
Deutschland, Frankreich und Großbritannien haben dem Iran ein Ultimatum bis Ende August für ein Nachgeben im Streit über dessen Atomprogramm gesetzt. Andernfalls droht der Islamischen Republik die Wiedereinsetzung der UN-Sanktionen. Das ging am Mittwoch aus einem von Bundesaußenminister Johann Wadephul und seinen Amtskollegen unterzeichneten Brief an die UNO hervor. Dieser liegt der Financial Times vor.
Die drei Staaten erklärten, sie hätten Iran eine Fristverlängerung angeboten, um die automatische Wiederverhängung von Sanktionen noch in diesem Monat abzuwenden. Das alte Atomabkommen mit Iran aus dem Jahr 2015 läuft im Herbst aus. Spätestens im Sommer könnten die Europäer den sogenannten Snapback-Mechanismus auslösen. Dem müsste dann der UN-Sicherheitsrat folgen.
Hinter dem technischen Begriff „Snapback“ verbirgt sich, dass die Vereinten Nationen die ausgesetzten Sanktionen gegen Iran wieder verhängen müssten, wenn sich das Land nicht an die Vorgaben von damals hält. Gemäß dem Wiener Abkommen (2015) werden zehn Jahre nach dem Tag der Annahme des Atomdeals alle noch verbliebenen Sanktionen der UNO und der EU gegen den Iran aufgehoben – allerdings nur, wenn die Mitglieder bis 18. Oktober keine Regelverstöße des Iran vor dem UN-Sicherheitsrat anprangern. Der Snapback-Mechanismus ist nämlich eine Möglichkeit für die Staaten des Atomabkommens von 2015, iranische Regelverstöße vor dem UN-Sicherheitsrat anzuprangern. Damit kann innerhalb von 30 Tagen die Wiedereinsetzung aller internationalen Sanktionen aus der Zeit vor der Einigung erzwungen werden, ohne dass andere Mitglieder (in dem Fall China und Russland) dies mit einem Veto verhindern könnten.
Vor der Übernahme des Vorsitzes im UN-Sicherheitsrat durch Russland im Oktober wollen die Europäer den Prozess zur Aktivierung des „Snapbacks“ abschließen. Die USA können von diesem Mechanismus jedoch keinen Gebrauch machen, da sie bereits 2018 aus dem Atomdeal mit dem Iran ausgestiegen sind. Die Iraner argumentieren, dass es für eine Wiedereinführung der UN-Sanktionen keine „Rechtsgrundlage“ gebe. Der Iran warnt vor einer harten Reaktion, sollte der Snapback-Mechanismus aktiviert werden. Teheran erwägt einen Austritt aus dem Atomwaffensperrvertrag. Diese Entwicklung dürfte das Risiko einer neuen kriegerischen Auseinandersetzung mit dem Iran erheblich steigern.
Um Eskalationen erstmal abzuwenden, suchen Deutschland, Frankreich und Großbritannien mit dem Iran nach einem Kompromiss im Streit um das Atomprogramm. Die Europäer hatten indes signalisiert, dass sie Teheran eine Fristverlängerung anbieten könnten, sollte es Aussichten auf eine diplomatische Lösung des Konflikts geben. Teheran ist bisher nicht darauf eingegangen.
Europa betrachtet den Snapback sowohl als Verhandlungsinstrument, um Druck auf Teheran zur Wiederaufnahme der Atomverhandlungen mit USA auszuüben und das Land unter anderem dazu zu bewegen, seine rund 400 Kilogramm 60-prozentig angereicherten Urans abzugeben. Es gibt Berichte, wonach der Iran seine Vorräte an hochangereichertem Uran bereits vor den israelischen und US-amerikanischen Angriffen auf den Iran im Juni an sichere Orte gebracht hat. Trump hat eine komplizierte Situation geschaffen. Er hat Bomben auf Iran abgeworfen und muss das Land nun mutmaßlich am Verhandlungstisch davon überzeugen, seinen Uranvorrat abzugeben.
Nach dem Zwölf-Tage-Krieg mit Israel hat der Iran die Zusammenarbeit mit der Atomenergiebehörde ausgesetzt. Der Chef der Internationalen Atombehörde (IAEA) Rafael Grossi sprach unlängst in einem Interview über das mutmaßlich vor einem US-Angriff verschonte, hochangereicherte Uran im Iran und widersprach damit den Aussagen von US-Präsident Trump, wonach die USA das iranische Atomprogramm zerstört hätten. Laut Grossi könnten die Iraner „binnen Monaten“ oder sogar „weniger“ wieder Uran anreichern.
