
Bewaffnete Polizisten, die im Morgengrauen Leute aus dem Bett klingeln, Laptops und Smartphones beschlagnahmen, weil sie Gemeinheiten oder böse Witze ins Netz geschrieben haben – der Bericht des US-Senders CBS-News über Razzien in Deutschland gegen „Hassrede“ schlägt weltweit große Wellen und richtet den Scheinwerfer auf den Umgang der Bundesregierung und der deutschen Justiz mit der Meinungsfreiheit.
„Wenn die Polizei vor der Tür steht, wird jedem Täter klar, dass Hasskriminalität Konsequenzen hat“, sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) am 12. November 2024, als deutschlandweit Hunderte Polizisten 50 Wohnungen wegen mutmaßlicher „Hass-Kriminalität“ durchsuchten und eben ein Kamerateam aus den USA dabei war, als das geschah. Das bestätige die Staatsanwaltschaft Göttingen gegenüber NIUS.
„Aktionstag gegen antisemitische Hasskriminalität im Internet“ heißen Faesers Bundesdurchsuchungs-Festspiele, die unter Ex-Kanzlerin Angela Merkel ins Leben gerufen worden sind und nun die Weltöffentlichkeit staunen lassen.
Es handelt sich dabei um eine konzertierte Aktion des Bundeskriminalamtes im Auftrag der Bundesregierung, um für die Öffentlichkeit Tatkraft gegen „Hass im Netz“ zu signalisieren – dass dabei die Meinungsfreiheit in Gefahr gerät und die Justiz offenbar teils unverhältnismäßig vorgeht, scheint die zuständige Ministerin nicht zu interessieren.
„Sie sind geschockt“, sagte Oberstaatsanwalt Frank-Michael Laue und lachte gemeinsam mit seinen Kollegen Dr. Matthäus Fink, Svenja Meininghaus von der „Zentralstelle zur Bekämpfung von Hasskriminalität im Internet – Niedersachsen“ (ZHIN) bei der Staatsanwaltschaft Göttingen. Dann ergänzt Laue: „Es ist ja schon eine Bestrafung, das Handy weggenommen zu bekommen – es ist sogar schlimmer als die Strafzahlung selbst.“
Gelächter bei den Staatsanwälten Dr. Matthäus Fink, Svenja Meininghaus und Frank-Michael Laue
Es ist die Szene aus dem Beitrag von CBS-News, der für die größte Aufregung gesorgt hat: Staatsanwälte, die böse Kommentare und Gemeinheiten im Netz mit dem juristisch sehr scharfen Schwert der Hausdurchsuchungen verfolgen lassen, das offenbar belustigend finden und diese Ermittlungsmaßnahme offenbar als Teil einer Strafe betrachten, bevor je ein Gericht über Schuld und Unschuld hätte entscheiden können.
Der Staatsrechtler Prof. Dr. Josef Franz Lindner spricht von einem „für Staatsanwälte öffentlich unangemessenes Verhalten“. Weiter sagt Lindner zu NIUS: „Davon zu sprechen, dass Hausdurchsuchung und Beschlagnahmung die härtere Strafe als die mögliche richterliche Bestrafung selbst seien, zeugt von einem bedenklichen Verständnis für das Strafrecht und das Strafprozessrecht, von einer Missachtung der Grundlagen des Strafrechts.“
Den Staatsanwälten scheint gar nicht aufzufallen, welches Einschüchterungspotenzial es hat, wenn bewaffnete Polizisten im Morgengrauen eine Wohnung stürmen und elektrische Geräte beschlagnahmen.
Das niedersächsische Innenministerium betont auf NIUS-Nachfrage, dass es sich bei einer Beschlagnahmung von Gegenständen wie Laptops oder Handys „nicht um eine Bestrafung im Rechtssinne handelt“, wie ein Sprecher mitteilt. Die Aussage des Oberstaatsanwaltes Laue werde im Ministerium „naheliegend“, wie der Sprecher ausführt, so verstanden, „dass sie sich allein auf das subjektive Empfinden einzelner Betroffener bezog“. Das Gelächter kommentierte das Justizministerium nicht und verwies an die Staatsanwaltschaft Göttingen.
