
Die Staatsanwaltschaft Berlin ermittelt gegen zwei Journalistinnen von NDR und Zeit. Der Vorwurf: Sie sollen sich im Rahmen einer Recherche illegal Zutritt zum Haus eines Unternehmers verschafft und dort fotografiert und gefilmt haben. Die Zeit bestritt dies gegenüber NIUS. Doch dabei verstrickt sie sich immer mehr in Widersprüche. NIUS liegen exklusiv Belege vor, die die Darstellung der Zeit widerlegen.
Am vergangenen Freitag hatte die Berliner Staatsanwaltschaft gegenüber NIUS bestätigt, dass sie gegen Stefanie Dodt vom NDR sowie Lena Niethammer von der Zeit wegen des Verdachts auf Hausfriedensbruch ermittelt. Aus der Strafanzeige geht hervor, dass die Journalistinnen nicht bloß unerlaubt ein Haus in Berlin-Dahlem betreten, sondern auch Fotos und Video-Aufnahmen gemacht haben sollen. Sie drangen laut Anzeige durch die Kellertür in das Gebäude ein und versuchten, als sie von den Eigentümern erwischt wurden, zu flüchten.
Auszug aus der Strafanzeige gegen die Journalistinnen, in die NIUS Einblick erhielt.
Brisant ist der Fall auch deshalb, weil sich die Zeit in einem Rechtsstreit mit dem Unternehmer befindet, in dessen Haus die Journalistinnen eingedrungen sein sollen. Vor einigen Jahren hatte die Zeitung einen kritischen Artikel über den Unternehmer veröffentlicht. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen eine der Autorinnen des Zeit-Textes wegen Verleumdung zum Nachteil des Unternehmers. Teile des ursprünglichen Textes mussten nach Gerichtsentscheiden offline genommen werden.
Am Dienstag hatte die Zeit gegenüber NIUS behauptet: „Wem das betroffene Grundstück gehört, war ihnen [den Journalistinnen; Anm. d. Red.] nicht bekannt.“ Der NDR wollte die Recherche der eigenen Journalistin nicht kommentieren, es ist aber davon auszugehen, dass sich Sender und Zeitung abstimmten in der Frage, wie nach außen kommuniziert werden soll. So sprach die Zeit in ihrem Statement ausdrücklich von beiden Journalistinnen, also auch von NDR-Frau Dodt.
Die Zeitung hatte am Dienstag mitgeteilt: „Die beiden Journalistinnen haben sich im Rahmen einer Recherche für das Nachbargrundstück interessiert.“ Sie hätten sich nicht illegal Zutritt verschafft, sondern seien „von Bauarbeitern hereingebeten worden“. Weiter hatte die Zeitung behauptet: „Im Haus haben sich die Journalistinnen nur im Eingangsbereich aufgehalten, wohin sie die anwesenden Personen gebeten hatten. Nachdem die Journalistinnen nach den Hausbewohnern gefragt hatten, konnte ein Telefonkontakt zu Verantwortlichen der Baufirma hergestellt werden, die den Journalistinnen mitteilten, dass ein Kontakt zu den Hauseigentümern nicht möglich sei. Darauf haben sie das Grundstück sofort verlassen. Sie befanden sich insgesamt nur wenige Minuten im Haus. Auf dem Grundstück haben die beiden zu den Hauseigentümern keinen Kontakt gehabt. All dies wird in Ihrer Darstellung nicht oder falsch wiedergegeben. Die Recherchemethoden waren zulässig.“
Die Zeit stellte es also so dar, als seien die Journalistinnen rein zufällig ausgerechnet im Haus jenes Unternehmers gelandet, über den die Zeitung zuvor kritisch berichtet hatte und mit dem sie sich deshalb in einem Rechtsstreit befand. An dieser Version gibt es jedoch erhebliche Zweifel: So liegen NIUS Belege dafür vor, dass Stefanie Dodt vom NDR sowie Journalistinnen von der Zeit sowohl vor als auch nach dem mutmaßlichen Hausfriedensbruch zu dem Unternehmer selbst recherchierten.
Der mutmaßliche Hausfriedensbruch durch Dodt und Niethammer fand am 11. März dieses Jahres statt. Dass das Grundstück dem Unternehmer gehörte, war den beiden Journalistinnen laut Darstellung der Zeit nicht bekannt. Bereits im April 2023 allerdings stand Dodt im Austausch mit einem anonymen Informanten, der sie auf den Unternehmer und weitere Personen aufmerksam machte. Dodt zeigte dabei insbesondere Interesse an Informationen über den Unternehmer selbst. Sie bat um Unterlagen und ein Gespräch mit dem Hinweisgeber, um „in der Sache weiterzukommen“. Einen Monat später ließ sie den Informanten wissen, dass sich „nichts von Ihren Hinweisen bisher bestätigt“ habe: „Ich brauch leider mehr, um weiterzukommen.“
Stefanie Dodt arbeitete unter anderem für die Tagesschau und die ARD-Sendung „Reschke Fernsehen“.
