
Der überraschend klare Wahlsieg des Donald Trump beruht einerseits auf sehr amerikanischen Voraussetzungen. In den Vereinigten Staaten ringen zwei annähernd gleich große Parteien um die Macht. Und diese erhält, wer sich in hinreichend vielen Bundesstaaten durchsetzt. Die Summe an Wahlleuten entscheidet. Außerdem ist die amerikanische Gesellschaft eine Gesellschaft, die sich stark über Symbole, Traditionen und Gruppenzugehörigkeit definiert. Deutschland ist in dieser Hinsicht eine pathosfreie Zone.
Andererseits hält Trumps Triumph eine wichtige Lehre bereit für Berlin und Berchtesgaden, für Kiel und Chemnitz und für CDU, CSU, AfD. Trump verwies in der ersten Rede nach seinem Sieg darauf, hier habe eine Bewegung gewonnen. Gemeint waren jene Frauen und Männer, die sich hinter Trumps Motto „Make America great“ (MAGA) versammeln – die MAGA-Bewegung.
Trump Unterstützer schauen sich seine Wahlparty in Florida an.
Zieht man von diesem Selbstlob die übliche Großmäuligkeit des Republikaners ab, bleibt ein wahrer Kern. Der Wahlsieg war über jeden Zweifel erhaben, weil er aus der Mitte der Gesellschaft kam. Und die breite Mitte konnte Trump für sich gewinnen, indem er ihr eine Stimme gab und sich als Kämpfer für ihre Interessen präsentierte. Die MAGA-Bewegung ist eine kulturkämpferische Bewegung. Deshalb hat sie gesiegt.
Trump hat begriffen, was hiesige Konservative sich nicht eingestehen wollen: Der Kulturkampf ist da, die Linken haben ihn begonnen, und die Rechten werden ihn verlieren, wenn sie ihn nicht aufnehmen. Es sind falsche Rücksichtnahmen auf ein kollabierendes Milieu, wenn CDU und CSU sich weigern, den Kulturkampf zu führen – mit demokratischen, zivilen Mitteln natürlich, aber hart in der Sache, energisch, offensiv und ohne schlechtes Gewissen, ohne vorauseilende Entschuldigungen, ohne ironische Abschwächung.
Es wäre ein strategischer Fehler von epochalem Ausmaß, wenn der CDU-Vorsitzende im nunmehr begonnenen Wahlkampf daran festhielte, den Grünen Freundschaftskränze zu winden. Friedrich Merz will keinesfalls als Kulturkämpfer wahrgenommen werden. Er will vermeiden, sich für überspitzte Formulierungen rechtfertigen zu müssen, wie es ihm nach seinen Sätzen über zugewanderte „kleine Paschas“ oder abgelehnte Asylbewerber beim Zahnarzt widerfuhr.
Nach der „Kleine Paschas“-Äußerung in der Talkshow von Markus Lanz kassierte Merz viel Kritik.
Dieser Ehrgeiz ist vom Bedürfnis getragen, gemocht und als staatstragend wahrgenommen zu werden. Gesellschaftliche Mehrheiten wandelt man so nicht in politische Mehrheiten um. CDU und CSU (und auch die AfD) könnten mit Blick auf Amerika lernen: Soziale und politische Felder, die das rechte oder konservative Lager räumen musste, können nur auf kulturkämpferischen Wegen zurückgewonnen werden. Wer Wahlkämpfe wie vorgezogene Koalitionsverhandlungen führt, beleidigt den Souverän und hält Gefälligkeit für eine Tugend.
Schon aus Gründen der Selbstachtung dürfte es für CDU und CSU keine Alternative geben zur Rückabwicklung sämtlicher Projekte, die linke Kulturkämpfer ohne gesellschaftliche Mehrheiten verwirklicht haben – ob es sich nun um das Selbstbestimmungsgesetz handelt, das neue Staatsbürgerrecht, die Alimentierung linker Lobbygruppen, die Bevorzugung der LGBTQ-Bewegung oder die Beteiligung des Staates an der sogenannten Seenotrettung im Mittelmeer. Wer mit Rücksichtnahme auf die möglichen Koalitionspartner SPD und Grüne die klare Kante scheut, verzwergt sich ohne Not.
