Nachhilfe für die ZDF heute-show in Kriminalitätsstatistik

vor etwa 3 Stunden

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Bildquelle: Tichys Einblick

Na? Haben auch Sie den Eindruck, im sichersten Deutschland aller Zeiten zu leben? Gerade im Rückblick auf die jüngsten Ereignisse? Falls nein, so hat die stets so treuherzig dreinschauende Frau Dunja Hayali ja bereits unlängst ihr Bestes getan, um Sie von Ihrer wahrgenommenen Realität zu entkoppeln, und Sie darauf hingewiesen, dass sie einfach nur falsch bauchfühlen. Sollte das allerdings noch keine Früchte getragen haben, wird uns jetzt in der hochverdienten ZDF heute-show obendrein beigebogen, dass wir falsch rechnen! Sprich: Für nur 18,36 pro Monat werden uns „komplexe Zusammenhänge“ von einem engagiert gendernden Zappel-Peter Lustig auf Red Bull erklärt.

Das aktuelle Video in seiner ganzen propagandistischen Pracht sollte man sich keinesfalls entgehen lassen. Ich verrate Ihnen aber schon mal den vorletzten Satz: „Einfach nicht rechts wählen!“. Aber steigen wir mal bei Minute 9:16 ein.

Dass einem strammen Demokratieverteidiger das nicht gefällt, ist naheliegend. Wenn man australische Austauschstudenten jetzt rausrechnet und einem die extreme Überrepräsentation immer noch zu plakativ ist, hätte man allerdings zum Beispiel zunächst eine elegante Verhältniskalkulation innerhalb einer Zweierverteilung durchführen können. Rechnet man die Anteile der Straftaten auf diese um, entfallen 21,6 Prozent der Tatverdächtigen auf Nicht-deutsche (statt 35,4 Prozent) und 78,4 Prozent auf Deutsche. Verglichen mit den Bevölkerungsanteilen (14,8 Prozent vs. 85,2 Prozent) ergibt sich so nur noch ein relatives Risiko von 1,58. Demnach erscheinen Nicht-deutsche um rund 58 Prozent häufiger in der Kriminalstatistik, als es proportional zu erwarten wäre. Arithmetisch formuliert:

Bei einer Fallzahl von knapp 2,2 Millionen ist aber auch dieser Unterschied noch statistisch hochsignifikant und lässt sich nicht auf Zufall zurückführen.

Aber das wäre zumindest mal eine redliche Herangehensweise und Diskussionsgrundlage gewesen. Aber nein, es gibt ja eine (!) Studie, veröffentlicht im Jahre des Herrn 2009 (wohlgemerkt), auf die hier (und offenbar immer wieder, wenn es sich um dieses Phänomen dreht) Bezug genommen und die in Folgestudien stets zitiert wird. Und zwar handelt es sich vermutlich um „Jugendliche in Deutschland als Opfer und Täter von Gewalt. Erster Forschungsbericht zum gemeinsamen Forschungsprojekt des Bundesministeriums des Innern und des Kriminologischen Forschungsinstitutes Niedersachsen“, Seiten 45 f. Diese Quelle und die daraus entnommenen Daten wurde lapidar erwähnt, aber leider unter dem Beitrag, trotz des ansonsten durchaus umfassenden Verzeichnisses, nicht angegeben.

„Es nicht unplausibel, dass Opfer von Straftaten bei fremdländisch wirkenden Tätern eher dazu neigen, die Straftat anzuzeigen, so dass mehr Taten dieser Gruppe vom Dunkel- ins Hellfeld geraten und registriert werden (Mansel & Albrecht, 2003). Die Befundlage hierzu ist jedoch keineswegs eindeutig. Baier, Pfeiffer, Simonson und Rabold (2009) berichteten von einer deutlich erhöhten Anzeigebereitschaft von Jugendlichen gegenüber Tätern mit vermutetem Migrationshintergrund. Bei Gewaltdelikten lag der Anteil angezeigter Vorfälle bei 19,5 %, wenn Täter und Opfer Deutsche waren. Deutsche Opfer zeigten die Tat jedoch zu 29,3 % an, wenn beim Täter ein Migrationshintergrund vorlag. Hatten Opfer und Täter einen Migrationshintergrund wurden 21,2 % der Delikte zur Anzeige gebracht (ähnlich Köllisch 2004). Killias et al. (2011, Grundriss der Kriminologie: Eine europäische Perspektive) verweisen dagegen auf einige Studien, die keinen Nachweis für diese These erbracht haben, d.h., deren Ergebnisse die Anzeigebereitschaft der Opfer als unabhängig von der (vermuteten) Herkunft der Täter sehen.“

