
Nach seiner Entlassung durch den Bundeskanzler gab Christian Lindner eine Erklärung ab. Sie fiel deutlich kürzer aus als die Rede von Olaf Scholz. Auch Lindners Monolog war das Dokument einer Zerrüttung. Sie enthielt ein kleines Wörtchen, in dem sich die ganze Ablehnung sozialdemokratischer Politik verdichtete. „Unambitioniert“ seien die Vorschläge des Kanzlers zur Lösung der Wirtschaftskrise gewesen.
Wenngleich mittlerweile eine Diskussion entbrannt ist, inwieweit Lindner Anfang November wirklich erschüttert, entsetzt und überrascht war: Weitet man den Vorwurf ins Grundsätzliche, trifft er den Kern der deutschen Malaise. Das Land, das die Ampel zu regieren versuchte, droht seine Zukunft zu verschlafen, den Aufbruch zu verpassen und sich im Durchschnitt einzurichten. Die Bundesrepublik leidet an Ambitionslosigkeit in nahezu selbstzerstörerischem Umfang.
Donald Trump hört zu, als Elon Musk (l.) die Abläufe vor dem Start des Testflugs der SpaceX Starship-Rakete erklärt.
Soeben stieg in den Vereinigten Staaten abermals eine Rakete vom Typ Starship für einen Testflug in die Höhe. Firmengründer Elon Musk war ebenso dabei wie der designierte amerikanische Präsident Donald Trump. Die Rakete soll eines Tages Menschen zum Mars befördern. Ob dieses Ziel erreicht wird, weiß niemand. Schon jetzt aber sorgt Musks wichtigstes Projekt für einen Rekord. Das Startgewicht beträgt atemberaubende 5000 Tonnen. Noch nie hat ein derart schweres Raumschiff die Erde verlassen. Die Amerikaner, ließe sich sagen, bringen die physikalischen Verhältnisse zum Tanzen.
Großes gelingt nur, wenn man groß denkt und Großes wagt. Elon Musk verkörpert diesen Wagemut wie kein anderer Unternehmer. Donald Trump wiederum schaffte das bemerkenswerteste politische Comeback in der Geschichte der Vereinigten Staaten. Der Misserfolg seiner Niederlage gegen Joe Biden 2021 entmutigte ihn nicht. Sein Ehrgeiz blieb ungebrochen.
Tesla-Gründer Elon Musk
Auch Deutschland sorgt für Rekorde. Die längsten Wörter für die zähste Bürokratie produziert man hier. Der Aberwitz regiert, das Wortungetüm triumphiert, etwa das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz. Eingeführt wurde das „Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten“ von der Ampel zum 1. Januar 2023. Es zwingt größere Unternehmen, „in ihren Lieferketten menschenrechtliche und bestimmte umweltbezogene Sorgfaltspflichten in angemessener Weise zu beachten“. Faktisch ist es ein bürokratisches Monstrum, das die Firmen gängelt und unternehmerische Initiativen erstickt. Olaf Scholz wollte es abschaffen oder reformieren, wird dazu aber vermutlich nicht mehr kommen.
Ehrgeiz entwickelt die deutsche Politik nur noch, wenn es um die Absicherung der eigenen Machtposition geht und um die Erfindung von immer neuen Gesetzen, Auflagen, Vorschriften. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck sieht im steten Wuchern des Staates sogar einen Ausdruck von Leistungsfähigkeit und lobt sich dafür: „Wir haben“, erklärte der Grünenpolitiker vor einem Monat, „so viele Gesetze und Verordnungen umgesetzt, um das ganze Land wieder in Fahrt zu bringen.“ Kein Wirtschaftsminister vor ihm habe das geleistet.
Ein kürzlich vorgestelltes Robotaxi von Tesla.
Glücklicherweise kam vor Habeck kein Wirtschaftsminister auf die Idee, sich für den Ausstoß an Gesetzestexten zu feiern. Sonst wäre das Wirtschaftswunder ausgeblieben und die Rezession der ständige Begleiter der deutschen Industrie. Das Selbstlob war dennoch ein ehrlicher Moment.