Lena Niethammer wurde nach NIUS-Informationen ebenfalls ein kritischer Artikel über den Unternehmer zugesandt. Auch eine weitere Journalistin der Zeit, deren Namen NIUS bekannt ist, hatte sich bereits vor Juni 2023 mit einer Hinweisgeberin über den Unternehmer ausgetauscht: „Ich habe Ihre Hinweise an die investigativ Redaktion weiter gegeben. So etwas braucht leider immer sehr lange, weil man Beweise für all das finden muss. Der Fall [Name des Unternehmers; Anm. d. Red] ist für uns nicht vom Tisch. Wir sammeln derzeit. Es ist in solchen Fällen leider wirklich sehr schwer an die Öffentlichkeit zu gehen. [Name des Unternehmers; Anm. d. Red.] klagt ja wie ein Weltmeister. Aber wir geben unser Bestes!“
Beim Arbeitgeber von Lena Niethammer waren gleich mehrere Journalistinnen am Fall des Unternehmers dran.
Die Nachricht der Zeit-Journalistin bezeugt also, dass die Zeitung dem Unternehmer bereits vor dem mutmaßlichen Hausfriedensbruch auf der Spur war und dass weitere Beweise gesammelt werden sollten. Im März 2024 schließlich sollen Dodt, die zuvor zu dem Unternehmer recherchiert hatte, und Niethammer, deren Redaktion ebenfalls an dem Fall dran war, sich Zutritt zum Haus des Unternehmers verschafft haben – vollkommen unglaubwürdig, dass sie nicht wussten, dass er dort wohnte. Viel wahrscheinlicher ist, dass die Schilderungen in der Strafanzeige zutreffen, laut der die Journalistinnen im Inneren des Hauses filmten und fotografierten: Sollten hier die Beweise gesammelt werden, nach denen die Journalistinnen so verzweifelt suchten?
Auch nach dem 11. März beschäftigte sich die Redaktion der Zeit weiterhin mit dem Unternehmer. Eine dritte Zeit-Journalistin, deren Namen NIUS ebenfalls bekannt ist und die zuvor bereits kritisch über den Unternehmer berichtet hatte, kontaktierte zahlreiche Mitarbeiter des Unternehmers. NIUS liegen hierfür Belege vor. Dabei soll sich die Zeit-Journalistin für die finanziellen Verhältnisse der Firma des Unternehmers interessiert und sich auch nach der Finanzierung jenes Hauses erkundigt haben, in das ihre Kollegin zuvor eingedrungen war.
In Dahlem finden sich viele Villen. So auch die Dienstvilla des Bundespräsidenten.
Dies verdeutlicht, dass das Ziel der Recherchen von Zeit und NDR eindeutig der Unternehmer selbst war – und keineswegs der ehemalige Nachbar des Unternehmers, Jens Spahn, dem die Recherche angeblich gegolten habe. Dieser wohnte zum fraglichen Zeitpunkt längst nicht mehr dort.
Zahlreiche Behauptungen der Zeit scheinen sich damit als unzutreffend herauszustellen: Die Belege von NIUS legen erstens nahe, dass die Journalistinnen sehr wohl wussten, in wessen Haus sie sich befanden. Und dass sie zweitens nicht über den ehemaligen Nachbarn, sondern über den Unternehmer selbst Informationen sammeln wollten. Dies jedoch lässt auch die Darstellung unplausibel erscheinen, dass die Journalistinnen von den Handwerkern ins Haus gebeten worden seien. Vielmehr soll die Behauptung, die Journalistinnen hätten nichts über den Hausbesitzer gewusst, womöglich das Motiv verschleiern, das die beiden nach Dahlem brachte: die eigene, bislang erfolglose Recherche durch neue Belege voranzutreiben.
Der NDR möchte sich weiterhin nicht zu dem Fall äußern. Bleibt die Zeit trotz der offensichtlichen Widersprüche bei ihrer Darstellung? Auf Anfrage antwortet eine Verlagssprecherin: „Ja, wir bleiben bei der Darstellung. Es war reiner Zufall, dass unsere Redakteurin ausgerechnet dieses Grundstück betreten hat.“
Ein Zufall, den man wohl als schier unglaubliches Reporter-Glück bezeichnen muss...
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