Friedrich Merz im Bundestag, Olaf Scholz und Robert Habeck im Hintergrund.
Das kostbarste Wort dieser Tage besteht aus vier Buchstaben und lautet Nein. Die Bundesregierung ging an ihren inneren Widersprüchen und ihrer Inkompetenz zugrunde. Gefragt ist da keine Opposition, die sich mit salbungsvollen Worten beim Portepee fassen lässt. Nicht dem Bundespräsidenten, zumal nicht dem sozialdemokratischen Sprechblasenproduzenten Frank-Walter Steinmeier, muss eine Opposition zu Diensten sein, sondern dem von der Regierung vernachlässigten Volk in seiner Mehrheit. Nein ist die Parole der Stunde.
Dies gilt auch für den sozialen Nahbereich, den die Ampel nach ihrem Willen umgestalten wollte. Wir erinnern uns: Im Kindergarten, der Kita und den Sportvereinen soll nach den Vorstellungen von Bundesfamilienministerin Lisa Paus, Bundesinnenministerin Nancy Faeser und der grünen Vorsitzenden Ricarda Lang zur Demokratie erzogen werden. Diese Politisierung des Alltags ist einer Republik der mündigen Staatsbürger unwürdig und verdient ein selbstbewusstes Nein.
Vorreiterinnen in der Erziehung der Bürger: Nancy Faeser und Lisa Paus.
Auch die destruktive Anmaßung, die sich hinter dem Selbstbestimmungsgesetz verbirgt, dürfen Frauen, Männer, Familien, Jugendliche zurückweisen. Jede Ideologie verklebt das Hirn und scheitert an der Realität. Das Selbstbestimmungsgesetz ist Ideologie in Reinform. Die Ampel hat Minderjährigen das Recht an die Hand gegeben, ihre Eltern vor Gericht zu belangen, wenn diese ihrem Wunsch nach einem anderen Geschlecht im Weg stehen.
Donald Trump hat bereits angekündigt, „Joe Bidens brutale Politik der sogenannten Geschlechtsangleichung“ aufheben zu wollen. Es handele sich, angewandt bei Minderjährigen, um Kindesmissbrauch. Dafür werde kein staatliches Geld mehr fließen. Seine neue Regierung werde von Geburt an nur zwei Geschlechter anerkennen, männlich oder weiblich.
Das deutsche Selbstbestimmungsgesetz ist der in Paragrafen gegossene Triumph einer winzigen Lobbygruppe – und eine Niederlage der Vernunft. Eine Partei, die diesen Irrsinn nicht rückgängig zu machen garantiert, bliebe verdientermaßen in der Opposition.
Der Kulturkampf ist da, und die Konservativen sind sich zu fein, ihn zu führen. Einmal sprach Friedrich Merz die Wahrheit aus. Es ist schon fast fünf Jahre her. Damals sagte er: „Wir befinden uns in einem Kulturkampf um die Zukunft unserer freiheitlichen, offenen und liberalen Gesellschaft.“
Die Zustände sind heute dramatischer als 2019 – es gibt aber ein Gegenmodell. Jenseits des Atlantiks hat sich gezeigt, dass das Aufbegehren gegen vernunftwidrige Ideologien von Erfolg gekrönt sein kann. Am Arbeitsplatz, in der Familie und natürlich in der Politik besteht das schönste Vorrecht darin, zu seinen Überzeugungen zu stehen – und Nein zu sagen, sich zu widersetzen und Verantwortung für sein Tun zu übernehmen.
Als die Süddeutsche Zeitung sich nun über Trump empörte, schrieb sie, er sei „der Kandidat der Neinsager“. Unbeabsichtigt sprach sie eine tiefe Wahrheit aus. Ohne Neinsager stirbt jede Demokratie.