
„Wir müssen in diesem Land wieder mehr und vor allem effizienter arbeiten. Mit Viertagewoche und Work-Life-Balance werden wir den Wohlstand dieses Landes nicht erhalten können.“ Diesen Appell richtete Friedrich Merz am vergangenen Dienstag bei einer Veranstaltung des CDU-Wirtschaftsrats an die Bevölkerung.
Zur Seite sprang ihm das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW). „Mehr Arbeit ist möglich“, so der IW-Direktor Michael Hüther zu den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Hüther sieht die Abschaffung eines Feiertages als Möglichkeit, die „Wirtschaftsleistung sehr kurzfristig und effektiv zu erhöhen.“ Gleich die Streichung mehrerer Feiertage fordert die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft, beispielsweise den Ostermontag oder den zweiten Weihnachtsfeiertag.
Anlass für diese Forderungen nach mehr Arbeitszeit ist die seit Jahren schwächelnde deutsche Wirtschaft und der Fakt, dass in keinem OECD-Land die durchschnittliche Jahresarbeitszeit so gering ist wie in Deutschland. Auf den ersten Blick erscheint der Ruf nach mehr Arbeit folgerichtig. Er ist allerdings gleich aus mehreren Gründen falsch und sogar schädlich. Er lenkt von den eigentlichen Problemen ab. Er ignoriert, wie Wohlstand wirklich entsteht. Er ist kommunikativ eine Verhöhnung der arbeitenden Bevölkerung.
Welche Botschaft sollen die Steuerzahler in Deutschland eigentlich von der neuen Bundesregierung erhalten? Der Bundeskanzler startete mit der Ankündigung, dass es durch die steigende CO2-Steuer zunächst einmal für alle teurer werde und jetzt fordert er die Bürger auch noch auf, mehr zu arbeiten. Normalerweise versprechen Politiker Entlastungen und bringen Belastungen. Wenn sie stattdessen Belastungen versprechen, dürfte es düster werden. Es scheint so, als würde man die Deutschen in gewissen Kreisen nur noch als Zahlvieh sehen, das gefälligst noch mehr zahlen soll, damit man selbst in Ruhe regieren kann.
Ex-Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) als normaler Abgeordneter im Bundestag. Sieht harmlos aus, doch er hinterlässt ein Erbe, dass der Bürger finanziell ausbaden muss. Da hilft nur eins, meint die neue Regierung: noch mehr arbeiten!
Das Problem in Deutschland ist doch nicht, dass die Menschen zu faul wären und deshalb zu wenig arbeiten. Das Problem ist, dass sich Mehrarbeit, dass sich Überstunden für die breite Mitte kaum lohnen. Ob jetzt ein Vater oder eine Mutter als Alleinverdiener 3000 Euro oder 5000 Euro brutto im Monat verdient, macht aufgrund der hohen Abgabenlast und diverser Transferleistungen quasi keinen Unterschied. Und der Staat tut alles, um den Menschen die Freude an der Arbeit zu nehmen. Immer mehr Bürokratie, immer mehr Auflagen, immer mehr Bevormundung, immer mehr Abgabenlast. Deutschland verliert nicht an Wettbewerbsfähigkeit aufgrund zu geringer Arbeitszeiten, sondern aufgrund miserabler politischer Rahmenbedingungen.
Der Ruf nach mehr Arbeitszeit begründet sich aber vor allem in einem Unwissen darüber, wie Wohlstand entsteht und beschädigt so das Ansehen der Marktwirtschaft. Die natürliche Entwicklung in einer freien Marktwirtschaft ist immer weniger Arbeitszeit dank immer mehr Effizienz. Im Jahr 1871 arbeiteten die Beschäftigten im Deutschen Kaiserreich durchschnittlich 72 Stunden pro Woche. Gab es damals mehr Wohlstand als heute? Natürlich nicht. 1914 lag die durchschnittliche Wochenarbeitszeit dann nur noch bei 55,5 Stunden. Gab es 1914 mehr Wohlstand als 1871? Natürlich. Warum? Wegen gestiegener Produktivität, technologischer Innovation und höherer Effizienz. Wegen der Wohlstandsmaschine namens Marktwirtschaft.
