
Eine Woche nachdem der migrationskritische Politiker Geert Wilders aus Unzufriedenheit mit der Asylpolitik die niederländische Regierung platzen ließ, haben niederländische Bürger an der deutsch-niederländischen Grenze eigenmächtig „Grenzkontrollen“ an Autos aus Deutschland durchgeführt.
Dies geschah am Samstag- und Sonntagabend an den Grenzübergängen Rütenbrock (Niedersachsen) und Ter Apel (Niederlande). Das Dorf Ter Apel ist landesweit bekannt, weil sich dort das größte Ankunftszentrum für Asylsuchende mit etwa 2.000 Betten befindet, das ständig überfüllt ist.
Am Samstagabend hielten etwa zehn Autos aus der Region an dem Grenzübergang Fahrzeuge aus Deutschland an und kontrollierten sie auf ankommende Asylsuchende. Zu der Aktion hatte ein Aufruf auf Facebook mobilisiert. Die Aktivisten argumentierten, in den Niederlanden werde zwar über Grenzkontrollen und andere Maßnahmen zum Ausschluss von Asylsuchenden diskutiert, aber es passiere nichts. „Deshalb machen wir es jetzt selbst.“
Die Aktion, bei der Menschen in Warnwesten mit Leuchtstäben Kontrollen durchführten, erhielt eine besonders heikle Note, als die niederländischen Aktivisten am Samstagabend auch ein Fahrzeug der deutschen Polizei anhielten. Die deutschen Beamten zeigten sich wenig begeistert, woraufhin die Aktivisten ihre Aktion von der niederländischen Grenzseite fortsetzten. Am Sonntagabend wiederholten sie die Protestaktion, diesmal jedoch ohne Fahrzeuge anzuhalten und zu durchsuchen. Stattdessen überprüfte die niederländische Polizei die Personalien der Teilnehmer. Sowohl niederländische als auch deutsche Polizei waren in nennenswerter Stärke vor Ort.
Örtliche Behörden zeigten Verständnis für die Beweggründe der Aktion, wiesen jedoch die Eigenmächtigkeit zurück. Dasselbe tat Justizminister David van Weel, der die „Grenzkontrollen“ durch niederländische Bürger an deutschem Verkehr als „inakzeptabel“ bezeichnete. Ein scharfer Kontrast dazu war die begeisterte Reaktion von Geert Wilders, Vorsitzender der größten Fraktion im niederländischen Parlament. Wilders lobte die Aktion als „fantastische Initiative“, die an allen niederländischen Grenzen stattfinden sollte. „Beim nächsten Mal möchte ich gerne selbst mitmachen.“
Ausgerechnet in der vergangenen Woche hatte Wilders die Koalitionsregierung, in der seine Partei (Partij voor de Vrijheid, PVV) die stärkste Kraft war, gestürzt – aus Unzufriedenheit mit der bislang wenig effektiven strengen Asylpolitik der Regierung unter Premier Dick Schoof, einem parteilosen Spitzenbeamten. Die Regierung Schoof regiert vorläufig ohne die Minister der PVV weiter.
Wilders hatte kürzlich einen „10-Punkte-Plan“ vorgestellt, der eine rasche Einführung einer harten Asylpolitik vorsieht. Einer der Punkte fordert „verstärkte Grenzbewachung, notfalls unter Einsatz des Militärs“. Einer Umfrage zufolge würden 49 % der Niederländer dem zustimmen. Die bislang von der Regierung Schoof eingeführten begrenzten Grenzkontrollen zeigen in der Praxis kaum Wirkung.
Gemäß früherer Koalitionsvereinbarungen sollten die Niederlande „Spitzenreiter Europas“ werden, wenn es darum geht, die Asylmigration einzudämmen. Doch innerhalb der Regierungskoalition – PVV, liberale VVD, Bauern- und Bürgerpartei sowie eine Abspaltung der Christdemokraten – herrschte oft Uneinigkeit über neue Maßnahmen. Zudem gab es Widerstand von Juristen, Beratungsgremien und Beamten.
Bei Geert Wilders, für den Asyl das wichtigste Wahlkampfthema ist, wurde die Ungeduld zunehmend größer. Er beklagte, dass die Niederlande in Europa vom Spitzenreiter zum Nachzügler geworden seien und von Ländern wie Dänemark, Deutschland, Österreich und Belgien überholt würden. So beteiligten sich die Niederlande auf Drängen von Innenministerin Judith Uitermark – einer ehemaligen Richterin – nicht an einem offenen Brief europäischer Regierungschefs, in dem u. a. die Ausweisung krimineller Einwanderer gefordert wurde. Diese Haltung von Uitermark erregte Unmut, da die Koalitionsvereinbarungen gerade eine gemeinsame Front mit gleichgesinnten europäischen Staaten zur Modernisierung des UN-Flüchtlingsabkommens vorsahen.
Die Regierung Schoof zeigte – sehr zum Missfallen des „Populisten“ Wilders – auch in anderen Bereichen wie etwa der Klimapolitik kaum eine „rechte“ Kursänderung im Vergleich zu den eher linken Koalitionen unter Ex-Premier Mark Rutte, heute Generalsekretär der NATO.
Möglicherweise spielte auch eine Rolle, dass die Popularitätswerte für Wilders’ Partei PVV in den letzten Monaten sanken. Am Dienstag, dem 3. Juni, zog Wilders dennoch überraschend den Stecker an „seiner“ Regierung. Damit ist innerhalb von zwei Jahren zum zweiten Mal eine niederländische Regierung an der Asylpolitik gescheitert. Bereits im Juni 2023 hatte Premier Mark Rutte die Regierung aufgelöst, weil er meinte, mit seinen Koalitionspartnern keine Fortschritte hin zu einem härteren Asylregime erzielen zu können.
Die niederländischen Wähler fordern seit Jahren weniger Zuwanderung – die Niederlande sind nach Malta das am dichtesten besiedelte EU-Land – und insbesondere weniger Asylsuchende, vor allem aus islamischen Ländern. In der Praxis bleiben diese Wünsche jedoch weitgehend unerfüllt, da weder linke noch Mitte-Parteien mit dem „Populisten“ Wilders regieren wollen.
Vor zwei Jahren entschieden sich die Liberalen der VVD erneut für eine Koalition mit Wilders, doch nach der jüngsten Kabinettskrise wollen viele in der Partei das nicht noch einmal wagen. Es ist daher höchst wahrscheinlich, dass nach der Wahl am 29. Oktober im nächsten Jahr wieder eine „Große Koalition“ aus traditionellen Parteien gebildet wird, die wiederum nicht in der Lage sein wird, die Migrationspolitik im Sinne der Mehrheit der Niederländer zu reformieren. Es ist daher nicht ausgeschlossen, dass es – angestachelt von Wilders oder anderen – in den Niederlanden künftig häufiger zu spontane Aktionen an Grenzübergängen und in der Nähe von Asyl-Zentren kommen wird.
Syp Wynia ist Chefredakteur des Online-Magazins „Wynia’s Week“ und Verleger bei Uitgeverij Blauwburgwal in Amsterdam.