Nach Terroranschlag in Kaschmir: Atommächte Pakistan und Indien auf Kollisionskurs

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Bildquelle: Tichys Einblick

Die jahrzehntelangen Spannungen zwischen Pakistan und Indien haben sich nach einer Phase der Entspannung zwischen den beiden Erzrivalen durch den jüngsten Anschlag in Kaschmir wieder verschärft. Indien beschuldigt Pakistan, hinter dem jüngsten blutigen Terroranschlag auf Touristen im indisch verwalteten Teil Kaschmirs zu stecken. Islamabad wies jede Verantwortung zurück und erklärte, es leiste lediglich „diplomatische und moralische Unterstützung“ für die Forderung nach Selbstbestimmung der mehrheitlich muslimischen Bewohner Kaschmirs.

Reaktion und Gegenreaktion sind seit dem Anschlag drastisch ausgefallen. Islamabad sperrte seinen Luftraum für indische Fluggesellschaften, nachdem Neu-Delhi zuvor die Ausreise pakistanischer Staatsbürger angeordnet hatte. Außerdem ordnete Indien die Ausweisung von Militärberatern aus den diplomatischen Vertretungen Pakistans in Indien und den Abzug der eigenen Berater aus Pakistan an. In einem weiteren Schritt legte Indien einen wichtigen Vertrag über die gemeinsame Nutzung von Flusswasser auf Eis. Pakistan drohte daraufhin seinem Nachbarn, jeder Versuch zur Beschneidung der Indus-Wassermenge werde als „Akt des Krieges“ betrachtet. Das Abkommen von 1960 regelt die Aufteilung des Wassers des Indus. Jede Reduzierung der Wassermenge bedroht die Lebensgrundlage von Millionen Pakistanis. Die Regierung in Islamabad kündigte ihrerseits an, das Shimla-Abkommen von 1972 zu suspendieren. Zu den Bestimmungen des Abkommens gehörte die Festlegung der Kontrolllinie, entlang derer sich die beiden Länder in Kaschmir gegenüberstehen.

Der Indus-Wasservertrag und das Shimla-Abkommen haben als „Sicherheitsnetze“ gedient und in Zeiten hoher Spannungen zwischen Pakistan und Indien eine Grundlage für Zusammenarbeit und Kommunikation geschaffen.

Der Anschlag, bei dem vergangene Woche auf einer Bergwiese in Kaschmir 25 Touristen und ein Einheimischer getötet wurden, hat die Beziehungen zwischen Indien und Pakistan schwer belastet. Die Attentäter sollen die Männer von den Frauen und Kindern getrennt und exekutiert haben, wenn sie nicht in der Lage waren, islamische Verse aufzusagen. Die Täter sind flüchtig, vermutlich untergetaucht im pakistanischen Teil der Region. Seit der Balakot-Krise im Jahr 2019 haben sich die Beziehungen zwischen den beiden Ländern nicht mehr richtig erholt. Damals hatte der indische Premierminister Narendra Modi als Vergeltung für einen Selbstmordanschlag durch die pakistanische Terrorgruppe Jaish-e-Mohammad (JeM) in Kaschmir Luftangriffe auf Pakistan angeordnet. Nach dem Abschuss eines indischen Kampfflugzeugs kam es fast zu einem Krieg zwischen den beiden Atommächten.

Die Kriegsgefahr zwischen Indien und Pakistan ist wieder immens. Mehrere Führer von Modis hindu-nationalistischer „Bharatiya Janata Party“ forderten nun ein militärisches Vorgehen gegen Pakistan. Indische und pakistanische Soldaten haben sich inzwischen im Grenzgebiet einen Schusswechsel geliefert. Der pakistanische Verteidigungsminister Khawaja Asif wies in einem Interview jede Verantwortung seines Landes für den Terrorangriff zurück und nannte ihn eine Attacke „unter falscher Flagge“, die von Indien „inszeniert“ worden sei. Er warnte davor, dass der Konflikt in Kaschmir zu einem Krieg mit Indien führen könnte.

Zu dem jüngsten Anschlag bekannte sich die Gruppe „Kaschmir-Widerstand“. In einer über soziale Medien verbreiteten Erklärung erklärte sie den Unmut über die Ansiedlung von mehr als 85.000 „Ausländern“ in der Region, die einen „demographischen Wandel“ zu Lasten der Muslime bewirke. Die indischen Sicherheitsbehörden betrachten den „Widerstand“ in Kaschmir als Tarnung für in Pakistan ansässige militante Organisationen. Nach Angaben der indischen Behörden handelt es sich bei dem jüngsten Anschlag um eine Frontorganisation der islamistischen Terrorgruppe Lashkar-e-Toiba (LeT). Diese kämpft seit Jahrzehnten für den Anschluss des indischen Teils Kaschmirs an Pakistan. Auf Druck der USA wurde die Gruppe 2002 von Islamabad verboten, soll aber weiterhin ihre Basis in Pakistan haben und vom pakistanischen Militärgeheimdienst ISI unterstützt werden. Dessen ehemaliger Chef Asim Munir ist heute Armeechef. Der General gilt als der faktische Machthaber in Pakistan. Kürzlich bezeichnete Munir Kaschmir als „Halsschlagader“ Pakistans und unterstrich, Indien und Pakistan seien kulturell und religiös grundverschieden.