Mal abgesehen davon, dass 29,3 jetzt nicht so ganz das Doppelte von 19,5 ist (wie man bei Sichtung der zufällig nicht angegebenen Quelle leicht hätte nachlesen können), ist es mehr als nur ein Denkfehler, sondern methodisch nachgerade lächerlich, einfach die Fälle der (angezeigten) Migrantendelikte spornstreichs zu halbieren (siehe im Video ab Minute 9:45) und damit munter weiterzuoperieren. Als wäre das ein Fakt.

Und mit so einem unwissenschaftlichen Nonsens den peinlich unterbelichteten, stets tumb ins Bild trampelnden blauen Wolfgang in die wundersame Welt der relativen Zahlen einführen zu wollen, ist nicht nur mathematisch schwach. Aber der ist ja eh ein Rassist und zeigt ständig grundlos Asylbewerber an, daher ja auch die Statistik. Logisch.

Allerdings sind all diese Ergebnisse von erheblichen Einschränkungen geprägt. Sämtliche Arbeiten beruhen nicht auf amtlich verifizierten Herkunftsdaten, sondern auf der Wahrnehmung der Befragten. Damit wird das Merkmal „deutsch/nicht-deutsch“ zur Zuschreibung, die fehleranfällig ist und von Stereotypen beeinflusst werden kann. Die gemessene Effektstärke kann dadurch sowohl über- als auch unterschätzt sein. Hinzu kommt, dass die Daten auf retrospektiven Selbstberichten beruhen. Ob eine Tat angezeigt wurde, wird im Nachhinein erinnert, und auch die Zuschreibung der Täterherkunft erfolgte rückblickend. Erinnerungslücken, soziale Erwünschtheit und Selektion sind hier erhebliche denkbare Verzerrungen.

Selbst in den aufwendigen Arbeiten, etwa bei Mansel und Albrecht, die zahlreiche Kontrollvariablen berücksichtigen, bleibt ein Restrisiko unkontrollierter Faktoren bestehen. Zudem sind die genannten Studien stark kontextgebunden. Köllisch wie auch die KFN-Schülerstudie beziehen sich ausschließlich auf Jugendliche. Ob ihre Befunde ohne Weiteres auf Erwachsene oder auf andere Deliktarten übertragbar sind – etwa Sexualdelikte oder Eigentumsdelikte – bleibt offen. Zudem gibt es vergleichbare Forschungsfelder und internationale empirische Befunde, die zeigen, dass Anzeige-/Meldeverhalten grundsätzlich vom Verhältnis „In-group vs. Out-group“ beeinflusst wird, und zwar sowohl aus der Perspektive einheimischer als auch aus der migrantischer Opfer (differentielle Meldebereitschaft, abhängig von Kontext, Vertrauen und Nachbarschaftszusammensetzung).

Besonders gravierend sind jedoch die zeitlichen und historischen Rahmenbedingungen. Die KFN-Erhebung wurde 2007/08 durchgeführt. Seitdem haben sich die gesellschaftlichen und rechtlichen Umstände erheblich verändert. Neue digitale Anzeigewege, Social Media und Smartphones so wie die Migrationsbewegungen ab 2015 haben deutliche Spuren hinterlassen. Wer die Daten von 2007/08, in denen der Migrationsanteil in Schulklassen wohl noch nicht bei teilweise 90 Prozent lag und mit erheblichen Einschüchterungen zu rechnen war, ungebrochen auf die heutigen Gegebenheiten überträgt, riskiert daher gravierende Fehlinterpretationen.

Und wer diese Befunde für die aktuelle Debatte über „Migrantengewalt“ heranzieht, sollte vielleicht klugerweise eher deren Grenzen kennen, als andere damit ihrer Beschränktheit überführen zu wollen.

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