
„Schulen sind aber auch ein Spiegel der Gesellschaft und so erleben wir leider seit Jahren zunehmende Gewalterfahrungen von Lehrkräften und allen übrigen an Schulen Beschäftigten.“ So beginnt der neue Leitfaden des Bildungsministeriums Nordrhein-Westfalen, der am 9. April veröffentlicht wurde. Der Leitfaden soll Lehrern Hilfestellungen geben, wenn sie von Körperverletzungen, sexuellen Übergriffen, Beleidigungen oder Internetnachrichten betroffen sind.
„Betroffene Personen sind verständlicherweise häufig verunsichert und müssen das Erlebte verarbeiten“, heißt es. Darum sollen betroffene Lehrer sich Zeit für sich nehmen und „achtsam“ in den Schulalltag zurückkehren. Das 15-seitige Dokument liefert auch konkrete Hinweise, was zu tun ist, wenn man durch Schüler oder Eltern bedroht wird.
Wie Bild berichtet, ist die Anzahl der Gewaltvorfälle vor allem in Nordrhein-Westfalen stark gestiegen. 2022 gab es 2.972 Fälle von Gewalt, 2023 waren es 4.808 Fälle. Das entspricht einem Anstieg von etwa 62 Prozent. Die Gewalt geht dabei auch von Eltern aus, wie der Lehrerverband VBE gegenüber der Zeitung sagte.
Der Leitfaden rät den akut von Gewalt betroffenen Lehrern „verbal deutlich“ zu machen, dass „Sie diesen Angriff nicht dulden“. Das könne zum Beispiel durch „Halt-Stopp-Rufe mit einer energischen Körpersprache“ geschehen. Sollten andere Schüler oder Dritte ihre Hilfe anbieten, solle man sie annehmen. Weiter heißt es: „Entfernen Sie sich aus der Gefahrenzone.“
Konkret bedeutet das: „Verlassen Sie das Gesichtsfeld des Angreifers, provozieren Sie nicht und vermeiden Sie jede Eskalation“. Im Zweifelsfall also vor dem Angreifer fliehen. Im Nachgang soll der Angriff unter Angabe von Ort, Zeit und beteiligten Personen schriftlich dokumentiert werden. Auch „belastende und entlastende Hinweise“ sollen genannt werden. Des Weiteren muss geprüft werden, ob „wegen der Schwere der Tat eine Meldung an die Polizei erfolgen muss“.
Sollte das nicht der Fall sein, dann können pädagogische Maßnahmen wie Elterngespräche oder ein befristeter Unterrichtsausschluss ausreichen. Zu Maßnahmen, die die Schule verhängen kann, heißt es: „Jede getroffene Maßnahme gegenüber der Schülerin oder dem Schüler muss verhältnismäßig sein.“ Zuerst sollen sogenannte „erzieherische Einwirkungen“ vorgenommen werden, also zum Beispiel Gespräche mit Eltern und Schülern oder die zeitweise Wegnahme von Gegenständen.
Nur wenn diese „erzieherischen Einwirkungen“ nicht ausreichen, dürfen „Ordnungsmaßnahmen“ ergriffen werden. Ordnungsmaßnahmen sind unter anderem der befristete Ausschluss vom Unterricht, der maximal zwei Wochen dauern darf, die Versetzung in eine andere Klasse oder der Schulverweis. Bei der Beurteilung, welche Maßnahme zu ergreifen ist, sollen auch die „Einsichtsfähigkeit und die persönliche und psychische Situation oder Entwicklung“ der Schüler berücksichtigt werden, heißt es in dem Leitfaden.
Auch das Thema Cybermobbing wird erwähnt. Bei Elternabenden soll regelmäßig über das Thema informiert werden. Schüler sollen bei der Erstellung von Präventionskonzepten miteinbezogen werden. Sollten Lehrer über das Internet beleidigt werden, sollen sie den Vorfall mit Bildschirmaufnahmen der Nachrichten dokumentieren, das Gespräch mit den Eltern suchen und notfalls zur Polizei gehen. Doch nicht nur Nordrhein-Westfalen ist von Gewalt an Schulen betroffen.
Innerhalb eines Jahres stieg die Anzahl der gemeldeten Gewaltvorfälle bundesweit um etwa 27 Prozent. So gab es 2022 21.570 Gewaltfälle an Schulen und 2023 waren es 27.470 Fälle, wie Bild berichtet. Nicht nur die Gewalt gegen Lehrer, auch die Gewalt von Kindern untereinander verschärft sich: 12 Prozent der Viertklässler an Grundschulen gaben an, mindestens einmal in der Woche geschlagen zu werden. Die grundlegende Frage, wie Gewaltausbrüche verhindert werden können, lässt der Leitfaden aus NRW offen.