
NIUS-Reporter Diego Faßnacht berichtet für uns von seiner Reise durch Argentinien. Dabei spricht er mit Menschen vor Ort und berichtet hautnah, wie die in Deutschland viel kritisierte „Kettensägen“-Politik bei der argentinischen Bevölkerung tatsächlich ankommt ...
Hier sind wir also: Im Land von Patagonien und Buenos Aires, das von Javier Milei regiert, der vielerorts als Hoffnungsträger gilt.
Bereits zur Landung wird klar: In Argentinien steht die Welt Kopf – zumindest was das Klima angeht. Milder Winter mitten im Juli. Im Flughafen von Buenos Aires stelle ich fest, dass es (zumindest für die Standards von Lateinamerika) ziemlich organisiert und regelbasiert zugeht. Auf den ersten Blick erscheint alles recht sauber, die üblichen Abläufe eines Flughafens geschehen auch hier strukturiert. Die Passkontrolle geht zügig über die Bühne und auf unser Gepäck (ich reise mit meiner Familie) warten wir auch nicht länger als fünf Minuten.
Internationaler Flughafen von Buenos Aires
Der erste Uber-Fahrer weist uns aufgrund der Gepäckmenge sehr freundlich ab, der zweite Taxifahrer – ein Sozialismus-Flüchtling aus Venezuela – berichtet, dass es in der vergangenen Woche verdammt kalt gewesen sei, und bittet aufgrund unserer Gepäcklast um ein Trinkgeld. Er erinnert mich an meinen ehemaligen Business-Spanisch-Lehrer Miguel, einen venezolanischen Volkswirtschaftsstudenten, der ebenfalls in Buenos Aires wohnt. Denn der erste Eindruck passt: Die Menschen sind freundlich und keinesfalls verzweifelt.
Vielleicht ist es der hohe Anteil von Menschen italienischer Abstammung, der Venezuela und Argentinien verbindet. Nach Argentinien und Uruguay ist der Anteil italienischer Abstammung in Venezuela am höchsten. Insgesamt gilt Argentinien als das europäischste Land Lateinamerikas: Rund 85 bis 90 Prozent der Bevölkerung stammen von europäischen Einwanderern ab. Das bestätigt sich bei den Gesprächen vor Ort, wo viele auf ihre Wurzeln in Europa verweisen.
Angesichts der massiven Migrationsbewegungen in vielen Teilen Europas ist es tatsächlich nicht übertrieben zu sagen: Im traditionellen Sinn ist Argentinien heute „europäischer“ als viele Teile des heutigen Europas. Zumindest identifizieren sich diese Leute noch sehr mit der Heimat, die ihre Vorfahren bereits vor einigen Dekaden verließen.
Das Straßenbild hat für mich deutliche Parallelen zu Frankreichs Hauptstadt: Vieles erinnert mich an europäische Städte wie Paris in ihrer Blütezeit im 19. Jahrhundert – von der Architektur bis zur Kaffeehauskultur. Der Vergleich von Buenos Aires mit Paris ist also gar nicht so weit hergeholt: Breite Boulevards, elegante Fassaden und Plätze mit Springbrunnen findet man an vielen Orten der Hauptstadt. Allerdings scheint vieles in den letzten Jahrzehnten dem Verfall anheimgefallen zu sein.
Blick von der Dachterrasse unseres Apartmenthauses in Buenos Aires
Pessimismus spürt man im Gespräch mit der Bevölkerung derzeit kaum. Vor fast zwei Jahren wurde Javier Milei zum Präsidenten von Argentinien gewählt und versprach einen radikalen Wandel. Erstmals seit 2008 gibt es in Argentinien wieder einen Haushaltsüberschuss. Die Staatsschulden konnten um 46 Milliarden US-Dollar gesenkt werden. 2024 betrug die Staatsverschuldung gut 85 Prozent des Bruttoinlandsproduktes, in diesem Jahr wird sie voraussichtlich auf 73 Prozent sinken.
