Ölpreis-Sturz als Vorbote der Krise: Rekordproduktion trifft auf Konjunkturflaute

vor etwa 1 Monat

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Der Futurepreis der Benchmark WTI (West Texas Intermediate) fiel seit seinem Höchststand im Frühjahr von rund 79,00 US-Dollar je Barrel auf unter 56 US-Dollar – eine Korrektur von etwa 30 Prozent in sehr kurzer Frist. Dieser drastische Rückgang des wichtigsten Rohstoffpreises der Weltwirtschaft weist auf zwei grundsätzliche Tendenzen hin: Zum einen tobt hinter den Kulissen ein geopolitisches Wettrennen der großen Öl-Förderstaaten um Marktmacht. Förderquoten bleiben trotz mehrfacher Debatten in den Reihen der OPEC-Gruppe hoch. Das Disziplinierungspotenzial scheint in diesen Tagen vor allem aufgrund nationaler Eigeninteressen (sie sprengen dieses Oligopol regelmäßig) begrenzt.

Nach Jahren kontrollierter Produktionskürzung haben auch die OPEC-Staaten im Frühjahr eine Kehrtwende vollzogen und sich auf moderate Fördermengenerhöhungen geeinigt. Seit April steigt die durchschnittliche Fördermenge von Russland, Saudi-Arabien und Co. Ziel der Gruppe ist es, das tägliche Produktionsvolumen bis zum September 2026 um bis zu 2,2 Millionen Barrel pro Tag auszuweiten. Bei einer täglichen globalen Produktionsmenge von derzeit 104,8 Millionen Barrel wäre dies eine moderate Steigerung, die leichten Druck auf den Ölpreis ausüben dürfte.

Vor allen Dingen die USA, Iran und Brasilien haben ihre Fördermengen in den letzten Jahren konsequent gesteigert. Im Falle Irans und Brasiliens ist die Lage eindeutig: Brasilien versucht über den strukturell wichtigen Rohstoffsektor innenpolitische Probleme wie die wachsende Staatsverschuldung in den Griff zu bekommen, was durchaus gelungen ist. Die Staatsverschuldung sank in den letzten Jahren von 90 auf 76 Prozent. Gleichzeitig versucht der von einem US-Embargo blockierte Iran durch Expansion im chinesischen Markt und über Raffineriekapazitäten in Venezuela nicht nur im Geschäft zu bleiben, sondern seinen Einfluss zu stabilisieren. Vor allem Malaysia und der Oman dienen der iranischen Regierung als Handelswege im Chinageschäft.

Ölexport ist der geopolitische Hebel par excellence. Allen Unkenrufen zum Trotz ist Öl mit einem Anteil von 31 Prozent an der weltweiten Primärenergienutzung und seiner tiefen Integration in Logistik- und Produktionsprozesse der fundamentale Faktor, der aus keiner ökonomischen Funktion gestrichen werden kann. Ölexportsteigerungen eröffnen den Förderstaaten geopolitische Verhandlungsmasse. Zum größten Ölförderstaat avancierten in den vergangenen Jahren die USA. Mit einem täglichen Fördervolumen von 13,7 Millionen Barrel belegen sie 13,5 Prozent des Fördermarktes. Ihr Exportanteil liegt bei etwa 7,5 Prozent.

Die Branche hat die Expansionspläne der neuen US-Regierung bereits vorweggenommen, was darauf hindeutet, dass Präsident Trump der geopolitischen Schlagrichtung seiner Vorgänger folgt und diese durch Deregulierungsmaßnahmen und fiskalische Entlastung des Sektors bestätigen wird. Es ist zu vermuten, dass sich dieser Aspekt der Rohstoffpolitik in die Neuausrichtung der machtpolitisch orientierten Handelspolitik der USA einfügen wird und möglichen Handels-Deals zusätzlichen Verhandlungsspielraum beifügt.

Blicken wir auf die Nachfrageseite des Ölgeschäfts. Am Mittwoch meldeten die USA das erste negative Quartal mit einer Kontraktion des Bruttoinlandsprodukts von 0,3 Prozent im Vergleich zum Schlussquartal 2024. Zwar drücken Sondereffekte wie zollbedingt vorgezogene Importe und der massive Goldimport aus Europa in die USA zu Jahresbeginn auf die Handelsbilanz. Dennoch lassen sich die Anzeichen einer allgemeinen Abkühlung der Konjunktur nicht von der Hand weisen. Die Einkaufsmanagerindizes (PMI=Purchasing Managers Index) Chinas und der Eurozone liegen mit 49 respektive 48 Punkten im rezessiven Bereich, in den USA nähert er sich mit 50,2 Punkten der Stagnationsschwelle. Energieintensive Industrieproduktion ist seit längerer Zeit rückläufig, was die Nachfrage nach Rohstoffen und Logistikleistungen reduziert. Auch die fallenden Zinsen an den Anleihenmärkten (vor allem in China) deuten auf fallende Inflationserwartungen unter Investoren hin.

