Norwegen Musterland für Elektroautos: Kein Vorbild für Deutschland

vor 3 Monaten

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Bildquelle: Tichys Einblick

Auch öffentliche TV-Sender sind in ihren Nachrichtensendungen – gewollt oder ungewollt – gelegentlich nicht vor der Verbreitung von „halben“ Wahrheiten oder tendenziösen Interpretationen gefeit. Dies kann geschehen, wenn Fakten nur einseitig dargestellt oder nicht vollständig recherchiert werden. Hiermit verbunden ist die Aufforderung, nicht nur plakative Fakten, sondern auch deren Hintergründe umfassend darzustellen. Nur so kann dem öffentlichen Auftrag eines Nachrichtensenders entsprochen werden, der den Bürgern ermöglichen soll, sich ein eigenes Urteil zu bilden.

Ein Beispiel: Das ZDF berichtete zu Jahresbeginn unter folgendem Titel: „Norwegen bei Elektroautos fast am Ziel: Norwegen scheint die Wende beim Umstieg auf E-Autos geschafft zu haben. Bei den Neuwagen ist nur jeder Zehnte ein Verbrenner. Die Regierung setzt auf Anreize statt Verbote.“

Die Fakten sind korrekt. In Norwegen wurden 2024 fast ausschließlich Batterie-Elektroautos (BEV) verkauft und zugelassen, sodass der Neuwagenmarkt nahezu vollständig „klimafreundlich“ ist. In Deutschland hingegen ist nur jedes siebte Auto ein reines Elektrofahrzeug. Die mediale Berichterstattung vermittelt häufig den unausgesprochenen Eindruck, Deutschland habe im Gegensatz zu Norwegen versagt. Doch eine genauere Betrachtung zeigt, dass die Verhältnisse zwischen beiden Ländern kaum vergleichbar sind.

Im Jahr 2024 wurden in Norwegen 128.691 neue Pkw zugelassen (in Deutschland: 2.817.300), davon:

Damit wurden in Norwegen in 2024 nur noch 2.924 konventionelle Benziner- oder Diesel-Pkw zugelassen, in der Regel von Autovermietern für Touristen mit Reichweitenbedenken und straffem Zeitprogramm, die keine BEV wollten. Der Bestand an Elektroautos dürfte nach Schätzungen 2024 in Norwegen bei rund 850.000 BEV gelegen haben, in Deutschland liegt er bei rund 1,8 Millionen.

In 2017 formulierte das norwegische Parlament das Ziel, wegen der hohen CO2-Emissionen ab 2025 nur noch Elektroautos zuzulassen. Der Umstand, dass Norwegen weltweit zu den größten Produzenten „CO2- Sünder“ Erdöl und Erdgas gehört, spielte bei dieser Zielsetzung keine Rolle. Das Ziel ist indessen fast erreicht.

Norwegen wäre damit das erste Land mit einem emissionsfreien Pkw-Verkehr, der Lkw-Fernverkehr bleibt, wie überall in Europa, vom Verbrenner dominiert.

Und das alles auf freiwilliger Basis ohne Gebote oder Verbote für die Autokäufer? Bemerkenswert: In der deutschen Öffentlichkeit, wurde Norwegen medial zum Musterland der Elektromobilität , zum Vorbild für die deutschen Klima-Politik in Sachen Elektromobilität erkoren. „Elektro-Vorzeigeland Norwegen: Wie sich Oslo von Verbrennern verabschiedet…. Norwegen wollte ab 2025 nur noch elektrisch betriebene Neuwagen zulassen – das ist fast erreicht.“, so heißt es beim ZDF. Nur nebenbei wird ergänzt: „Dank einiger Anreize, die sich nicht alle auf Deutschland übertragen lassen.“

Um welche Anreize handelt es sich da? Zum einen machen hohe finanzielle staatliche bzw. steuerliche Kaufanreize E-Autos attraktiv. Bei jedem Autokauf werden bis zu 30 Prozent Steuern auf den Kaufpreis fällig. Norwegens Politik hatte also reichlich Gestaltungsspielraum bei der Förderung der Elektromobilität und nutzte ihn. Elektroautos wurden zweitweise ganz von diesen Steuern befreit, Verbrenner dafür stärker besteuert. So kostetet ein Tesla zeitweise nicht mehr als ein klassischer VW-Golf. Solch krasse Lenkungsmöglichkeiten gibt es in Deutschland nicht. Im Gegenteil: Hier musste die Förderung wegen klammer staatlicher Kassen zu Jahresbeginn 2024 völlig eingestellt werden.