Nach der Wiedervereinigung lag die durchschnittliche Wochenarbeitszeit in Ostdeutschland um etwa zwei Stunden höher als in Westdeutschland, noch im Jahr 2014 wurde im Osten im Schnitt 1,2 Stunden mehr pro Woche gearbeitet als im Westen. Die Ursache dafür ist nicht, dass die Ostdeutschen fleißiger als die Westdeutschen sind, sondern die geringere Arbeitsproduktivität und weniger verfügbares Kapital nach Jahrzehnten des Sozialismus. Das beweist: Es kommt nicht auf die Menge der Stunden an, der Inhalt der Stunden zählt.
Das Arbeitspensum ist nicht alles: Die Menschen im Osten (hier eine DDR-Kantine im Jahr 1988) arbeiteten im Schnitt 1,2 Stunden mehr pro Woche – produktiver als Arbeiter im Westen waren sie aber nicht.
Der seit Jahrzehnten propagierte Leistungsbegriff von Konservativen und Liberalen ist in diesem Kontext leider kontraproduktiv. Er erweckt den Eindruck, dass harte Arbeit die oberste Priorität ist. Was wiederum ein beliebter Angriffspunkt für linke Politiker ist, die gerne das geringe Gehalt des Kassierers in Relation zum Unternehmenschef, der doch gar nicht hundertmal mehr Stunden arbeitet, als Zeichen für die Ungerechtigkeit des Systems anprangern. Dabei ist intelligente Arbeit das Wichtigste in einer Marktwirtschaft.
Richtig verstandene Faulheit ist deshalb eine völlig unterbewertete Tugend. Sie ist die kreative Triebfeder des Fortschritts. Weil Menschen nicht hektarweise Feldboden selbst umgraben wollten, holten sie sich erst Tiere zur Hilfe und später dann Maschinen. Weil Menschen nicht wochenlang Zeit aufwenden wollten, um mit der Pferdekutsche längere Strecken zu überwinden, erfanden sie Autos und Eisenbahnen. Heute werden in der Fabrik in sekundenschnelle Produkte hergestellt, die in der Vergangenheit Stunden in Anspruch genommen haben. Wer keine Lust auf eine spezielle Arbeit hat, denkt sich schnellere und angenehmere Wege aus, um diese zu erledigen. Ständige Optimierung ist die Konstante in freiheitlichen Systemen.
Wie wär's, wenn Merz und Klingbeil mal mehr arbeiten würden? Es ist die Politik, die liefern muss.
Die empirische Realität der Marktwirtschaft ist immer weniger Aufwand für immer mehr Ertrag, immer weniger Arbeitszeit für immer mehr Wohlstand. Das muss betont werden, nicht ein falsches Ideal von möglichst harter Arbeit. Solange diese jedoch weiter propagiert wird, darf sich wahrlich kein Konservativer oder Liberaler wundern, wenn Millionen Menschen mit der Marktwirtschaft nicht besonders viel Positives verbinden. „Ihr müsst mehr arbeiten“ ist nun mal nicht gerade das verlockendste Versprechen.
Es ist an der Zeit, dass die Politik das versteht und den Menschen genug Freiheit lässt, um auch in Zukunft immer weniger zu arbeiten und immer mehr zu schaffen. Es ist an der Zeit, dass nicht mehr Arbeit, sondern weniger Arbeit zum politischen Versprechen wird.
Und es ist an der Zeit, die eigentlichen Probleme des Landes anzugehen, anstatt die Verantwortung für politisches Versagen auf die Steuerzahler abzuwälzen. Eine Totalreform des Sozialstaates, eine spürbare Senkung der Abgabenlast, eine radikale Reduzierung der Bürokratie und geringere Strompreise würden so viel mehr bewirken als ein paar Stunden mehr im Büro. Aber dafür müsste natürlich die Politik mal ernsthaft arbeiten.
Anstatt von den Bürgern mehr Arbeit einzufordern, sollte Friedrich Merz mit seiner Bundesregierung ermöglichen, dass die Bürger vom Staat mehr in Ruhe gelassen werden. Sobald produktive Arbeit staatlich nicht mehr sanktioniert wird und sich mehr als in der Gegenwart lohnt, klappt das dann auch mit dem Wirtschaftswachstum. Versprochen.