Ein weiterer Konjunkturindikator, der gen Süden zeigt, ist der Kupferpreis. „Doctor Copper“, ein in der Vergangenheit gutes Maß für die allgemeine Wirtschaftsentwicklung, hat in diesem Jahr von seinem Höchstpreis bis heute etwa 20 Prozent abgegeben. Auch hier bleibt die Tendenz negativ. Eine interessante Beobachtung am Rande: Selbst die Drohung von US-Präsident Trump, Länder, die Öl aus dem Iran beziehen, aus dem Geschäft mit den USA auszuschließen, konnte den Abwärtstrend des Preises nur kurzfristig bremsen. Dieser bleibt aufgrund der strukturellen Konjunkturschwäche abwärtsgerichtet.

Im Gegensatz zu künstlich erzeugten Preisschocks wie im Jahre 1973 (autofreie Sonntage und Tempolimits als Folge), lassen sich Ölpreisstürze nicht selten als Vorboten größerer Krisen lesen: So löste ein Kollaps des Öls im Jahr 1986 eine Phase allgemeiner Deflation und Haushaltskrisen aus. Dem Absturz war ein intensiver Preiskampf unter OPEC-Mitgliedern vorausgegangen, der den Preis von 30 auf 10 US-Dollar je Barrel fallen ließ. Auch 2020 ging der Ölpreis in Antizipation der weltweiten Corona-Lockdowns in die Knie. Was folgte, war eine globale Rezession. Heute deuten Handelszölle, Währungsstress (Yuan-Abschwung) und immer wieder aufflammende Liquiditätsprobleme in den Kreditmärkten auf eine ähnliche Systemkrise hin. Der fallende Ölpreis scheint diesen Eindruck zu verfestigen.

Eine kurze Bemerkung zur Deflation. Der Einbruch beim Ölpreis besitzt eine selten diskutierte monetäre Dimension. Unser Geldsystem basiert auf friktioneller Kreditvergabe durch Geschäftsbanken. Nicht nur Staaten und Unternehmen, sondern auch Banken und Konsumenten finanzieren diesen Prozess durch nominell fixierte Kreditkontrakte. Dieses System ist auf eine kontinuierliche Expansion des Kreditbestands eingependelt – auf seiner Basis werden Schuldendienst, also Tilgung und die zusätzliche Zinslast refinanziert. Deflationäre Preisschocks wirken innerhalb dieser Konstruktion auf vielfache Weise toxisch. Für den Verbraucher sind fallende Preise ein Segen. Unternehmen jedoch fällt es in einem Umfeld allgemein fallender Preise zunehmend schwer, den nominell festgelegten Schuldendienst mit fallendem Umsatzvolumen zu bedienen. Dann droht eine Insolvenzwelle, die letztlich das Bankensystem ins Wanken bringt.

Allgemein fallende Preise, insbesondere fallende Vermögenspreise bei Immobilien, Staatsanleihen oder verpfändeten Aktienportfolios, entwerten die gegebenen Kreditsicherheiten. Das heißt: Kredite müssen neu besichert werden oder es drohen Margin Calls, die zu Liquidierungen und möglichen Verkaufskaskaden führen. Wenn der Ölpreis fällt, schrumpft nicht nur das Einkommen der Förderländer, sondern auch die Grundlage vieler kreditbasierter Geschäftsmodelle, da der Ölpreis als wichtiger Rohstoff die Richtung der allgemeinen Preisentwicklung vorgibt. Die Folge ist ein deflationärer Dominoeffekt.

Der fallende Ölpreis ist mehr als ein Marktphänomen – er ist ein seismisches Signal. Er verweist auf geopolitische Machtverschiebungen, eine sich abschwächende Weltkonjunktur und die wachsende Fragilität unseres kreditgetriebenen Finanzsystems. Wer heute nur günstige Tankrechnungen sieht, verkennt die tektonischen Spannungen, die sich im Untergrund der Weltwirtschaft aufbauen. In den kommenden Wochen und Monaten werden wir sehen, in welche Richtung der Ölpreis weist. Ein fallendes Preisniveau mit einer Expansion der Geldmenge und fiskalischen Stimuli zu kontern, würde dem bekannten Playbook der Politik entsprechen.

Thomas Kolbe ist studierter Volkswirt. Seit über 25 Jahren arbeitet er als freiberuflicher Autor sowie als Medienmacher für Kunden aus verschiedenen Branchen und Wirtschaftsverbänden.

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