Norwegen muss zudem keine Rücksicht auf eine eigene Automobilindustrie nehmen. Wer dort ein Auto kauft, muss sich für Modelle ausländischer Produzenten entscheiden, wobei billige chinesische Marken stark auf dem Vormarsch sind. Hinzu kommen extrem niedrige Betriebskosten bei Elektroautos aufgrund extrem niedriger Stromkosten. Das sieht in Deutschland ganz anders aus.

Weitere Maßnahmen sorgten in Norwegen für zusätzliche Anreize: lange Zeit gab es keine Mautgebühren für E-Mobile, sie durften in der morgendlichen Rush Hour Busspuren im Großraum Oslo mitnutzen, kostenlos parken, wurden bei Versicherungsprämien privilegiert und konnten Fähren gratis nutzen.

Zudem verfügt das Land über ein flächendeckendes Netz mit Schnelllade-Säulen mit hoher Konzentration im Ballungsraum Oslo. 1.000 Schnelladesäulen hat die Stadt gemeinsam mit privaten Investoren aufgestellt, dazu kommen 2.500 konventionelle Ladestationen und 80.000 Ladepunkte auf Privatgrundstücken.

All dies hat dazu geführt, dass sich Norwegen in Europa zum Vorzeigemarkt für E-Autos entwickelt hat. Tesla und chinesische Marken sind Marktführer. Markt-Expertin Christina Bu, die Vorsitzende des Norwegischen Elektroauto-Vereins, ist sogar der Meinung: „Wenn Europas Autobauer und die europäischen Politiker die notwendige Umstellung, die sie jetzt schaffen müssen, nicht hinbekommen, dann ist es einfach vorbei für Europas Autoindustrie.“

Das allerdings lässt völlig außer Acht: Norwegen ist nicht überall! Norwegen ist als Lieferant fossiler Energieträger ein Gigant, als Automobilmarkt indessen ein Zwerg, vergleichbar mit den jährlichen Neuzulassungen in Rheinland-Pfalz oder Hamburg. Übersehen wird vielfach, dass in Deutschland 2024 mit 381.000 BEV dreimal so viele Elektroautos zugelassen wurden wie in Norwegen. Ganz zu schweigen von Hybriden und Plug-In-Hybriden.

Die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Voraussetzungen sind also nicht vergleichbar: Während in Deutschland in absoluten Zahlen sogar mehr Elektroautos zugelassen werden als in Norwegen, kann das skandinavische Land den Markt mit weitreichenden Subventionen und einem viel niedrigeren Strompreis beeinflussen, wie es in Deutschland niemals möglich wäre. Hier treffen große Wirtschaftskraft, u.a. aufgrund der Nutzung von Wasserkraft extrem günstige Strompreise, eine aufgrund der dünnen Besiedlung überschaubare und gut planbare Infrastruktur und eine niedrige Einwohnerzahl aufeinander: Geradezu paradiesische Bedingungen, um Elektromobilität gezielt und weitreichend zu fördern.

Die Politik hie wie da will also zwar umweltpolitisch das Gleiche, die Rahmenbedingungen zur Umsetzung sind jedoch absolut verschieden und nicht vergleichbar.

Dennoch hat sich ins deutsche Gemüt die Vorstellung eingeprägt, das Land am Polarkreis sei in Sachen Klimaschutz hellwach und weitsichtig – ein Vorbild! Deutschland hinke weit hinterher, habe verschlafen, sei klimaavers und stelle jegliche finanzielle Kaufförderung ein. Die deutsche Politik möge sich an Norwegen ein Beispiel nehmen, dort werde gezeigt, wie man erfolgreich mit geschickter Förderung ohne Ordnungspolitik Elektroautos in den Markt bringen und die Verbrenner verdrängen kann. Dies ist, wie bereits dargelegt, ein Irrtum.

Wenn deutsche Medien Norwegen nicht nur als Vorreiter, sondern auch als Vorbild darstellen, so wird dieser falsche Eindruck trotz inhaltlich korrekter Berichterstattung dadurch erweckt, dass derlei Zusammenhänge nicht dargelegt, und wichtige Einordnungen der Fakten unterbleiben, so dass der nur mittelmäßig informierte Bürger die falschen Schlüsse ziehen muss. Der Erfolg der Elektromobilität in Norwegen ist ein einmaliger Sonderfall – und sollte auch entsprechend eingeordnet und bewertet werden.

Indirekt, gleichsam als Treppenwitz, fördert Deutschland übrigens sogar den norwegischen E-Automarkt: Große Anteile der deutschen Ausgaben für Öl- und Erdgasimporte aus Norwegen landen über die dortigen hohen staatlichen Fördermaßnahmen und Kaufprämien auf Umwegen letztlich dann doch in der von der deutschen Politik angestrebten fossilfreien Mobilität – nur eben nicht in Deutschland, sondern in Norwegen.

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