
Im Rahmen einer Corona-Demonstration in Ingolstadt bezeichnete ein Mann Bundeskanzler Olaf Scholz auf einem Plakat als „Volksschädling“. Auch kritische Darstellungen von Innenministerin Nancy Faeser und Wirtschaftsminister Robert Habeck waren auf dem Plakat enthalten. Über Habeck hieß es etwa: „Vaterlandsliebe findet er zum Kotzen“ und Faeser wurde mit dem Schriftzug „10-Punkte-Plan zur Volksvernichtung“ untertitelt. Legal Tribute Online berichtete zuerst über den Sachverhalt.
Trotz des Verzichts des Bundeskanzleramts auf eine Strafanzeige erhob die Staatsanwaltschaft Anklage gegen den Demonstranten. Grundlage war der § 188 des Strafgesetzbuchs, auf dessen Grundlage die Behörden schon von Amts wegen Ermittlungen einleiten dürfen. Der Angeklagte wurde jedoch in allen Instanzen freigesprochen: zunächst vom Amtsgericht Ingolstadt, dann vom Landgericht Ingolstadt nach Berufung der Staatsanwaltschaft, und schließlich bestätigte das Bayerische Oberste Landesgericht (BayObLG) in der Revision den Freispruch und sah ebenfalls keine Strafbarkeit.
Das Oberste Landesgericht ging in der letztinstanzlichen Entscheidung sogar noch weiter als das LG Ingolstadt. Dieses hatte die Politikerbeleidigung nach § 188 des Strafgesetzbuches verneint, hätte aber wohl den „einfachen“ Tatbestand der Beleidigung nach § 185 des Strafgesetzbuches bejaht. Das Gericht aber sah jedoch schon keine einfache Beleidigung und lehnte in der Folge den Spezialisierungstatbestand der Politikerbeleidigung folgerichtig ab.
In seiner Entscheidung betonte das Bayerische Oberste Landesgericht jedoch darüber hinaus, dass selbst bei Annahme einer gewöhnlichen Beleidigung keine Politikerbeleidigung vorgelegen hätte. Durch die Bezeichnung des Kanzlers als „Volksschädling“ hätte das öffentliche Wirken von Scholz nicht ernsthaft beeinträchtigt werden können. Zudem hätten bei dem Protest nur rund 100 Personen Kenntnis von der Bemerkung nehmen können.
Der Bundesgerichtshof (BGH) vertrat in seiner früheren Rechtsprechung zur Vorgängervorschrift des § 188 StGB, dem ehemaligen § 187a StGB, die Auffassung, dass für die Beurteilung einer Politikerbeleidigung ausschließlich der Inhalt der Äußerung maßgeblich sei. Faktoren wie die Reichweite der Aussage oder die Umstände ihrer Verbreitung wurden dabei nicht berücksichtigt.