Mit Helmut Thoma ging ein Visionär des Fernsehens

vor 20 Tagen

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Bildquelle: Tichys Einblick

Bei Helmut Thoma fallen Geburts- und Todestag zusammen. Er verstarb am 3. Mai im Alter von 86 Jahren in Wien, wie erst jetzt bekannt wurde. War Helmut Thoma schon 86? Wer ihn erlebte, hörte einen vitalen Mann sprechen, mit der Dynamik eines Kugelblitzes. Wo er hinfuhr, war Aufregung.

Helmut Thoma hat RTL groß gemacht, nicht nur gegründet. Gelernt hatte er beim ORF in der Rechtsabteilung, dem österreichischen Staatsfernsehen, kein ungewöhnlicher Start für einen promovierten Juristen. Ungewöhnlich sein Wechsel ins Programm. 1984 übernahm er das deutschsprachige RTL-Radio-Programm aus Luxemburg und ab 1986 RTLplus. Aus dem Juristen wurde ein Programm-Macher. Damit lehrte er die Sender der ARD das Fürchten.

Darf denn Radio fröhlich sein? Gute Laune verbreiten? Es darf. Und aus dem Fürchten wurde das Grauen für ARD und ZDF, als Thoma die TV-Bude von RTL übernahm, und mehr war es nicht. Ein schmales Programm, was haben sie gelacht in den Palästen von ARD und ZDF über Tutti Frutti. Bald zog der Sender in ein unscheinbares Redaktionsgebäude am westlichen Stadtrand von Köln um. Köln, das ist der Standort des WDR, des größten Senders im ARD-Verbund. Aber sich fürchten, das kannte Thoma nicht.

RTL wuchs rasend schnell, und Thoma investierte ins Programm. Auf nackte Haut folgte ein unverstellter Blick auf Politik. Nachrichten, und mit Heiner Bremer als Moderator wurden die News bis Mitternacht verlängert. Ladenschlusszeiten darf es bei den öffentlich-rechtlichen Beamtensendern geben, nicht bei den Privaten. Das Redaktionsgebäude wurde schnell zu klein für den wuchernden Sender.

Es war ein geordnetes Chaos, undenkbar für den WDR mit seinen nach innen gerichteten Strukturen, die darauf ausgerichtet sind, sich vom Zuschauer nicht stören zu lassen. Thoma nahm den Zuschauer in den Blick. Wer bei RTL arbeitete, lernte schnell, dass das zählt, was auf dem Bildschirm flimmert und gefällt. Es war eine Revolution für das deutsche Staatsfernsehen. Mit ungewohnten Programmelementen: „Der heiße Stuhl“ war ein Folterinstrument für jeden, der dazu eingeladen wurde und Rede und Antwort stehen mußte. Schonungslos, respektlos. Es durfte gefragt, und nicht verkündet werden.

Mit einem Gespür für die Medienlandschaft und mutigen Programmentscheidungen machte Helmut Thoma RTL im Jahr 1993 mit einem Marktanteil von 18,9 % zum damals erfolgreichsten und profitabelsten Fernsehsender Europas. Köln hat ihm viel zu verdanken. Am Stadtrand entstanden riesige Studiokomplexe; schnell hochgezogen von einem Bauunternehmer.

Mit einem Gespür für die Medienlandschaft und mutigen Programmentscheidungen machte Helmut Thoma RTL im Jahr 1993 mit einem Marktanteil von 18,9 % zum damals erfolgreichsten und profitabelsten Fernsehsender Europas.

Währenddessen baute sich der WDR einen Prachtpalast in der Innenstadt, der wie eine Zwingburg die Stadtteile voneinander abriegelt. Gefragt, ob er nicht auch so was haben wolle, antwortete Thoma, wie immer über keine Pointe verlegen: „Ich investiere nicht in Beton, ich investiere in Programm.“

Nach seinem Ausscheiden sollte sich das schnell ändern. RTL zog um in das aufwändig renovierte innenstädtische Messegelände. Der unter Thoma bewegliche Sender erstarrte im Beton und zwischen Ziegelsteinen.

Thoma veränderte auch die Printlandschaft: Durch die Werbezeitbegrenzung im staatlichen Fernsehsystem war die Werbeindustrie gezwungen, Zeitschriften und Zeitungen zu belegen. Deutsche Medienmanager führten ihre phantastischen wirtschaftlichen Erfolge auf ihre eigene Genialität zurück und kauften weltweit für Milliarden Zeitschriften in Europa und den USA zusammen – und scheiterten. Denn dort gab es bereits genügend TV-Sender. Mit RTL begann der Niedergang der deutschen Print-Welt, der erst später das Internet folgte.

Der Wiener Außenseiter Thoma dagegen beschäftigte sich kritisch mit der Branche. Das Problem ist, sagt er über seine Nachfolger, „dass die neuen Fernsehmacher keine Vorstellung haben, wie Fernsehen funktioniert. Das Programm ist langweilig, anspruchslos.“

Es ist der deutsche Bürokratismus, der sich durchsetzt, so Thoma in einem seiner letzten großen Interviews, das er TE gab. „Die können kein Fernsehen“. Damit meinte er nicht nur ARD und ZDF, sondern auch die RTL-Mutter Bertelsmann. Bertelsmann sei ein Marketingunternehmen, das von Inhalten nichts versteht, so der Medienmanager. Es fehlt die Kreativität, um neue Inhalte zu entwickeln, die die Zuschauer anziehen. Das Aufwärmen alter Serienkonzepte reiche nicht, um mit Netflix zu konkurrieren. Bertelsmann ist ein Konzern von westfälischen Pfennigfuchser, aber nicht der Kreativität. Die können Waschmaschinen, aber nicht TV.

Und er macht sich lustig über die Art, wie deutsche Unternehmen ihre Fernsehsender organisieren, private wie öffentliche. „Das ist eine kultische Handlung“, beschreibt er die Fernsehräte, die das Programm machen sollen. „Das liegt ihnen nicht, Inhalte zu entwickeln“. Besonders in den Öffentlich-Rechtlichen dominiert die Parteipolitik alles andere: „die Roten auf der einen Seite und die Schwarzen auf der anderen“. Beide haben „kein Interesse daran, dass da ein tolles Programm entsteht. Wozu? Die Bürger zahlen ja eh, und man muss Parteien zufriedenstellen“.

Es fasziniert Thoma, dass die Redakteure, die das Fernsehprogramm machen, alle rotgrün sind. Und die senden an den Bürgern vorbei. „Um Himmels willen, man kann doch nichts senden, was den Leuten gefällt“, beschrieb er deren Mentalität ironisch. „Man sendet etwas, von dem man glaubt, dass man es den Leuten beibringen muss.“

Thomas Grundsatz war immer: „Der Wurm muss dem Fisch schmecken und nicht dem Angler. Aber hier sind nur Angler unterwegs. Und diese Einstellung hat auch die Privaten erreicht.“

„Eine seltsame Welt“, beschreibt er die deutsche Medienszene. Ob er Angst vor einem Shitstorm hätte? „Warum denn?“, fragt er. „Dann klappe ich halt den Laptop zu und der Shitstorm ist vorbei.“

Jetzt hat Helmut Thoma den Laptop für immer zugeklappt. Wir werden ihn vermissen.

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