
Brechts Galilei könnte Sonnenflecken nachweisen und damit die Tatsache, dass sich die Erde um die Sonne dreht. Der wissenschaftliche Beobachter der Kirche müsste nur durch das neue, leistungsstarke Fernrohr schauen, um das einzusehen. Doch der verweigert sich: Die Sonne hat sich um die Erde zu drehen. Alles andere wäre Gotteslästerung. Auch durch das Rohr zu schauen. Beweis abgeschlossen. Die Sonne dreht sich um die Erde.
Brechts Stück “Das Leben des Galilei” beruht auf der tatsächlichen Unterdrückung der Wahrheit durch die Kirche. Rund 300 Jahre danach hat die ihren Fehler eingeräumt. Doris Simon ist da schneller. Die US-Korrespondentin des Deutschlandfunks gibt zu, mit ihrer eigenen Berichterstattung zum Gesundheitszustand des seinerzeit amtierenden US-Präsidentin habe sie ein “spätes Aufwachen” erlebt. Nicht falsch habe sie berichtet. Schon gar nicht systematisch falsch – oder wenigstens fehlerhaft. Sie sei nur spät wach geworden, meint die öffentlich-rechtliche Journalistin. Hinweise über den geistigen Zustand des damaligen Präsidenten hat sie nicht berücksichtigt, ein gut recherchiertes Buch belegt in den USA aber nun, dass diese Hinweise offensichtlich berechtigt waren.
Warum hat die öffentlich-rechtliche Journalistin so lange geschlafen? Simon arbeitet als US-Korrespondentin für den Deutschlandfunk. Da liegt es nahe, Donald Trump die Schuld daran zu geben – und genau das tut Simon. Trump und seine Anhänger hätten schon im Wahlkampf von 2020 auf Bidens offensichtliche Demenz hingewiesen – da habe es für sie nahegelegen, dass als Propaganda einzuordnen. Sagt Simon. Klingt nach einer schwachen Ausrede. Ist es auch – doch es ist auch eben mehr.
Dann versucht sich Simon weiter aus ihrem journalistischen Versagen herauszureden, indem sie anderen die Schuld gibt. Doch dabei macht sie immer deutlicher, wie systematisch schlecht ihr Journalismus ist. Wie wenig Simons Treiben überhaupt mit dem Kerngedanken des Journalismus, der Vierten Gewalt in der Demokratie, zu tun hat: Sie habe Bidens Zustand nicht erkennen können, behauptet Simon, weil in seinen Auftritten “alles choreografiert” gewesen sei, sagt Simon: „Ich habe mir nicht vorstellen können, dass Bidens Abbau so systematisch verheimlicht worden ist.”
Damit offenbart Simon ihre Haltung im Haltungsjournalismus. Da steht einerseits ein offensichtlich dementes Staatsoberhaupt. Doch dessen Apparat sagt ihr, der sei gesund. Die öffentlich-rechtliche Journalistin hinterfragt die Aussage der Regierung nicht. Obwohl ihr das Gegenteil ins Auge sticht. Simon kontrolliert nicht als Vierte Gewalt die anderen drei Gewalten – sie dient diesen nur als Lautsprecher. Die Administration Bidens hat gesagt, er sei gesund, also war er für Simon gesund. Wer weiß, was sie berichtet hätte, wenn seine Leute behauptet hätten, die Sonne dreht sich um die Erde.
Das ist kein individuelles Versagen. Das zeigt das ganze Dilemma des öffentlich-rechtlichen Rundfunks auf. Der hat sich in den Haltungs-Journalismus verrannt. Seine Aktivisten verstehen sich als Türhüter, die dem Gebührenzahler die Entscheidung abnehmen müssen, was wahr und was falsch ist. Was wichtig und unwichtig. Doch um dieser Rolle gerecht zu werden, fehlt ihnen das niedrigste Handwerk. Genauer gesagt, die Bereitschaft, dieses Handwerk anzuwenden. Unter Zuhilfenahme von Schlagworten wie “false balance vermeiden” oder falsche gesellschaftliche Tendenzen bekämpfen zu wollen, gestehen sie sich selbst das Recht zu, über die Wahrheit entscheiden zu dürfen, können und sollen.
Immer tun öffentlich-rechtliche Journalisten das mit dem Dogma der eigenen Unfehlbarkeit. Einhergehend mit der Abkanzlung Ungläubiger: Wer keine stromproduzierenden Fernseher produziert, ist ein Rassist. Wer es für denkbar hält, dass das Corona-Virus einem Labor in Wuhan entsprungen ist, ist ein Verschwörungstheoretiker. Oder wer Merkels Einwanderungspolitik hinterfragt, verbreitet Hass und Hetze. Immer sind öffentlich-rechtliche Journalisten selbst unfehlbar. Immer sind alle schlechte Menschen, die diese Unfehlbarkeit bezweifeln oder ad absurdum führen. Bis auf die kurze ehrliche Minute, in der die Journalisten dann eingestehen, erst spät aufgewacht zu sein. Aber hey. Wer hätte die Vertuschung ahnen können, da sie die Biden-Administration doch so systematisch betrieben hat? Was Doris Simon nicht versteht: Für eine Journalistin ist es keine Entschuldigung, sich von den Mächtigen systematisch täuschen zu lassen – es ist der Vorwurf.