
Es wirkt paradox: Ein Türke führt eine Demonstration rechtsextremer Deutscher an – mitten im Herzen von Friedrichshain, der Heimat linksextremer Hausprojekte. Er hetzte lautstark gegen Linke („Nieder mit der roten Pest“, „Zecken“) und wird dafür von Rechtsextremen als Organisator eines „nationalen Widerstands“ gefeiert. Der Aktivist Ferhat Sentürk organisierte am vergangenen Samstag eine Nazi-Demo mit laut Polizei etwa 800 Rechtsextremen – ein durchaus beachtliches Ausmaß an Mobilisierung. Sentürk war bis Ende 2024 im Kreisverband der AfD-Aachen aktiv, bis er seinem Parteiausschlussverfahren durch freiwilligen Austritt zuvorkam.
Was verbindet einen Türken, der nach NIUS-Informationen nicht einmal die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt (zumindest nicht bei seinem früheren Parteieintritt), mit deutschen Nazi-Gruppen, die sich „Jung und stark, Deutsche Jungs“, „Kampfbrigade Berlin“, „Deutsche Jugend voran“ oder „Junge Patrioten Deutschlands“ (JPD) und „Chemnitz Revolte“ nennen?
Es geht dabei immerhin um hauptsächlich aus Ostdeutschland kommende Verbündete, die sich optisch ganz bewusst in die Tradition des deutschen Neonazismus stellen. NIUS hat die Hintergründe dieser erstaunlichen Konstellation recherchiert.
Sentürk distanziert sich zwar öffentlich von Rechtsextremen, etwa auf Facebook: „Manche schieben mich in die Ecke von Extremisten, etwa wegen Demos in Berlin oder Aachen. Ich sehe mich davon meilenweit entfernt.“ Doch in der Wirklichkeit macht er schlicht gemeinsame Sache mit ihnen. So ließ er die Band Kategorie C auf der Demo spielen, die in der Vergangenheit auch NS-verherrlichende Songtexte verfasste. Entsprechend zeigte die von ihm unter dem irreführenden Namen „Bürgerliche Allianz für Deutschland“ angemeldete Demo all das, was im heutigen Deutschland eigentlich als überwunden gilt: Hitlergrüße, White-Power-Gesten, martialische Kleidung, aggressive Männlichkeit.
Das in seiner Bedeutung umstrittene White-Power-Zeichen. In diesem Kontext steht es eindeutig für „weiße Überlegenheit“.
Und mittendrin: ein Türke, der behauptet, den Kampf „gegen Linksextremismus und politisch motivierte Gewalt“, so das Demo-Motto, anzuführen – und sich dafür vom organisierten rechtsextremen Milieu als patriotischer Held feiern lässt. Die Organisation Democ fertigte für sich sprechendes Videomaterial an (auf YouTube zu sehen hier).
Was treibt einen ethnischen Türken an, in Deutschland solche Leute anzuführen, die mit Landser- und Wehrmacht-Symbolik glorifizieren??
Ein verbindendes Element ist die Palästinasolidarität. Auch wenn es nicht das Hauptthema der Demonstrationen war, so zeigen Fotos immer wieder die palästinensische Kufiya; auch Palästina-Flaggen prägen das Gesamtbild des Nazi-Aufmarsches in entscheidender Weise.
Vereint unterm Palituch: Nationalist Jannik Giese, der in der Szene eine anführende Rolle einzunehmen scheint, mit Ferhat Sentürk.
Was hinter dieser „Solidarität“ mit den Palästinensern steht, das verrät ein Live-Chat Video, in dem Sentürk sich die folgenden Zeilen ungeniert zu eigen macht: „Kill Yahudis mit der Uzi, bis das Blut fließt“ – mit „Yahudi“ sind in arabischer und türkischer Sprache Juden gemeint, denen er hier den Massenmord an den Hals wünscht.
Historisch betrachtet überraschen die Vereinigung rechtsextremer und muslimischer Akteure keineswegs: Die Querverbindungen und Überschneidungen zwischen Nationalsozialismus, Palästinasolidarität und Islamismus nahmen ihren Anfang im Pakt zwischen Adolf Hitler und dem Großmufti von Jerusalem und gipfeln heute etwa im Hitlergruß der Terrororganisation Hamas.
Islamistische Nazis
Doch auch die deutsche Linke blickt auf eine erschreckende Geschichte des Judenhasses zurück. Die Verbindung zwischen Linksextremismus und Palästinasolidarität fand im Schrecken des Schwarzen Septembers ihren blutigen Höhepunkt: als deutsche Linke Seite an Seite mit palästinensischen Terroristen mordeten. In München 1972 zeigte sich, wie schnell antiimperialistische Rhetorik in antisemitische Gewalt umschlägt.
NIUS richtete eine Presseanfrage an die „Antifa-Jugend Aachen“, um Belege für die von ihr aufgestellte Behauptung zu erhalten, Sentürk habe in einer Sprachnachricht an sie „das Teufelslied von der SS“ gesungen, „wahrscheinlich in Begleitung von Neonazis“. Neben leidenschaftlich zum Ausdruck gebrachter Abneigung („in offener Feindschaft, AJA“ lautete die abschließende Grußformel), verwies der Antifa-Ableger in seiner Antwort auf die Anfrage auf seinen Instagram-Auftritt, wo die Belege tatsächlich nachzuhören sind. Die Aachener Linksextremen bezeichnen Sentürk zudem als „Spitzel bei der AfD“ und einen „Antifa-Informanten“.