Der 67-jährige Taxifahrer Carlos (seine Eltern sind in den 50er-Jahren des 20. Jahrhunderts aus Sizilien eingewandert) kommt aus dem weltweit bekannten Weinanbaugebiet Mendoza und antwortet auf meine vorsichtige Frage zu seiner Meinung über Präsident Milei, dass er völlig begeistert sei und ihn auch gewählt habe. Bisher mache Milei – auch gegen die „widerlichsten politischen Widerstände“ – eine hervorragende Arbeit.
Als Taxifahrer profitiere er stark von der massiven Erhöhung der Steuerfreibeträge für Solo-Selbstständige. Diese lagen vor Mileis Amtszeit bei 6.300 US-Dollar und wurden zuletzt auf enorme 75.000 US-Dollar erhöht.
Autor Diego Faßnacht und Taxifahrer Carlos
Auch wenn sich die Inflation unter Milei von über 290 Prozent auf 40 Prozent reduziert hat, bleibt das Problem auf den Straßen und in den Geschäften präsent. Seit die Regierung den Wechselkurs des argentinischen Pesos zum US-Dollar freigegeben hat, verfolgen die Argentinier tagesgenau, wie sich ihre Währung entwickelt. Viele Transaktionen – beispielsweise im Hotel – basieren sogar auf US-Dollar. An den meisten Geldautomaten kann man maximal 60.000 Pesos abheben – circa 40 Euro – und zahlt dafür mindestens 8.000 Pesos (etwa 7 Euro) an Gebühren.
An einem Geldautomaten hatte ich eine kuriose Situation: Nach Ende der Transaktion teilte mir der Automat mit, dass ich 1.000 Pesos „gewonnen“ hätte und zahlte mir diese aus. Klasse!
Auf der offiziellen Website der Fluggesellschaften kann man Flüge auch in Kryptowährungen bezahlen. In Buenos Aires gibt es überall Wechselstuben, oftmals mit der Möglichkeit, auch Bitcoin zu kaufen.
Wechselstube mit Bitcoin-Kaufmöglichkeit
Bei einem Treffen mit meinem ehemaligen Spanischlehrer Miguel erzählt er mir, dass er für seine Arbeit von einem multinationalen Unternehmen aus der Schweiz in Kryptowährungen bezahlt würde, was völlig normal sei. So könne er auch problemfrei Geld in seine Heimat Venezuela schicken. Bis vor wenigen Monaten war es nicht möglich, den argentinischen Peso zum realen Wechselkurs zu tauschen und Geld außer Landes zu bringen.
Die Inflationsprobleme in Ländern wie Argentinien und Venezuela haben dazu geführt, dass sich Kryptowährungen zu echten Parallelwährungen entwickelt haben. Dies wird Präsident Milei kaum stören, da er sich nichts sehnlicher wünscht, als den argentinischen Peso als Pflichtwährung abzuschaffen und einen Währungswettbewerb in Argentinien einzuführen.
Die Reformen von Präsident Milei haben einerseits dazu geführt, dass die Inflationsrate für die Argentinier gesunken ist. Andererseits sind durch die Verbindung von Wechselkursentwicklung und Inflation die Preise für Touristen deutlich angestiegen. Dementsprechend leidet der Tourismus. Die Buchungszahlen sind im mehrjährigen Vergleich unterdurchschnittlich. Das bestätigt mir direkt der Taxifahrer Carlos und die Rezeptionistin im Hotel des Weingut „Salentein“. In den vergangenen Jahren seien viel mehr Brasilianer gekommen (es gibt direkte Flugverbindungen nach Rio de Janeiro und São Paulo). Sogar im Radio berichtet man, dass die üblichen Besuchszahlen von Touristen in diesem Jahr eher mau seien.
Die fernbleibenden Touristen vermisst auch unser Kellner Lucas im Restaurant „La Estancia“. Der Wein (Flasche circa 15 Euro) und das Essen (insbesondere das Fleisch, Grillplatte für zwei Personen circa 55 Euro inklusive Beilagen) haben darunter allerdings ganz eindeutig nicht gelitten. Hervorragend!
Die Grillplatte im Restaurant „La Estancia“ war hervorragend.
Fazit: In Argentinien ist gewaltig etwas im Gange. Natürlich sind die Probleme, speziell die Inflation, nicht ausgemerzt, aber eine klare politische Richtung ist erkennbar. Das Land löst sich vom Stillstand der Vergangenheit.
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