Initiative enttarnt Staatsversagen: 35 Reformen gegen Bürokratie und Bürgerfeindlichkeit

vor etwa 9 Stunden

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Eine hochkarätig besetzte Expertengruppe namens „Initiative für einen handlungsfähigen Staat“ hat einen weitreichenden Reformkatalog für den deutschen Staat vorgelegt. Die Initiative übergab ihren Abschlussbericht an Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und fordert darin eine grundlegende Modernisierung in 35 Punkten. Es ist schon bemerkenswert, dass es in Deutschland überhaupt eine solche Initiative braucht, um Dinge anzusprechen, um die sich die Politik offenbar nicht kümmern will. Bemerkenswert ist auch, wie umfassend die Kritik am Staatsversagen und der Bürger-Unfreundlichkeit ausfällt. Allerdings in wohl gewählten diplomatischen Worten.

Initiiert wurde das überparteiliche Projekt von vier prominenten Persönlichkeiten. Die aber mittlerweile alle außer Dienst sind – und damit die Freiheit haben, Dinge zu sagen, die sie in ihrer aktiven Zeit tunlichst vermieden haben. Es geht um die Verlegerin und Medienmanagerin Julia Jäkel, den Ex-Verfassungsgerichtspräsidenten Andreas Voßkuhle sowie die früheren Bundesminister Thomas de Maizière und Peer Steinbrück.

Sowohl Steinbrück als auch de Maizière stützten zu ihrer Ministerzeit unter Kanzlerin Angela Merkel stets die Ausweitung der Macht des Staates. Beispielsweise Steinbrück als Finanzminister während der Finanzkrise ab 2008 mit der Verstaatlichung von Banken und vielen weiteren Eingriffen des Staates und der EU, um das Finanzsystem zu „retten“. De Maizière als Innenminister ebenfalls unter Merkel mit der Ausweitung von Überwachungsbefugnissen von Polizei und Geheimdiensten im „Kampf gegen den Terror“ und die „Gefahr von Rechts“. Jetzt fordern sie die Verschlankung des Staates.

Peer Steinbrück als Finanzminister 2008 mit der früheren Kanzlerin Angela Merkel.

Gleiches gilt auch für den Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier, der die Schirmherrschaft für die Initiative übernommen hat. Auch er war lange Außenminister in Merkels Kabinett, hat als SPD-Vorsitzender und Kanzlerkandidat stets für den Ausbau des Staates geworben und den Merkel-Kurs bei Migration und Corona immer mitgetragen und verteidigt. Steinmeier unterstrich nun die Dringlichkeit der Reformen und natürlich auch die Bedeutung für „unsere Demokratie“: „Je handlungsfähiger unser Staat ist, desto größer das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in unser Gemeinwesen – und damit auch in unsere Demokratie.“

Der Bericht der Initiative listet insgesamt 35 Forderungen auf. Dazu gehören Entbürokratisierung der öffentlichen Verwaltung für mehr Effizienz, Experimentierklausel für Verwaltungen, um Regelungen erst auszuprobieren, weniger Dokumentations- und Nachweispflichten als Vertrauensvorschuss für Bürger, Lockerung der Datenschutzregeln. Ebenso klarere Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern. So soll beispielsweise die Zuständigkeit für Abschiebungen von den Ländern auf den Bund übergehen.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, unter der früheren Kanzlerin Merkel Außenminister, spricht zur Vorstellung und Diskussion des Abschlussberichts der „Initiative für einen handlungsfähigen Staat“ im Schloss Bellevue.

Der Bericht fordert eine Bündelung aller Regelleistungen des Staates über eine zentrale digitale Dienstleistungsplattform und die Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht in Form eines Pflichtjahrs. Ex-Verfassungsrichter Andreas Voßkuhle kritisierte die aktuelle Situation in Deutschland: „Wir sind ein perfektionistischer Staat geworden, aber es gibt Kipppunkte, in denen es zu überperfektionistisch ist.“ Der Staat müsse „die alltäglichen Bedürfnisse zeitnah und effizient erfüllen und nicht in einem Wust von Vorschriften ersticken“. Die Expertenkommission sieht gute Chancen für die Umsetzung ihrer Vorschläge. Ex-Bundesminister de Maizière begründete dies pragmatisch: „Die Erfolgsaussichten sind auch deswegen so gut, weil die Lage so schlecht ist.“ So deutlich hatte de Maizière als Minister nicht gesprochen.