Screenshot: Instagram
Mit diesen politisch-ideologischen Hintergründen ist diese Spurensuche jedoch keineswegs beendet. Nach NIUS-Informationen steht innerhalb der AfD ein Verdacht im Raum: Ferhat Sentürk könnte ein V-Mann des Verfassungsschutzes sein, so die Einschätzung aus Aachener Parteikreisen, die nicht namentlich zitiert werden wollen, aber über detaillierte Einblicke verfügen. Auffällig ist: Ferhat Sentürk war bis Ende 2024 politisch praktisch nicht existent. Google-Suchen ergeben keine Einträge für ihn vor dem Jahr 2024: keine öffentlichen Statements, keine Auftritte, keine Social-Media-Vergangenheit. Schlagartig betritt er Mitte 2023 dann die öffentliche Bühne. Sentürk wird AfD-Mitglied in Aachen, wird dort zunächst als vertrauenswürdig wahrgenommen und baut sich einen Sympathiekreis auf.
Doch bald darauf fällt er innerparteilich durch Alleingänge auf, durch Ungehorsam gegenüber der Parteidisziplin, Selbstdarstellung und eine fast schon manische Energie, sich in den Vordergrund zu spielen. Während einer Veranstaltung der Jungen Alternative in einem Aachener Hotel kam es zu einem Eklat, nachdem Sentürk dort trotz laufendem Parteiausschlussverfahren als Gast aufgekreuzt war. Als der Antrag gestellt wurde, ihn des Saales zu verweisen, eskalierte die Situation: Sicherheitskräfte führten ihn hinaus; Sentürk leistete Widerstand, es kam zur Rangelei mit Beteiligung von Unterstützern, Security, Polizei und Parteimitgliedern. Verletzt wurde niemand. Der Vorfall markierte den endgültigen Bruch mit der Partei – Sentürk selbst ordnete das Gerangel rückblickend auf einer „Eskalationsstufe drei von zehn“ ein, wie T-Online berichtete.
Wie passt das alles zusammen?
Ein möglicher Schlüssel liegt in seiner Vergangenheit, über die er selbst parteiintern gesprochen haben soll: Laut mehreren Aussagen innerhalb der AfD Aachen erzählte Sentürk beim Plakatieren von AfD-Wahlwerbung, er sei früher Mitglied der Grauen Wölfe gewesen – jener rechtsextremen türkischen Bewegung, die auch in Deutschland aktiv ist und vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Schließlich seien sie ihm „zu radikal“ geworden, also sei er zur AfD gegangen. Heute bestreitet er diese Aussagen – doch drei Zeugen würden übereinstimmend bestätigen, dass er sie gemacht hat, wie es aus dem Parteiverband heißt.
Es ist ein Detail, das nun weitere Bedeutung gewinnt: Die Vermutung innerhalb der Partei lautet, dass der Verfassungsschutz Sentürk aus dem Milieu der Grauen Wölfe abgeworben haben könnte, um ihn gezielt in die AfD einzuschleusen – konkret in den Kreisverband Aachen –, mit dem Ziel, die Partei von innen zu schwächen. Dafür spreche, so heißt es aus der Partei, dass der Organisationsaufwand eigentlich zu komplex für jemanden wie ihn sei – was darauf hindeuten könnte, dass er Hilfe von höherer Stelle gehabt habe.
Wohlgemerkt: Es bleiben Spekulationen, für die es bislang keine Beweise gibt. Doch ist der Gedanke nicht aus der Luft gegriffen. Beim NPD-Verbotsverfahren Anfang der 2000er-Jahre scheiterte das Verfahren nicht an der Verfassungswidrigkeit der Partei, sondern an der Tatsache, dass zu viele V-Leute des Verfassungsschutzes in Führungspositionen der NPD saßen. Die Durchdringung war so tief, dass das Bundesverfassungsgericht keine klare Trennung zwischen Partei und Staat garantieren konnte, weshalb das Verbotsverfahren schließlich eingestellt wurde. Die AfD – mit teils radikalisiertem Flügel – könnte nun mit ähnlichen Methoden der Infiltration konfrontiert sein.
Ein Rechercheergebnis, das diese Spurensuche ergeben hat, darf im Gesamtbild nicht fehlen: Die Antifa-Jugend Aachen hasst Israel. Die Linksextremen spinnen die aktuellen Genozid-Lügen weiter, wonach Israel die Palästinenser systematisch ermorde. Dabei gibt es für eine unverhältnismäßige Kriegsführung der israelischen Streitkräfte keine belastbaren Belege, sie werden meist auf die von der Hamas behaupteten Opferzahlen gestützt.
Screenshot: Instagram
Was wie unvereinbare Gegensätze wirkt – rechtsradikale Ideologen, türkische Nationalisten und linksradikale Antifa-Gruppen – findet im Hass auf Israel einen gemeinsamen Nenner. Wenn die Antifa-Jugend Aachen offen verkündet, mit dem jüdischen Staat sei „kein Frieden möglich“, dann unterscheidet sie sich kaum von antisemitischen Parolen, ob von deutschen oder türkischen Nazis.
Drei politische Lager, die sich in vielerlei Hinsicht spinnefeind sind, eint am Ende doch mehr: der Antisemitismus als ideologischer Kitt im Kampf gegen den jüdischen Staat.
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