
Die neue US-Regierung versetzte das EU-Establishment zuletzt in einen Schockzustand, als Trump nach einem Telefonat mit Putin ohne Einbeziehung der Europäer die Aufnahme von Friedensverhandlungen mit der Ukraine ankündigte. Dieser Schritt weckte Erinnerungen an die Potsdamer Konferenz, bei der die Grenzziehung auf dem Kontinent vor allem zwischen Washington und Moskau entschieden wurde.
Ein weiteres Zeichen für die außenpolitische Kehrtwende Washingtons war die Unterstützung Russlands und Chinas für eine US-Resolution im UN-Sicherheitsrat, die ein „schnelles Ende“ des Krieges in der Ukraine forderte, ohne Moskau für den Konflikt verantwortlich zu machen. Frankreich und Großbritannien, die vergeblich versucht hatten, die Abstimmung zu verzögern, enthielten sich der Stimme.
Während sich der Westen vor den Augen der Weltöffentlichkeit vor allem seit den Wortgefechten zwischen Trump und Selenskyj im Oval Office selbst demontiert, sieht Russlands wichtigster Partner im Osten die Lage eher nüchtern. Die Fragmentierung der vom Westen angeführten liberalen Ordnung bestätigt das Weltbild des chinesischen Präsidenten Xi. Seit Jahren spricht er von „großen Veränderungen, wie man sie seit einem Jahrhundert nicht mehr erlebt hat“.
Im chinesischen kommunistischen Parteijargon bezeichnet Xi damit den „Niedergang der USA und den Aufstieg Chinas“ in einer multipolaren Welt. Die Bemühungen der USA, den Krieg in der Ukraine zu beenden, seien ein Zeichen der Schwäche des Westens und eine Belohnung für die Gewaltanwendung der Kremlführung, hieß es in chinesischen Staatsmedien. Dabei ist anzumerken, dass Trumps Haltung zur Ukraine weitgehend im Einklang mit der Haltung Chinas steht, wonach die NATO-Osterweiterung mitschuldig am Krieg sei.
Inwieweit China von den direkten Verhandlungen zwischen USA und Russland überrascht wurde, bleibt unter Beobachtern umstritten. Man feiert bereits die „Rückkehr zum Realismus“ in der Welt. Die chinesische Zeitung Global Times lobte Trump dafür, dass er „allmählich die regelbasierte Ordnung aufgibt“.
Die Kehrtwende der USA in der Ukraine-Frage wirft auch Fragen über die Bereitschaft Trumps auf, seine Unterstützung für den wichtigsten Halbleiterproduzenten der Welt, nämlich Taiwan, aufrechtzuerhalten. Präsident Xi könnte nämlich die Entscheidung der USA, direkt mit Russland über den Krieg in der Ukraine zu verhandeln, ohne dass die Ukraine mit am Verhandlungstisch sitzt, als Präzedenzfall für direkte Verhandlungen mit Trump über Taiwan betrachten. China beansprucht Taiwan als Teil der Volksrepublik.
Chinas Gegner alarmiert die Vorstellung, dass Peking das Engagement der USA falsch einschätzen, stärker gegen Taiwan vorgehen und damit das Risiko eines bewaffneten Konflikts erhöhen könnte. China schließt eine Invasion nicht aus und simuliert eine solche sogar offen. Erst vor kurzem hat Pekings Marine 40 Seemeilen vor der Südküste Taiwans unangekündigt Schießübungen durchgeführt und ein Unterwasser-Internetkabel gekappt.
Tatsächlich ist die chinesische Elite besorgt über die Annäherung zwischen Washington und Moskau. Dieser Ansatz wird gemeinhin als „Kissinger back“ bezeichnet: Der Versuch, Russland durch eine Annäherung an die USA von China zu lösen, ähnlich wie der damalige US-Außenminister Henry Kissinger während des Kalten Krieges die Beziehungen zur Volksrepublik China normalisierte, um die Sowjetunion zu isolieren.
Tatsächlich befürchten einige chinesische Analysten, dass die Annäherung der USA an Russland nur eine Taktik sein könnte, um es Washington zu erleichtern, sich auf die Eindämmung Chinas zu konzentrieren. In diesem Zusammenhang wird argumentiert, dass Trumps Zugeständnisse an Russland auf geschickte Schachzüge zurückzuführen seien. Trump wolle Russland umwerben, um es aus der Umklammerung Chinas, der Supermacht und des größten Rivalen der USA, zu befreien.
Auch die Beendigung des Krieges in der Ukraine und die Annäherung an Russland werden von Mitgliedern des engsten Trump-Zirkels in diesem Denkmuster begründet. Verteidigungsminister Pete Hegseth erklärt das schwindende Interesse der USA an der Sicherheit Europas damit, dass es den USA wichtig sei, einen Krieg mit China im Pazifik zu vermeiden. Vizepräsident JD Vance nennt es „lächerlich“, dass die USA „Russland in die Hände der Chinesen treiben“, und ebenso „lächerlich“, dass Russland „Juniorpartner der Chinesen“ sei. In der Welt von Trump ist ein „Kissinger rückwärts“ die andere Seite der Medaille von „America First“.
