
Alfred Hitchcock war nicht nur ein Meister des Suspense, sondern auch des schwarzen Humors. Außerdem war er ein Genießer vor dem Herrn, wovon sein voluminöses Äußeres zeugte. Die zwei letzteren Eigenschaften des Meisters vereinigen sich in seinem Thriller „Frenzy“ über die Jagd auf einen Frauenmörder in London. Running Gag ist die Frau des ermittelnden Beamten von Scotland Yard, eine begeisterte Köchin, die ihrem Gatten immer französische Haute Cuisine serviert, obwohl er Steak mit Pommes bevorzugt.
Einmal kredenzt sie ihm „Pieds de porc“ in einer weißen Sauce, die fast ebenso unappetitlich daherkommen wie die Schandtaten des „Krawattenmörders“ Rusk. „Sieht aus wie Schweinefüße“, sagt der des Französischen offenbar nicht mächtige Inspektor. „Genau das sind sie“, entgegnet die Frau und fügt erklärend hinzu, dass es sich bei der Sauce um dieselbe handele, die die Franzosen für Kutteln benutzten. Die gequälte Miene des Polizisten beim Verzehr der Schweinsfüße ist eine Oskar-verdächtige schauspielerische Leistung.
Schweinefüße oder auch Schweinekopf sind, anders als in Frankreich, in Deutschland weitgehend aus der Mode gekommen. Die wohlhabenden Deutschen bevorzugen die edleren Teile eines Tieres: Schweinefilet, Kalbschnitzel, Rindersteak oder Hühnerbrust. Alles andere, und das ist der Großteil eines Tieres, landet meist als „Schlachtnebenprodukte“ in der Wurst, wird zu Tierfutter verarbeitet oder sogar schnöde als Abfall entsorgt.
Mit gehörigem Zeitverzug ist die Bewegung nun endgültig auch in Deutschland angekommen. Wogegen im Prinzip nichts einzuwenden ist, handelt es sich doch eigentlich nur um eine Rückbesinnung auf die Usancen vergangener Zeiten, als am Schlachttag wirklich alles im großen Siedetopf landete. Niemals wäre man in weniger gut situierten Zeiten auf den Gedanken gekommen, ein irgendwie genießbares Stück Tier wegzuwerfen, dafür war es viel zu wertvoll.
Allerdings verlang die Nose-to-tail-Verwertung von Köchen eine besondere Hingabe und besonderes Können, vom Gast die Aufgeschlossenheit, sich auch mal Ungewohntes servieren zu lassen. Das beginnt bei Innereien wie Leber, Herz, Nieren, Lunge oder Pansen und endet, im buchstäblichen Sinne bei Schwanz, Kopf und Füßen. In der Tat gibt es, was die weniger bekannten Teile eines Tieres anbelangt, vieles zu entdecken. Und bevor man sich Insekten einverleibt, kann man es ja mal mit Hühnerfüßen oder Hühnerkämmen probieren, die frittiert als durchaus wohlschmeckende Knabberei gelten.
Zurecht gerade ziemlich in Mode sind geschmorte Kalks- oder Rinderbäckchen, die man zuweilen sogar im Sternerestaurant antrifft, eine echte Delikatesse, wenn sie in einem kräftigen Schmorfonds mit Rot- oder Portwein schwimmen. Auch Kalbsbries ist stark im Kommen, was angesichts der herausragenden geschmacklichen Qualität der nur bei Kälbern oder Lämmern anzutreffenden Thymusdrüse kein Wunder ist.
Allerdings sind die vergessenen Teile der Tiere eher etwas für die Gasthausküche. Im Gourmetrestaurant erwartet man zu Recht die Gustostücke, also das Allerbeste, was ein Tier zu bieten hat. Wenn ein Münchner Sternerestaurant etwa ein Stück von der „Alten Kuh“ serviert, versehen mit der Botschaft, man möge doch auch das Fleisch ausgedienter Milchkühe nicht vernachlässigen, ist das nicht viel mehr als ein grüner Marketinggag. Und wenn die Tranche von der Kuh-Oma dann noch aus Galizien stammt und nicht aus München-Gauting, wird der ökologische Ansatz vollends ad absurdum geführt. Aber irgendwie muss der hohe Menüpreis ja gerechtfertigt werden.
Freuen wir uns trotzdem auf manch unverhoffte Wiederentdeckung. Etwa „Pieds de porc grillés sauce rémoulade“ nach Paul Bocuse. Dazu müssen die Schweinefüße in Leinenstreifen eingewickelt werden, bevor sie zehn (!) Stunden in einer Brühe aus Weißwein, Wasser, Gemüsen und Gewürzen gar gekocht werden. Anschließend dekretiert der Meister, sie mit Butter zu begießen und in Paniermehl zu wälzen, bevor sie „bei milder Hitze an Holzglut“ gegrillt werden. Dazu Sauce Remoulade und Kartoffelpüree.
Klingt kompliziert, aber saugut.