Am 12. November 2024, also besagtem Aktionstag, waren Polizisten auch in der Nähe von Bamberg im Einsatz und klingelten gegen 6 Uhr morgens an der Tür von Stefan Niehoff. Laut Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Bamberg wurde die Hausdurchsuchung jedoch nicht mit „antisemitischer Hasskriminalität“ begründet, wie der Name des Aktionstages vermuten lässt. Niehoff hatte ein Meme, also ein scherzhaft gemeintes Internet-Bild, weiterverbreitet, auf dem der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck als „Schwachkopf Professional“ bezeichnet worden ist.
Wegen dieses Memes bekam Stefan Niehoff Besuch von der Polizei.
Niehoff erlangte durch die – von zahlreichen Experten als unverhältnismäßig kritisierte – Hausdurchsuchung ungewollt Berühmtheit. Der „Schwachkopf“-Fall löste deutschlandweit eine Debatte über das Vorgehen der Behörden gegen Internet-Kommentare und die Anzeigenflut von Spitzenpolitikern aus. NIUS berichtete in der Folge über zahlreiche weitere Fälle von Bagatellen, die zu Ermittlungen und hohen Strafzahlungen führten.
Bemerkenswert im „Schwachkopf“-Fall: Der Durchsuchungsbeschluss ist auf den 6. August 2024 datiert, die Durchsuchung selbst fand jedoch drei Monate später statt, wohl um dem „Aktionstag“ mehr Gewicht durch einen prominenten Betroffenen zu verleihen.
Der Durchsuchungsbeschluss wurde mehr als 3 Monate vor der eigentlichen Durchsuchung vom Gericht angeordnet.
Diesen großen Zeitabstand zwischen Durchsuchungsbeschluss und Durchsuchung kritisiert Staatsrechtler Prof. Dr. Josef Franz Lindner gegenüber NIUS: „Diese Form von Vorrats-Hausdurchsuchungsbeschlüssen, um an einem festgelegten Datum eine konzertierte Aktion zu stärken, halte ich für rechtlich nicht zulässig.“ Hausdurchsuchungen müssten im Einzelfall geprüft werden und hätten hohe rechtliche Hürden, so der Experte weiter.
Auch US-Journalisten berichten von einem unverhältnismäßigen Fall, bei dem die Hausdurchsuchungsmaßnahme gar vor Gericht als rechtswidrig abgeurteilt worden ist. Der SPD-Politiker Andy Grote hatte 2020 zur Anzeige gebracht, nachdem er im Netz als „Pimmel“ bezeichnet worden war. Es folgte eine Hausdurchsuchung und eine große Debatte über das rabiate, als unverhältnismäßig kritisierte Vorgehen der Justiz. Das Verfahren wurde am Ende eingestellt.
Die US-Journalisten fassen den Fall Grote wie folgt zusammen: „As prosecuters explained to us, in Germany it is okay to debate politics online, but it can be a crime to call anybody a ,pimmel‘ – even a politician.“ (Zu Deutsch: „Wie uns die Ermittler erklärten, sei es in Ordnung, Politik im Netz zu diskutieren, aber es kann ein Verbrechen sein, jemanden ,Pimmel' zu nennen – selbst bei Politikern.“)
Freilich sind es nicht nur als Bagatellen wahrgenommene Fälle von Kommentaren und Beiträgen im Netz, die die Behörden verfolgen: Bei den beiden Hausdurchsuchungen, die die US-Journalisten in dem Beitrag begleitet haben, handelt es sich laut Staatsanwaltschaft Göttingen um deutlich schwerwiegendere Vorwürfe: Im ersten Fall sei die Durchsuchung „im Zusammenhang mit dem Verein ,Sturm-/Wolfsbrigade 44‘“, der als rechtsradikal gilt und aufgrund der Verfügung des Bundesinnenministeriums vom 27.10.2020 verboten wurde, durchgeführt worden. Im zweiten Fall habe der Beschuldigte ein judenfeindliches Meme und eine Hakenkreuzfahne geteilt.
Die Ermittlungen in beiden Fällen dauern laut Staatsanwaltschaft an. Wie viele der Hausdurchsuchungen in den vergangenen Jahren tatsächlich zu Anklage-Erhebungen oder gar Verurteilungen geführt haben, können die Behörden derweil nicht beziffern.
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