Die Geschichte des Kaschmir-Konflikts reicht bis ins Jahr 1947 zurück, als aus der ehemaligen Kolonie Britisch-Indien zwei unabhängige Staaten entstanden – das mehrheitlich hinduistische Indien und das mehrheitlich muslimische Pakistan. Der Fürstenstaat Jammu und Kaschmir blieb zunächst autonom, bis Pakistan und Indien das Gebiet im ersten indisch-pakistanischen Krieg unter sich aufteilten. Indien und Pakistan beanspruchen seither das mehrheitlich muslimische Kaschmir für sich. Der Konflikt eskalierte jedoch in den letzten Jahren, als Indien 2019 den Sonderstatus von Kaschmir aufhob und den Bundesstaat in zwei föderal verwaltete Gebiete teilte: Jammu und Kaschmir und Ladakh. Dieser Schritt ermöglichte es den lokalen Behörden, Gebietsfremden Aufenthaltsrechte zu erteilen, die es ihnen erlaubten, in Kaschmir zu arbeiten und Land zu besitzen. Insofern gilt der jüngste Anschlag als Rückschlag für die Ambitionen der von Modi geführten hindu-nationalistischen Bharatiya Janata Party (BJP), nach der Aufhebung des Sonderstatus des Bundesstaates Jammu und Kaschmir Frieden und Entwicklung in der seit langem gebeutelten muslimischen Mehrheitsregion zu ermöglichen.

Kaum eine Region der Welt ist so hoch militarisiert und gleichzeitig so instabil wie Kaschmir. Die umstrittene Himalaya-Region liegt in einem sensiblen Dreieck zwischen den drei Atommächten Indien, Pakistan und China. Kaschmir gilt als Epizentrum der Spannungen in der Region, wo die Interessen Indiens, Chinas und des Westens aufeinanderprallen. In Indien sieht man einen möglichen Zusammenhang zwischen dem Terroranschlag und dem Indienbesuch von J. D. Vance. Vor dem Hintergrund der amerikanischen Strafzollpolitik und des Handelskriegs mit China besuchte US-Vizepräsident J.D. Vance in Begleitung seiner Familie Indien.

Das Land hofft auf den Abschluss eines Handelsabkommens mit den USA noch vor dem Herbst. Um die Gunst Trumps zu erhalten, ist Indien bereit, Zölle auf amerikanische Waren zu senken sowie mehr strategische amerikanische Produkte wie Rüstungsgüter, Öl und Gas zu erwerben. Allerdings warnte China seinen Nachbarn kürzlich vor Zugeständnissen an die Amerikaner. US-Amerikanische Zölle stellten eine „ernste Bedrohung“ dar, sagte Xu Feihong, der chinesische Botschafter in Indien, in einem am 19. April veröffentlichten Interview. Er fügte hinzu, Indien und China hätten ein „enormes Potenzial zur Zusammenarbeit“ und sollten sich „jeder Form von Unilateralismus und Protektionismus widersetzen“.

Im geopolitischen Wettstreit mit China sieht Washington Indien als strategischen Schlüsselpartner in Asien. Indien teilt viele der amerikanischen Befürchtungen gegenüber China. Das indische Militär und die Geheimdienste sind besorgt über weitere Grenzüberschreitungen im Himalaya (Kaschmir), Chinas Einfluss in Südasien, seine Militäroperationen im Indischen Ozean und den Einfluss chinesischer Technologie auf die indische Infrastruktur. Während Indien und Pakistan den Diskurs über Kaschmir dominieren, hält auch China ein strategisches Puzzlestück des umstrittenen Gebiets in der Hand. Der nordöstliche Teil der Region, bekannt als Aksai Chin, wird von der Volksrepublik verwaltet, aber weiterhin von Indien beansprucht. Das Gebiet ist für Peking als Landverbindung zwischen Tibet und der westlichen Region Xinjiang von Bedeutung.

Während Indien und der Westen enger zusammenrücken, versucht Pakistan, seine Beziehungen zu China weiter auszubauen.

China baut durch Pakistan seinen Wirtschaftskorridor namens CPEC-Projekt auf und aus, was dem „Reich der Mitte“ über den Hafen Gwadar einen Zugang zum Arabischen Meer verschafft. Dieses Projekt ist ein Teil von Chinas gigantischer Initiative für eine „Neue Seidenstraße“. Um den chinesischen Ambitionen entgegenzuwirken, haben wiederum Indien und die Golfstaaten sowie die USA bereits 2022 einen strategischen Wirtschaftskorridor namens India-Middle East Europe Corridor (IMEC) ins Leben gerufen, der als Gegenentwurf zur Neuen Seidenstraße Indien über Saudi-Arabien und Israel mit Europa verbinden soll. Vor diesem Hintergrund stehen sich mit Indien und Pakistan zwei Wirtschaftsprojekte von geopolitischer Bedeutung gegenüber.

Nicht zuletzt bieten Auseinandersetzungen der muslimischen Länder untereinander Peking die Chance, in der Region noch stärker Fuß zu fassen. Im Kern geht es um die von Pakistan eingeforderte Solidarität der islamischen Länder für Kaschmir. Islamabad scheiterte jedoch immer wieder mit dem Versuch, die Saudis dafür zu gewinnen. Saudi-Arabien wollte es sich nicht mit Indien verderben.

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