Neue Sozialleistung „Pflege-Gehalt”: Das ist der falsche Weg, liebe CDU

vor 26 Tagen

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Bundesfamilienministerin Karin Prien von der CDU hat nur wenige Wochen nach Amtsantritt ihre erste neue Sozialleistung erfunden – ein Lohnersatz für pflegende Angehörige. Ein Kommentar, warum sich Deutschland derartiges keinesfalls leisten kann.

Karin Prien während einer Pressekonferenz

Dass der Bereich der Pflege dringend einiger Antworten von politischer Seite aus bedarf, ist wohl allen schon lange klar. Doch dass die erste Reaktion der neuen Koalition aus CDU und SPD auf die Frage, wie damit in Zukunft umzugehen ist, ausgerechnet die Einführung einer zusätzlichen Sozialleistung ist, lässt einen mehr als irritiert zurück. Hat Deutschland denn nicht bereits eine der höchsten Sozialleistungsquoten der Welt? Befindet sich Deutschland denn nicht zum dritten Mal in Folge in einem Rezessionsjahr? Diskutieren wir denn nicht bereits seit Jahren, wie es gelingen kann, endlich wieder mehr Menschen in Beschäftigung zu bringen, um die Wirtschaft zu stärken? Wie kann denn dann die Antwort der Politik sein, neuerdings noch weniger Anreize für Arbeit zu schaffen?

Was sich hier offenbart, ist ein völlig fataler Zugang zu den großen gesellschaftlichen Fragen dieses Landes. Prien spricht davon, dass „Deutschland ein riesengroßes Interesse daran habe, dass eine solche Leistung komme“. Viel irreführender kann man es nicht formulieren. Denn die Realität ist wohl eher, dass Deutschland ein riesengroßes Interesse daran hat, endlich zu einem fairen und gerechten Sozialstaat zu werden, der Familien nicht mit der Pflege allein lässt und nicht dafür sorgt, dass pflegende Angehörige plötzlich zu Sozialleistungsempfängern und damit vom Staat abhängig gemacht werden. Deutschland hat darüber hinaus auch ein Interesse daran, endlich wieder eine Volkswirtschaft darzustellen, die nicht von einer Pleitewelle auf die nächste zurollt. Dieses Ziel kann unter anderem jedoch nur erreicht werden, wenn es genügend Menschen gibt, die voll im Berufsleben stehen – und die dort auch bleiben. Allein im Jahr 2023 gab Deutschland 1,25 Billionen Euro für Sozialleistungen aus. Im Vergleich zum Vorjahr stellte das einen erneuten Anstieg um fünf Prozent dar und somit auch ein neues Rekordhoch. Man würde meinen, dass diese Zahlen allein bereits eine deutliche Sprache sprechen.

Bundesfamilienministerin Karin Prien überraschte mit ihrem Vorschlag Pflegegeld als Lohnersatz einzuführen.

Noch ist zwar unklar, wie sich Prien ihr Modell des Lohnersatzes bei der Pflege konkret vorstellt, doch orientiert man sich an bisher diskutierten Vorschlägen des Beirats für die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf, könnte das Pflegegeld eine Bezugsdauer von bis zu drei Jahren vorsehen. Bis zu 65 Prozent könnten dann vom Nettolohn durch Sozialleistungen ausgeglichen werden und das bei einer Obergrenze, die sich möglicherweise an der des Elterngeldes orientiert. Aktuell wären das 1.800 Euro im Monat. Während wir bei Eltern immer wieder darüber diskutieren, wie wir sie – vor allem Mütter – so schnell wie möglich wieder zurück in den Arbeitsmarkt bringen, entschließt sich also die schwarz-rote Koalition bei der Pflege den umgekehrten Weg zu gehen und Menschen auszurichten: Bleibt lieber zu Hause! Die heimische Politik scheint offenbar nicht mehr in der Lage dazu zu sein, über die anspruchslose Idee einer neuen Sozialleistung hinausdenken zu können und sich mit anderen ernsthaften Reformvorschlägen auseinanderzusetzen. Stattdessen wählt man wieder den Weg des geringsten Widerstandes für die eigenen Reihen der Koalition, doch den der größten Belastung für den Steuerzahler.

CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer sprach im Wahlkampf zwar noch davon, dass die Leistungen in der Pflege nur dann erhalten werden könnten, wenn Deutschland „ein wirtschaftlich starkes Land mit Menschen, die in Vollzeit arbeiten“ sei und deswegen eine über Jahre andauernde 1-zu1-Betreuung durch pflegende Angehörige nicht machbar sei. Das sei „volkswirtschaftlich nicht tragbar“ lautete im Dezember 2024 noch sein Urteil. Und damit hatte er auch vollkommen recht. Anstatt darüber zu sinnieren, wie noch mehr Menschen noch weniger arbeiten könnten und damit noch weniger in das System einbezahlen, sollte die Frage eher sein: Welche Angebote und Anreize kann der Staat schaffen, um Familien die Pflege ihrer Angehörigen zu erleichtern, ohne sie dabei anzuhalten, im Beruf zu pausieren? Neue Steuererleichterungen für arbeitende Menschen, die nebenbei ein Familienmitglied pflegen, wären da vielleicht ein Weg. Oder schlicht mehr Angebote zu schaffen, um die Pflege im Alter sicherzustellen. Doch dass das alles wesentlich mehr Mut und politische Chuzpe erfordern würde, als das simple Einführen eines neuen Budgettopfes für neue Sozialleistungen, liegt auf der Hand und ist wohl auch der Grund dafür, dass man genau diesen Weg nicht bereit ist zu gehen. Für die arbeitenden Menschen in Deutschland wird sich diese Rechnung dennoch keinesfalls ausgehen.

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer auf dem Weg zu den Koalitionsverhandlungen zwischen Union und SPD.

Laut Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung könnte eine solche Maßnahme den deutschen Staat etwa fünf Milliarden Euro jährlich kosten. Diese fünf Milliarden Euro würden aus einem Sozialsystem kommen, das von irgendwem auch finanziert werden muss, um die Schwachen in diesem Land tatsächlich unterstützen zu können. Setzt die Koalition ihr Vorhaben um, gibt es bald jedoch noch weniger Menschen, die in diesen Topf einzahlen und die Belastung verteilt sich auf noch weniger Schultern in der arbeitenden Bevölkerung. Kein sehr erstrebenswertes Szenario.

Das Fazit zum neuen Vorstoß der Familienministerin kann also nur lauten: Nicht genügend … setzen!

***Laura Sachslehner ist österreichische Politikerin (ÖVP) und Autorin

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