Und auch sonst benennt die Initiative deutlich die Probleme im Land, wenn auch diplomatisch ausgedrückt. Darum hier eine Übersetzung der wichtigsten Punkte in Alltagssprache:

Zum Thema Bürokratie: „Ein Symbol unserer Reformunfähigkeit sind die höchst komplizierten und in sich verhedderten Strukturen zwischen Bund, Ländern und Kommunen sowie ein soloartig gewachsener Behördenaufbau mit der Tendenz zu gegenseitiger Abschottung. Jeder ist ein bisschen, aber nie ganz zuständig“ (S. 26). „Allerdings wird man nicht die Augen vor dem Umstand verschließen dürfen, dass die Anforderungen an das Gesetzgebungsverfahren mittlerweile eine Komplexität erreicht haben, das die Ministerialbürokratie kaum noch bewältigen kann“ (S. 36). „In Europa und global hinkt Deutschland bei der Digitalisierung des Staates weit hinterher. Der volkswirtschaftliche Schaden ist enorm, der Frust der Bürger ebenso. Die Gründe sind vielfältig: fehlende politische Priorisierung, unklare Kompetenzen auf ministerieller Ebene, Verantwortungshickhack zwischen Bund, Ländern und Kommunen, veränderungsunerfahrene oder gar veränderungsresistente Verwaltungskulturen“ (S. 49).

Entwicklungsland Deutschland: „In Europa und global hinkt Deutschland bei der Digitalisierung des Staates weit hinterher.“

Bedeutet wirklich: Keiner blickt mehr durch und alle wollen nur den eigenen Posten retten. Es interessiert auch keinen. Weil die Verwaltung nur damit beschäftigt ist, sich selbst zu verwalten und den Bürger draußen zu halten. Deswegen werden die Bürger bei jeder Gelegenheit eingeschüchtert, indem sie möglichst umfassend kontrolliert werden. Dann halten sie hoffentlich den Mund und belästigen den Staat nicht.

Zum Thema Wirtschaft:„Ein handlungsfähiger Staat, der Innovationen fördert und Bremsklötze löst, ist Grundvoraussetzung für eine wirtschaftliche Dynamik, die im globalen Wettbewerb seit Jahren ungenügend ist. Das Thema der Wettbewerbsfähigkeit zieht sich durch fast alle Handlungsfelder dieser Initiative. Ein erfolgreicher und sachgerechter Bürokratieabbau muss an der Wurzel, sowohl bei der Gesetzgebung als auch beim Verwaltungsvollzug, ansetzen. Insbesondere das Planungs- und Vergaberecht sowie komplizierte öffentliche Beschaffungsprozesse behindern Dynamik“ (S. 85-86). „Und doch ist Deutschland bei der Umsetzung von Forschung in Patente, beim Transfer in die Industrie, den Mittelstand und ganz besonders bei Unternehmensneugründungen und -ausgründungen im internationalen Vergleich deutlich zurückgefallen“ (S. 89). „Was ebenfalls fehlt, ist eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Transformation unseres Stromsystems. Vor allem die Landschaft der Energieerzeugung wandelt sich zurzeit besonders schnell. Die Infrastruktur der Energieverteilung hält mit diesem Transformationstempo nicht immer Schritt. Ein Ungleichgewicht, das zu Ineffizienzen und Fehlanreizen führt“ (S.110).

Bedeutet wirklich: Der Staat liebt es, Vorschriften zu erfinden und alle Ideen zu ersticken. Weil in der Verwaltung keiner seinen Hintern drehen will, hat Deutschland schon lange den Anschluss verloren und sich zum Gespött der restlichen Welt gemacht. Es wird zwar viel erfunden und geforscht, doch werden keine Produkte und Unternehmen daraus. Die ideologische „Energiewende“ und das Ziel der „Klimaneutralität“ zerstört den Industriestandort Deutschland und jeder weiß es – es passiert aber nichts. Der Staat ist faktisch immer noch im letzten Jahrhundert, während die Welt mit ihren Technologien sich rasend schnell weiterentwickelt.

