Nachruf auf das deutsche Sparbuch – aber müssen wir wirklich traurig sein?

vor 11 Monaten

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Die Älteren von Ihnen werden sich erinnern: Das Sparbuch war Jahrzehnte lang ein Liebling der Deutschen.

Bevor es Bankautomaten gab, konnte man mit dem blauen Büchlein zum Beispiel in europäischen Ländern Geld abheben – bei der Post im Urlaubsland. In den 70er und 80er Jahren gehörte das Sparbuch beim ersten Auslandsurlaub ohne Eltern unbedingt ins Gepäck. Ein gefürchteter Satz zu Weihnachten war: „Du kriegst dieses Jahr kein Geschenk – Opa zahlt dir was aufs Sparbuch ein …“

Dies alles ist Vergangenheit, jedenfalls nahezu. Immer mehr Institutionen schaffen das Sparbuch ab. Das Postsparbuch zum Beispiel ist Geschichte. Es wird schon seit Ende 2017 nicht mehr ausgegeben. Im kommenden Jahr stellt die Postbank, eine Marke der Deutschen Bank, auch die Dienste in ihren Filialen rund um das blaue Buch ein. Nach einer Übergangszeit soll Mitte nächsten Jahres Schluss sein. Wer in den kommenden Wochen und Monaten mit seinem Postsparbuch in die Filiale geht, bekommt eine Plastikkarte – die Sparcard. Diese Karte bietet jede Menge Vorteile, sagt die Deutsche Bank. Man könne auch Geld an den Automaten abheben, man könne die Karte sperren lassen. Sie ließe sich ersetzen, wenn sie verloren ginge.

Das Filialnetz der Postbank soll in den nächsten zwei Jahren halbiert werden.

Mein gesunder Menschenverstand sagt mir: Plastikkarten gehören in unsere Zeit wie der Walkman in die 80er und Videokassetten in die 90er Jahre. Und wir gehen auch nicht mehr in Videotheken, weil es sie nicht mehr gibt. Und wir wählen nicht mehr mit dem Wählscheiben-Telefon, und wir brauchen auch keine zwei Groschen, um draußen in der Zelle telefonieren zu können. Und dennoch: An dem Begriff „Sparbuch“ hängt mehr als ein Stück Nostalgie, finde ich. Es ist (oder besser war) eine Lebenseinstellung. Das Sparbuch war ein Synonym für Sparsamkeit, natürlich. Aber auch für Sicherheit, Solidität. Motto: Zeig mir dein Sparbuch, und ich sage dir, wer du bist.

Das Sparbuch war eine einzigartige Erfolgsgeschichte. Die ersten Hinweise auf Sparbücher finden sich bei der Stadtsparkasse Berlin, wie die FAZ herausgefunden hat. Damals, im Jahr 1818, gab es 4,16 Prozent an Zinsen. Die Sparbücher wurden schnell populär in Deutschland. Schon 1884 gab es 6 Millionen Sparbücher, 1910 waren es 21,5 Millionen. Bedeutet: Jeder dritte Deutsche hatte damals ein Sparbuch. Ende 1953 – in diesem Jahr gab es die ersten amtlichen Zahlen nach dem Zweiten Weltkrieg – lagen auf den Sparbüchern umgerechnet 5,5 Milliarden Euro. Das Sparen spielte in der Bundesrepublik eine größere Rolle als in der DDR. Es mangelte nicht unbedingt am Geld zum Sparen, sondern an Waren, für die es sich gelohnt hätte zu sparen.

Das Symbol deutscher Sparsamkeit ist bald Geschichte...

1974 – also vor 50 Jahren – gab es in der Bundesrepublik noch 5,5 Prozent Zinsen. 2022 sank der Betrag auf weniger als 0,1 Prozent. Heute gibt es auf Sparbücher nicht viel mehr. Aktuell sind es 0,77 Prozent. Manche Banken zahlen nur 0,001 Prozent Zinsen. Das heißt: Für 1000 Euro Einlagen gibt es im Jahr 1 Cent an Zinsen. Viel gruseliger geht es nicht.

Die Zukunft des Sparbuchs ist also absehbar – es gibt keine Zukunft. Aber die darauf angesparten Guthaben gelten weiterhin – auch bei Sparbüchern, die noch in D-Mark ausgestellt sind. Nur wer noch ein Sparbuch in Reichsmark findet, kriegt nichts mehr dafür. Bereits seit 1976 sind diese Sparbücher nicht mehr gültig, das Guthaben ist verfallen. Auch Guthaben in Mark der DDR sind verfallen.

Das Sparbuch als Symbol deutscher Sparsamkeit ist Geschichte. Alles hat seine Zeit. Wir sollten nicht traurig sein. Wenn sich Arbeit und Fleiß lohnen, braucht man kein Sparbuch.

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