelöst. Allerdings eine, die auf leistungslosen Verdienst aus ist. Auf staatliches Geld und das auch noch auf Schulden basiert. Seit dem Aufweichen der Schuldenbremse mehren sich die Stimmen, was alles mit “Sondervermögen” bezahlt werden soll.
Wobei Gerd Schröder (SPD) der letzte Bundeskanzler war, der wirklich Reformen herbeigeführt hat, um die Wirtschaft von Vorgaben zu befreien. Seine Nachfolger haben dann nur noch den Wohlstand verfrühstückt. Und von Kanzler zu Kanzler verschlechtert sich die Lage. Die Regierung Scholz hat trotz Wirtschaftskrise die Steuereinnahmen steigen lassen. Das hat Betriebe und Beschäftigte belastet. Zu stark belastet, wie die jüngste Steuerschätzung zeigte. Die Einnahmen brechen ein. Sattelt die Regierung Merz trotzdem obendrauf, dürfte sich der Effekt der Überforderung schnell verstärken. Mit höherer CO2-Bepreisung oder weiter steigenden Beiträgen zur Krankenkasse könnte auch – entgegen aller Versprechen – schnell die Belastung weiter steigen. Im Wahlkampf hat Friedrich Merz noch eingesehen, dass die Wirtschaft und die Bürger weniger Staat und mehr Entlastung bräuchten. Doch im Regierungsalltag zeigen er und seine Minister das Gegenteil. So wie jetzt Karin Prien.