
Bundeskanzler will er erst noch werden, die Geschicke Deutschlands liegen schon jetzt in seinen Händen: CDU-Chef und Kanzlerkandidat Friedrich Merz ist die politische Schlüsselfigur der Stunde und der nächsten Tage. Er muss versuchen in Deckung zu bringen, was für Deutschland gut ist und was für ihn und die Union der geschmeidigste Weg ins Kanzleramt sein könnte.
Friedrich Merz am Tag nach dem Ampel-Aus auf dem Weg zu einem Treffen mit Olaf Scholz.
Friedrich Merz hat zwei Möglichkeiten: Er kann die Zeichen der Zeit erkennen, den Wunsch nach einem Politikwechsel, der sich in den Protestwahl-Ergebnissen von AfD und BSW artikuliert, und die Union auf einen klaren Oppositionskurs führen. Oder er kann nach lange eingeübter Art der Union Rücksicht auf mögliche Koalitionspartner wie SPD oder Grüne und das Medienecho nehmen, könnte strategische Überlegungen zum Potenzial großstädtischer Milieus anstellen und ein möglichst Mitte-bekömmliches Wahlkampf-Programm fahren.
Vieles deutet darauf hin, dass Merz zumindest beim Weg hin zu Neuwahlen die erste Option wählen und keinerlei Zugeständnisse an die ehemalige Ampel und ihre Reste machen wird. Entweder Kanzler Olaf Scholz (SPD) stellt bereits in der kommenden Woche die Vertrauensfrage, oder es gibt keinerlei Gespräche über letzte Gesetzesprojekte mit Rot-Grün, lautete die Botschaft der Sonder-Fraktionssitzung von CDU/CSU am Donnerstagmorgen.
Kanzler Scholz will die Unterstützung der Union – zu seinen Bedingungen.
Scholz hatte in seiner Ampel-Aus-Erklärung am Mittwochabend mit raffiniertem Kalkül etwa die Kooperation beim Jahressteuergesetz erwähnt, das dafür sorgt, dass Arbeitnehmer ab Januar mehr Netto vom Brutto behalten können. Lässt sich die Union darauf ein, so könnte Scholz länger im Amt bleiben und Neuwahlen hinauszögern. Sperrt sich die Union, werden SPD und Grüne ihr vorwerfen, nichts für die kleinen Leute tun zu wollen. Nach jetzigem Stand will sich die Union hier nicht in die Falle locken lassen und hart bleiben.
Was den inhaltlichen Kurs der Union im kommenden Wahlkampf betrifft, ist die Lage weniger klar. Eine der derzeit häufig benutzten Wendungen in der Unionsspitze lautet: „Das blaue Wunder“. Damit ist nicht die berühmte Brücke in Dresden gemeint, sondern die Angst der Union vor einem weiteren Anwachsen der AfD. Am Mittwoch scheute man sich, den eigenen Gesetzentwurf zur Eindämmung der illegalen Migration gemeinsam mit der AfD durchzubringen. Man könne womöglich ein oder zweimal mit den Stimmen der AfD etwas beschließen, aber nicht dauerhaft auf eine Mehrheit mit den „Blauen“ rechnen. Alles andere würde einen polit-medialen Gegenwind und neuen Richtungsstreit in der Union auslösen, heißt es.
Schneidet Merz das Wahlkampf-Profil von CDU und CSU auf solche Bedenken zu und vermeidet das klare Formulieren bürgerlich-konservativer Forderungen etwa nach einem Stopp der illegalen Migration, dem Wiedereinstieg in die Kernenergie und die Rückabwicklung von frauenfeindlichen Transgesetzen oder einer Cannabis-Freigabe, die die organisierte Kriminalität zusätzlich explodieren lässt, so bewahrt sich die Union womöglich Sympathiepunkte im links-grünen Bereich und bestätigt gleichzeitig das Misstrauen abtrünniger Unionswähler, die der Partei keinen kraftvollen Wechsel mehr zutrauen.
Mit anderen Worten: Schielt Merz in den kommenden Wochen nach linken Mehrheiten, anstatt die rechts-bürgerlichen Wählerwünsche zu artikulieren, lässt er Stimmen liegen, die seine Machtbasis für einen wirklichen Politikwechsel bilden könnten.
Während die Parteien der gescheiterten Ampel nach ihrem Kurs suchen, ist die Positionierung des Kanzlerkandidaten entscheidend dafür, ob die bürgerliche Opposition stark genug sein wird, Themen und vor allem klare Entscheidungen zu setzen. Ein konservativer Weg mit linken Blinkzeichen ist für die Union keine sinnvolle Option.
Das so heftig gefürchtete „Blaue Wunder“ würde spätestens bei der nächsten Wahl und den Landtagswahlen dazwischen über die Union hereinbrechen, wenn die Wünsche und Hoffnungen der bürgerlichen Mehrheit erneut durch CDU und CSU in einer Bundesregierung enttäuscht werden.
Friedrich Merz in der ersten Sitzung des Bundestages nach dem Zerfall der Ampel.
Mit seinem Kurs entscheidet Friedrich Merz schon jetzt über die Gestaltungsspielräume der kommenden Regierung. Denn eins hat die viel beschworene Trump-Wahl in den USA gezeigt: Werden Wunsch und Wille der Bürgerlichen auf Dauer ignoriert, brechen sie sich irgendwann Bahn. Die Hemmschwelle bei Politikstil und -inhalt sinkt. Merz hat es in der Hand.
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