Mit ihrer unerträglichen „Stabilitäts“-Rhetorik rettet die neue Regierung ihre Macht – und entlarvt sich

vor etwa 15 Stunden

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Nachdem Friedrich Merz im Bundestag durchgefallen war, tritt Lars Klingbeil vor die Kameras. Sein erster Satz ist eine Dreistigkeit: „Deutschland befindet sich in einer Lage, dass wir einen Angriff auf die Ukraine mitten in Europa erleben“ – er führt aus, dass genau deshalb Deutschland eine „stabile Regierung“ brauche. Weil CDU und SPD es nicht gebacken kriegen, eine Regierung zu formen, weil die eigenen Abgeordneten den Kanzler durchfallen lassen, will man jetzt große Reden schwingen – und die Öffentlichkeit über die Notwendigkeit der eigenen Regierung belehren. Es vergehen keine zwei Minuten an diesem Tag, ohne dass von „Stabilität“, „starker Mitte“, „stabiler Regierung“ etc. gesprochen wird – und viele Medien erzählen es brav nach. Voller Blindheit wird ein absurdes Missverständnis der Demokratie weitergetragen: dass nämlich das Recht der Herren Merz und Klingbeil gemütlich durchzuregieren gewissermaßen heilige Pflicht und Verfassungsauftrag wäre.

All das ist Dichtung. Das Grundgesetz sieht vor, dass ein Kandidat mit Mehrheit Bundeskanzler wird – nicht mehr und nicht weniger. Es war die freie Entscheidung von Merz und Klingbeil, sich in diese unmögliche Lage zu navigieren, eine Koalition zweier programmatisch fast unvereinbarer Parteien zu bilden, eine Politik durchdrücken zu wollen, weit entfernt vom Wählerwillen. Die Brandmauer ist nicht über uns gekommen, sie wurde aufgebaut. Eine Minderheitsregierung wäre absolut möglich für die Union – es war ihre freie Entscheidung, das nicht wahrnehmen zu wollen.

Was aber will man uns dann von Stabilität erzählen? Warum sollen wir jetzt die „Abweichler“ und „Heckenschützen“ attackieren, wo es doch nur Abgeordnete waren, die ihr freies Mandat entlang ihres Gewissens einsetzten? Nirgendwo steht geschrieben, sie wären verpflichtet, für diese Regierung zu stimmen. Merz und Klingbeil haben den Bogen weit überspannt, zu viel in alle Richtungen versprochen – kein Wunder, dass er zurückschnappt.

Sie verwechseln ihre eigene Macht mit dem Staat an sich. Dabei muss allein der Staat stabil sein – das Grundgesetz trägt aber Sorge dafür, dass der Staat ohne Probleme stabil arbeiten kann, auch wenn eine Regierung zerstritten ist. Die Demokratie spiegelt in erster Linie die Meinung des Volkes in die Politik – und diese Meinung ist nun mal zerstritten. Diese Koalition hat kein Mandat für einen großen Sprung. Wenn man eine solche Not- und Dehnkoalition bauen will, muss man einen Schritt zurücktreten, leiser werden – man hat kein Mandat für strammes Durchregieren.

Und auch für die zunehmend endzeitartige Rhetorik, mit der der „Regierungsauftrag“ umnebelt wird, gibt es keinen Anlass. Nach Jahrzehnten der relativen Stille kommen wieder größere Krisen auf uns zu – die Demokratie wurde aber eben gerade für die Krise geschaffen, nicht für die regenbogenfarbene Ruhe. Auch das ist so ein Missverständnis: gerade die Krise sollte unseren kritischen Geist, unseren Dissens, unseren Streit wecken und ankurbeln. Gerade für die schwierigen, existenziellen Entscheidungen brauchen wir Checks and Balances, Diskurs, Widerstände und ein offenes, freies System, denn nur ein solches vermag der Wahrheit näherzukommen – gerade Corona zeigte uns das erneut leidvoll.

Auch der permanent in der Debatte vorgeschobenen Ukraine gegenüber ist das übrigens ein Unding – denn während diese neue Koalition Tag ein, Tag aus über sie spricht, um ihre Regierung zu rechtfertigen, macht sie in Wahrheit ziemlich wenig. Zwischen all den Schulden ist noch keine konkrete Aufrüstung beschlossen, Trumps Friedenspläne ignoriert man und stellt sich ansonsten tot. Es ist eine vorgeschobene Behauptung mit nur einem Zweck: Man erklärt sein eigenes Machtinteresse zur unverhandelbaren Staatsräson. Die Ukraine-Unterstützung wird zunehmend zur reinen machtpolitischen Schutzbehauptung.

Als Deutscher, der trotz alledem an dieses Gemeinwesen und an diesen Verfassungsstaat glaubt, wünsche ich unserem Bundeskanzler Friedrich Merz alles Gute und eine glückliche Hand – das gilt allerdings dem Amt, nicht der Person und seinem Programm. Auch Friedrich Merz täte gut daran, das nicht zu verwechseln. Denn bei all den vermeintlichen und echten Krisen, die uns aller Tage überkommen, bleibt Regieren kein Selbstzweck.

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