Die US-Geheimdienste sollen diesbezüglich private Telefonate iranischer Vertreter abgehört haben. Wie die Washington Post unlängst unter Berufung auf vier Personen berichtete, die mit geheimen Informationen innerhalb der US-Regierung vertraut sind, spielten abgefangene Nachrichten iranischer Beamten das Ausmaß der durch US-Angriffe auf das iranische Atomprogramm verursachten Schäden herunter.
Derzeit machen auch Berichte die Runde, dass Israel noch vor Ende des Jahres einen weiteren Krieg mit dem Iran beginnen könnte. Teheran erwartet den Angriff und bereitet sich darauf vor, so hieß es in einem Bericht von Foreign policy. Iran hat bereits nach dem jüngsten Krieg mit Israel einen Nationalen Verteidigungsrat gegründet. Das Gremium soll die Militärstrategien prüfen und die militärischen Kapazitäten des Landes massiv ausbauen. Dies ist ein klarer Hinweis darauf, dass sich Teheran für einen möglichen Krieg besser vorbereiten will. Was als defensive Maßnahme dargestellt wird, könnte sich jedoch als Brandbeschleuniger für die ohnehin explosive Lage in der Region erweisen.
Neben der Schwächung der iranischen Atominfrastruktur hatten die israelischen Angriffe auf den Iran im Juni zwei weitere Hauptziele: Einerseits sollten sie die USA in einen direkten und umfassenden militärischen Konflikt mit dem Iran verwickeln und andererseits das Regime im Iran stürzen. Israel errang mit seinem Krieg im Juni jedoch bestenfalls einen Teilsieg. Es hat vergeblich versucht, die USA in eine größere Militärintervention hineinzuziehen, um sowohl die konventionellen Streitkräfte als auch die wirtschaftliche Infrastruktur des Irans ins Visier zu nehmen.
Trumps Strategie, die iranischen Atomanlagen anzugreifen, zielte jedoch darauf ab, die Eskalation zu begrenzen, statt sie auszuweiten. Israel erhoffte sich von seinem Krieg im Juni, Panik im Iran auszulösen, den Zusammenbruch der Islamischen Republik zu beschleunigen und einen Regimewechsel herbeizuführen. Die Israelis haben sich jedoch bei den Reaktionen der iranischen Bevölkerung verkalkuliert. Der Krieg hat die Iraner vereint und jegliche Gefahr von Unruhen nach der Zerschlagung der Militärführung im Land gebannt.
Der Iran ist in der Region derzeit jedoch massiv geschwächt, da seine Stellvertreter im Libanon und in Syrien zerschlagen wurden. Zudem befindet sich das Land in einer Wirtschafts- und Energiekrise. Die Wasserversorgung steht vor dem Kollaps. Dürre und Missmanagement haben zur schlimmsten Wasserkrise seit 100 Jahren geführt. Aufgrund dessen wächst die Unzufriedenheit im Land. Gleichzeitig gibt es keine Anzeichen dafür, dass Ayatollahs bereit sind, auf die Urananreicherung zu verzichten. Die jüngste Botschaft Netanjahus an die Bevölkerung im Iran deutet darauf hin, dass Israel eine neue Kampagne gegen den Iran plant. Der israelische Ministerpräsident hat die Iraner abermals zu Protesten und zum „Sturz des Regimes” aufgerufen.
Unabhängig davon, ob der Iran Kompromisse bei seinem Atomprogramm eingeht oder nicht, ist Israel entschlossen, dem Land die Zeit zu nehmen, sein Raketenarsenal aufzufüllen und neue Luftabwehrsysteme zu stationieren. Israel würde den Iran daran hindern, seine Fähigkeiten wieder zu rehabilitieren. Dabei hat Tel Aviv allerdings noch Bedenken. Der Schwachpunkt Israels liegt jedoch bei der Aufstockung der Bestände an Abwehrsystemen. Während des zwölftägigen Krieges mit dem Iran im Juni wurden zwei THAAD-Raketenabwehrsysteme der USA nach Israel verlegt. Laut Informationen des Wall Street Journals wurden dabei mehr als 150 Raketen abgefeuert, um die iranischen Raketenwellen abzuwehren. Das entspricht fast einem Viertel der THAAD-Abfangraketen, die das Pentagon je erworben hat. Die USA verfügen weltweit über sieben dieser hochmodernen Systeme.
Für den Iran scheint eine neue Runde des Krieges unabwendbar, vor allem, wenn Europa die UN-Sanktionen gegen Teheran wiedereinsetzt. Das heißt, Teheran versucht, seine Position durch eine neue Runde des Kriegs zu verbessern. Denn ohne wiederhergestellte Abschreckung hat Teheran am Verhandlungstisch mit dem Westen keine Chance, Optionen wie die Aufhebung der Sanktionen oder die Anerkennung eines eingeschränkten Atomprogramms zu erlangen.