Die ideologische „Energiewende“ und das Ziel der „Klimaneutralität“ zerstört den Industriestandort Deutschland.

Zum Thema Masseneinwanderung:„Zum einen die sehr geringe Zahl von Abschiebungen abgelehnter, ausreisepflichtiger Asylbewerber. Und zum anderen der mangelnde Datenaustausch zwischen den Sicherheitsbehörden“ (S. 77). „Die Zahl der Abschiebungen ist gestiegen. Die entsprechenden Gesetze wurden mehrfach verschärft. Dennoch klafft nach wie vor eine große Lücke zwischen der Zahl derer, die rechtskräftig ausreisepflichtig sind, also Deutschland verlassen müssen, und der Zahl jener, die tatsächlich ausreisen oder zwangsweise abgeschoben werden. Für diese Situation schieben sich Bund, Länder und Kommunen gegenseitig die Schuld zu. Verantwortlich ist in erster Linie – neben Fehlern und Vollzugs-Mängeln in einzelnen Fällen – das komplizierte und vielfach verflochtene Netz unterschiedlicher Zuständigkeiten“ (S. 77). „Bei allem positiven Bemühen der Beteiligten können Abschiebungen so nicht funktionieren“ (S. 78).

Bedeutet wirklich: Der Staat hat beim Thema Einwanderung seit Jahren komplett versagt, er versagt immer noch auf ganzer Linie – und jeder erlebt und weiß es. Gesetze interessieren nicht, wenn es um Einwanderung und Abschiebungen geht; es passiert nichts. Zudem sabotieren die Länder bewusst Abschiebungen, indem sie Bürokratie erfinden und absichtlich Fristen verstreichen lassen. Der Staat hat das Steuer im Jahr 2015 aus der Hand gegeben und es nie wieder zurückbekommen.

Anstatt ausreisepflichtige Migranten effizient auszuweisen, schieben sich Bund, Länder und Kommunen gegenseitig die Schuld zu.

Zum Thema Bürger und Staat:„Ein Staat, der den Herausforderungen der Digitalisierung gewachsen sein will, braucht eine Kultur, die Dinge möglich macht. Noch immer sind Behörden geprägt von einer starken Absicherungsmentalität, von Silo- und Ressortdenken, hohem Perfektionsanspruch und insgesamt zu wenig Bereitschaft zur Verantwortungsübernahme. … Effektive Abhilfe kann hier nur eine umfassende Personalreform schaffen – gepaart mit einer Neuverteilung der Aufgaben“ (S. 51-52). „Die Verwaltung braucht mehr Mut zur Veränderung – und Führungskräfte, die diesen Mut verkörpern“ (S. 58). „Ein handlungsfähiger Staat kann mehr Vertrauen wagen. Vertrauen darauf, dass sich die meisten an die Regeln halten“ (S. 134). „Darüber hinaus müssen sich Reformen mit dem Gerechtigkeitsempfinden der Bürgerinnen und Bürger auseinandersetzen. Darum empfehlen wir beispielhaft einige Maßnahmen, die das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Rechtsstaatlichkeit unseres Gemeinwesens stärken und die Fähigkeit des Staates belegen, seine Regeln auch durchzusetzen“ (S. 136). „Gleichermaßen kommt es auf die strukturellen Gelingensbedingungen an“ (S. 125).

Bedeutet wirklich: Der Staat betrachtet seine eigenen Bürger grundsätzlich erst einmal als „Feind“ und als grundsätzliches Risiko: Der Bürger stört, muss klein gehalten werden und soll bei jeder Gelegenheit die Überlegenheit des Staates spüren. Dafür verstecken sich die „Staatsdiener“ hinter einer eigenen, völlig abgehobenen und weltfremden Sprache, sie verbarrikadieren sich hinter Hierarchien, die keiner versteht, und erfinden immer neue Regeln und rechtliche Konstrukte, die mit dem Alltag der Menschen nichts zu tun haben. Das Ganze ist gewollt und alle Strukturen sind auf dieses Ziel ausgelegt und über die letzten Jahrzehnte immer weiter dafür ausgebaut worden. Der Staat hat sich von den Bürgern entkoppelt.

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