Kissingers Bemühungen um die Wiederherstellung der Beziehungen zu China, die 1972 zu einem Besuch von Präsident Richard Nixon in China führten, waren von einer Reihe von Motiven geleitet. Einige davon hatten mit rein nationalen Interessen zu tun, vor allem mit der vergeblichen Hoffnung, China könne Nixon helfen, den amerikanischen Krieg in Vietnam zu beenden. Andere Motive spiegelten Nixons Glauben an US-Verantwortung als Hüter einer stabilen Weltordnung wider. Die ursprüngliche Absicht von Nixon und Kissinger war es nicht, die „China-Karte“ auszuspielen, um Russland einzudämmen, wie es Trump in umgekehrter Weise nun versucht.
Die beiden hofften in erster Linie, China davon abzuhalten, maoistische Aufstände in den Entwicklungsländern zu unterstützen. Sie sprachen aber auch davon, die sowjetischen Führer auf nützliche Weise zu verunsichern, um sie damit zu Rüstungskontrollabkommen und anderen Formen der Entspannung mit den USA zu bewegen. Die USA wollten seinerzeit China nicht „für immer außerhalb der Völkerfamilie lassen“ und China in die von den USA geführte Weltordnung einbinden. Trump ist allerdings ein Isolationist und versucht unter anderem durch Annäherungen an Russland die Globalisierungsprozesse der Märkte zu stoppen, von denen China profitiert.
Es ist nicht einmal klar, ob Trump glaubt, in die Fußstapfen von Nixon und Kissinger zu treten. Er scheint oft ungeduldig zu sein, wenn es um Geopolitik geht oder darum, dass die Akteure auf der internationalen Bühne ihre eigene Geschichte und ihre eigenen Grundüberzeugungen haben. Stattdessen scheint er Ideologie als lästiges Hindernis für Geschäfte zu betrachten. Im Gegensatz dazu sind Xi und Putin von der Geschichte besessen. Sie sind Meister darin, geopolitische Spannungen und ideologische Differenzen auszunutzen, um Macht anzuhäufen.
Russland und China haben strenge Regeln gegen westlichen Einfluss in ihren eigenen Ländern, da sie Angst vor externen Bedrohungen und westlicher Infiltration haben. Kurz nach dem Treffen der Vertreter der USA und Russlands in Riad telefonierten Putin und Xi. In der Erklärung hieß es von chinesischer Seite, die Beziehungen zwischen China und Russland würden „nicht durch eine dritte Partei beeinträchtigt“. Von russischer Seite hieß es, die Beziehungen zu Peking seien „nicht von außen beeinflusst“.
China hat Russland maßgeblich dabei geholfen seinen Krieg gegen die Ukraine fortsetzen. Obwohl China keine Waffen an Russland geliefert hat, wie Iran und Nordkorea, sind seit dem Ukrainekrieg chinesische Lieferungen von Gütern mit doppeltem Verwendungszweck direkt in die russische Kriegsmaschinerie geflossen. Mit Beginn des Krieges im Februar 2022 ist der russische Bedarf an Militärgütern und Technologien stetig gestiegen. Denn die russische Militärindustrie war nicht dazu in der Lage, diese Verluste schnell genug aufzufangen und moderne Ausrüstung nachzuliefern. China ist seither der größte Lieferant von Mikroelektronik, der Russland dazu verhilft, seine Rüstungsindustrie aufrechtzuerhalten.
Für Russland würde eine Entspannung der Beziehungen zu den USA dazu beitragen, seine wirtschaftliche Abhängigkeit von China zu verringern, nachdem es durch die Sanktionen von vielen globalen Märkten und der EU, seinem bis dahin größten Handelspartner, abgeschnitten wurde. Russlands Handel mit China erreichte im vergangenen Jahr ein Volumen von 245 Milliarden US-Dollar – ein Rekordwert, aber immer noch weniger als Moskaus Handel mit der EU im Jahr 2021, dem letzten vollen Jahr vor der großangelegten Invasion in der Ukraine, in Höhe von 270 Milliarden US-Dollar.
Obwohl der Ukrainekrieg für China ein geopolitischer Gewinn war, da Peking seine Machtbasis in Asien weiter ausbauen konnte, geriet das Land mit zunehmender Dauer des Krieges immer stärker unter medialen Druck, die russische Kriegsmaschinerie durch die Lieferung von Dual-Use-Gütern am Laufen zu halten. Die jüngsten Erklärungen der EU und der NATO waren von einer härteren Sprache gegenüber China geprägt. Ein Frieden in der Ukraine würde es China nun ermöglichen, seine Beziehungen zu Europa zu verbessern, während Trump dabei ist, Strafzölle gegen eine der größten Volkswirtschaften der Welt zu verhängen.
Die Chinesen sind überzeugt, dass sie die transatlantischen Bedrohungen nutzen können, um ihre Position in Europa zu verbessern. Auch in China hofft man auf einen Deal Trumps mit Peking. Inwieweit Trump einen großen Deal auch mit Xi anstrebt, bleibt in China abzuwarten. Xi hält sich derzeit zurück und scheint froh zu sein, wenn Zölle und Drohungen andere Staaten treffen.
Seyed Alireza Mousavi, geb. 1987 im Iran, ist promovierter Politikwissenschaftler. 2017 erschien seine Dissertation ‚Die Globalisierung und das Politische. Überlegungen zur Aktualität von Carl Schmitt‘ (Duncker& Humblot). Der Schmitt-Forscher ist freier Journalist und lebt in Berlin.