Weit verbreitet ist in Deutschland nämlich der Gedanke, ein hohes Maß an staatlicher Aktivität deute auf ein lebendiges Land. Das Gegenteil stimmt: Der gefräßige Staat ist ein permanentes Misstrauensvotum an die Adresse der Bürger. Der bevormundende Vollkaskostaat prämiert Menschen, die ihr Leben nach dem Mikado-Prinzip organisieren: Wer sich zuerst bewegt, verliert.
Deutschland wird keinen Musk hervorbringen. Unternehmer, die Risiken eingehen, müssen sich hier rechtfertigen, gewiefte Sozialstaatsprofiteure nicht. Während die USA buchstäblich nach den Sternen greifen und ihrer Lust auf Zukunft Ausdruck verleihen, freut man sich in Köln-Porz, dass am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt wenigstens der Mond nachgebaut wird. Und an den Universitäten kommen auf einen Lehrstuhl für Kernforschung knapp 22 Lehrstühle für Gender-Forschung. So rechnete es einmal Gitta Connemann aus, die Vorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsunion.
Start einer SpaceX-Rakete.
Ist es da ein Wunder, dass Klimaschutzminister Habeck auf die Verspargelung der Landschaft mit immer mehr Windkrafträdern setzt, während in anderen Ländern ein Kernkraftwerk nach dem nächsten geplant wird? Joe Biden gab jetzt den Startschuss für den Bau von rund 200 neuen Werken bis 2050. In Deutschland wird selbst die vom Handelsblatt dokumentierte Bereitschaft eines Lieferanten, innerhalb weniger Monate neue Brennstäbe bereitzustellen, nichts am ideologischen Atom-Aus ändern. Eingebildete Ängste und Lobbyinteressen zählen mehr als praktische Vernunft.
Ein ehrgeiz- und antriebsloses Deutschland wird die Sturzfahrt in die Provinzialität beschleunigen, wird Wind säen, der die Räder auf den Äckern antreiben soll, und einen Sturm der Verarmung ernten. Statt großer Ziele herrscht das kleine Karo der Selbstgenügsamkeit und Risikoscheu.
Kein Pionier in der Art von Musk ist symptomatisch, sondern jene sozialdemokratische Ökonomin, die jüngst in der Talkshow „Markus Lanz“ rhetorisch fragte: „Wieso müssen wir eigentlich so viele große Autos ins Ausland verkaufen?“ Lehrer und Lehrerinnen, Erzieher und Erzieherinnen würden doch viel dringender benötigt. Man solle vom „Geschäftsmodell“ wegkommen, „immer mehr Autos ins Ausland zu schicken.“
So klingt sie, die deutsche Vulgärromantik des 21. Jahrhunderts. Ein Lastenrad, das seine Kreise zieht vor stillgelegten Fabriken, ist in dieser Perspektive anziehender als der Zug der Bauarbeiter zum Fabriktor, wo dampfende Schlote auf volle Auftragsbücher deuten. Oder als wagemutige Softwareentwickler, die mehr vom Leben erwarten, als Datenschutzbeauftragten und Finanzämtern zu gefallen.
Deutschland legt es in seinen führenden Repräsentanten darauf an, allen Ehrgeiz auf jenes Mittelmaß zurechtzustutzen, dem die Funktionäre des Niedergangs selbst entstammen. Exzellenz stört, Erfolg steht unter Generalverdacht, echte Innovation wäre eine Kränkung, wohl gelitten ist nur der Durchschnitt.
Ein Land, das seine Potenziale entfesseln will, müsste ganz anders von sich denken und ganz anders regiert werden. Wahre Ambition beginnt, wo der Staat sich zurückzieht und die Politik schweigt. Darauf käme es nun an.
Lesen Sie auch:Trump, Musk, Milei: Linke auf der ganzen Welt fürchten diese drei Männer