
Wenn sich der Bundesinnenminister mit Amtskollegen aus fünf Ländern plus einem EU-Kommissar auf Deutschlands höchstem Berg trifft, dann ist das ein deutlicher Hinweis auf die politische Fallhöhe der Veranstaltung.
Erwartungsgemäß ist man abgestürzt.
Immerhin auf die BILD-Zeitung kann sich Alexander Dobrindt aber derzeit verlassen: Das Springer-Blatt jubiliert über einen „knallharten Migrationsgipfel“. Der deutsche Innenminister von der CSU habe „seine Amtskollegen aus Deutschlands Nachbarländern auf eine harte Linie in der Migration verpflichtet“.
Das klingt nach einem kernigen Erfolg, ist aber leider falsch.
Dobrindt gehört fraglos zum eher professionellen Personal in der neuen Bundesregierung. Er weiß, was von ihm erwartet wird – und das ist vor allem eine Verschärfung der Migrationspolitik. Bundeskanzler Friedrich Merz hat zwar genau mit diesem Versprechen die Wahl gewonnen, ist inzwischen aber als Vertreter einer Asylwende ein Totalausfall. Dem Kanzler geht der Koalitionsfriede mit der SPD über alles. Dafür vergisst Merz bedenkenlos jede Zusage, die er dem deutschen Volk im Wahlkampf gemacht hat.
Und so bleibt die Aufgabe, den Wählern und Anhängern der Union eine irgendwie glaubhafte neue Asylpolitik zu verkaufen, komplett am Bayern Dobrindt hängen. Dabei hat der Bundesinnenminister zwei objektive Probleme:
Erstens wollen die sozialdemokratischen Koalitionspartner nichts so wenig wie eine schärfere Ausländerpolitik – im Gegenteil, die SPD will die ungebremste Zuwanderung von Wirtschaftsflüchtlingen aus aller Welt immer noch weiter erleichtern. Zweitens werfen ihm auch zahlreiche grün-links orientierte Richter bei jedem noch so kleinen Schritt in Richtung eines konsequenten Schutzes der deutschen Grenzen jede Menge Knüppel zwischen die Beine.
Polit-Profi Dobrindt tut, was man in seiner Branche und in seiner Lage dann halt tut: Mit allerlei Nebelkerzen erweckt er den Anschein von Entschlossenheit, Tatkraft und Durchsetzungsstärke.
Medienwirksam führt er an ein paar bekannten Orten Grenzkontrollen ein. Dann protestiert die SPD, die Bundespolizei macht auf akuten Personalmangel aufmerksam, und die Nachbarländer beschweren sich. Prompt werden die Grenzkontrollen wieder stark zurückgefahren. Nur an ein paar Orten gibt es weiter welche – um öffentlich zutreffend erklären zu können, es gebe ja Grenzkontrollen.
Jetzt lud Dobrindt – nicht weniger medienwirksam – seine Amtskollegen aus Dänemark, Frankreich, Österreich, Polen und Tschechien zu einem „Migrationsgipfel“ auf die Zugspitze. Mit dazu kam auch der EU-Migrationskommissar Magnus Brunner, ebenfalls ein Österreicher. An markigen Sprüchen fehlte es dem Treffen nicht. Zitat Dobrindt:
„Die Migrationswende kann nicht nur in Deutschland, sondern muss auch in Europa stattfinden. Wir demonstrieren unseren gemeinsamen Willen, mit unseren Nachbarländern stärker gegen illegale Migration und verbesserte Rückkehrmechanismen einzutreten.“
Das klingt, wie es klingen soll: entschlossen, tatkräftig und durchsetzungsstark. Doch bei genauerem Hinsehen ist es, pardon, eine grandiose Luftnummer. Dobrindt formuliert „Zugspitz-Ziele“. Und das sind eben nur Ziele, keine konkreten Vereinbarungen – das heißt, man hat vor, das mal zu machen. Vielleicht. Wenn nichts dazwischenkommt.
Und es kommt schon jetzt viel dazwischen.
Abgelehnte Asylbewerber sollen künftig in „Return Hubs“ – also Abschiebezentren außerhalb der EU – gebracht werden, bevor sie in ihre Heimatländer abgeschoben werden. Doch diese Zentren müsste es erst einmal überhaupt geben. Dafür müsste die EU zunächst Abkommen mit interessierten Ländern außerhalb der EU schließen, was nicht in Sicht ist. Nationale Alleingänge, auch von mehreren EU-Staaten gemeinsam, sind ohne Verstöße gegen das absurde EU-Recht kaum möglich. Außerdem: Viel Spaß vor einem deutschen Verwaltungsgericht.
Abschiebungen nach Afghanistan und Syrien sollen wieder zum Standard werden. Ja, genau – und die Erde ist eine Scheibe. Und überhaupt: Was, bitteschön, heißt „wieder“? Schon bisher scheitern Abschiebungen nach Afghanistan und Syrien fast immer entweder an deutschen Gerichten oder an der Weigerung der beiden Länder, ihre Staatsbürger zurückzunehmen, oder an beidem. Weder grün-linke Richter in der Bundesrepublik noch die Machthaber in Kabul und Damaskus dürften sich vom Zugspitz-Gipfel sonderlich beeindruckt zeigen.
Staaten, die ihre Bürger nicht zurücknehmen wollen, sollen das Recht auf Visa für Deutschland verlieren. So sollen die betreffenden Regierungen unter Druck gesetzt werden, ihre abgelehnten Asylbewerber zurücknehmen. Aber Tausenden Afghanen erteilt Berlin völlig freiwillig Visa, obwohl die Taliban sich gegen die Rückführung zum Beispiel von Straftätern aus Deutschland in den allermeisten Fällen vehement wehren. Und dass ausgerechnet der grünherzige Außenminister Wadephul dabei helfen wird, über die Visa-Erteilung die Asyl-Politik zu verschärfen, ist denkbar unwahrscheinlich.
Flüchtlinge sollen in Zukunft außerhalb Europas auf ihren möglichen Schutzstatus geprüft werden. Das wollte schon Giorgia Meloni in Italien machen. Selbst dort wurde sie bisher von Gerichten zurückgepfiffen. In anderen Staaten ist man über ein Nachdenken über das Konzept noch gar nicht hinausgekommen. Und immer gilt: Viel Spaß vor einem deutschen Verwaltungsgericht.
Die Einführung eines europäischen Einreise- und Ausreisesystems soll die illegale Migration eindämmen. Das klingt toll, aber beliebig unkonkret. Und grundsätzlich kann man sagen: Alles, was eine Einigung in der gesamten EU voraussetzt, kann man getrost vergessen. Gerade Länder mit extrem geringem Migrationsdruck (Luxemburg) bringen solche Vorhaben regelmäßig zu Fall. Warum auch nicht? Die Folgen tragen ja andere.
Außer Spesen nichts gewesen, so kann man also durchaus sachgerecht über Dobrindts Bergausflug sagen. BILD missversteht die reinen Absichtserklärungen fundamental – oder will sie missverstehen: „Das bedeutet eine harte Abkehr von den bisherigen Regeln“, schreibt Springers Blatt, und das ist leider schon wieder falsch.
Es IST noch gar nichts. Es WÄRE eine Abkehr, wenn es tatsächlich gemacht würde. Ob es tatsächlich jemals gemacht wird, ist mehr als ungewiss. Und so gilt für Dobrindts Gipfel das, was für den Gipfel der Zugspitze auch gilt:
Zumindest die Aussicht ist schön.