
Einen „Politikwechsel“ hatte Kanzler Friedrich Merz (CDU) versprochen, inzwischen wäre man schon über einen Phrasenwechsel froh. Man kann nicht wortreich erklären, warum Israel völlig zu Recht die iranischen Atomanlagen zerstört hat und dann in der offiziellen Erklärung des Kanzleramts hinzufügen: „Wir rufen beide Seiten auf, von Schritten abzusehen, die zu einer weiteren Eskalation führen und die gesamte Region destabilisieren können.“
Rauch steigt nach einem Angriff Israels in Irans Hauptstadt Teheran auf.
Mal abgesehen davon, dass Aufrufe „an beide Seiten“ ins tiefe und dunkle Phrasen-Verlies gehören, weil sie eine Gleichrangigkeit vortäuschen, die es in den wenigsten Konflikten dieser Welt gibt, würde ein Politikwechsel mit einem Stilwechsel beginnen: Sagen, was ist. Soll Israel sich zurückhalten oder der Iran auf einen Gegenschlag verzichten?
Merz hat recht, wenn er schreibt: „Erst gestern hat die Internationale Atomenergiebehörde in einer Resolution, die Deutschland zusammen mit Frankreich und Großbritannien eingebracht hat, erneut festgestellt, dass der Iran seinen Verpflichtungen zur Offenlegung seiner Arbeiten an der Anreicherung von nuklearfähigem Material weiterhin nicht nachkommt. Der Iran hat daraufhin angedroht, die Urananreicherung abermals zu beschleunigen. Dieses Nuklearprogramm verstößt gegen die Bestimmungen des Atomwaffensperrvertrages und ist eine ernsthafte Bedrohung für die gesamte Region, insbesondere für den Staat Israel.“
Merz weiß, dass Deutschland sich lange an einem Atom-Abkommen mit dem Iran beteiligt hat, mit dessen Hilfe die wirtschaftliche Erholung des Teheraner Regimes und die stille Aufrüstung erst möglich wurde. Merz weiß um die verunglückten Glückwunsch-Telegramme von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier an die Mullahs. Merz weiß, dass Teheran der zentrale Terror-Finanzierer der Region ist, dass im Jemen rund 15 Millionen Menschen im Schatten der Huthi-Milizen hungern und dass der Iran die nukleare Bewaffnung als wichtigstes Ziel vorantreibt, um die Hegemonialmacht der Region zu werden.
Eine Übersicht über Irans Atomanlagen.
Was also hindert den „Klartext-Kanzler“ daran, einen klaren Satz der Unterstützung Israels zu veröffentlichen, anstelle der puren Selbstverständlichkeit: „Wir bekräftigen, dass Israel das Recht hat, seine Existenz und die Sicherheit seiner Bürger zu verteidigen.“ Jedes Land der Welt hat das Recht, seine Existenz und die Sicherheit seiner Bürger zu verteidigen. So wie die Merz-Erklärung es formuliert, klingt es, als habe ein kundiger Jurist im Kompendium des Völkerrechts nachgeschlagen und teile der zweifelnden Öffentlichkeit eine überraschende Rechtssicht mit, die man halt akzeptieren müsse.
Ganz gleich, ob man es im Kanzleramt versäumt hat, die schriftführenden Hintersassen auszutauschen oder ob Merz versucht, Rücksicht zu nehmen auf einen Israel-kritischen Koalitionspartner oder eine vermutete Mischung aus Pazifismus und Antisemitismus in der Öffentlichkeit: Der Transatlantiker Merz auf dem Weg zum Gipfel der Großen Sieben (G7) am Wochenende in Kanada kann und darf sich nicht davor drücken klar zu sagen, dass Israel auch deutsche Interessen im Nahen Osten vertritt.
Niemand bei Sinnen kann ein Interesse daran haben, dass die Finanzierer von Hamas, Hisbollah, Huthi & Co. Atomwaffen in die Hand bekommen. Die völlig berechtigte Rücksicht auf Sorgen in der deutschen Öffentlichkeit vor dem immer wieder beschworenen „Flächenbrand“ im Nahen Osten kann man und muss man artikulieren, ohne den Schulterschluss mit Israel in Zweifel zu ziehen. Die Brandstifter sitzen in Teheran, nicht in Jerusalem. Den Ritt auf alternden Phrasenschweinen endlich einzustellen, wäre das Mindeste, was man „Wechsel“ erwarten könnte.