Journalistische Selbstentleibung

vor etwa 16 Stunden

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Bildquelle: Tichys Einblick

In den guten alten Zeiten des deutschen Nachkriegsjournalismus war im Westen Bonn der Nabel der Welt, während im Osten die Berichterstattung um das Politbüro der SED kreiste. Genauer gesagt um deren Generalsekretär und den Vorsitzenden des Staatsrates. Im Westen durften sich damals noch manche Beobachter über den Status der Tagesschau lustig machen, das geriet im Gegensatz zur DDR noch nicht in Gefahr, die Legitimation des Staates zu untergraben. Laut dem im Mai verstorbenen Helmut Thoma hätte man diese Sendung auch in Latein mit zwei brennenden Kerzen verlesen können, „und sie hätte immer noch die gleichen Ratings“. Es ging dem ersten Chef des Privatsenders RTL damals allerdings nicht um die inhaltliche Qualität, sondern um die Aussichtslosigkeit, das Abendprogramm in Konkurrenz zur Tagesschau-Ausgabe um 20:00 Uhr beginnen zu lassen.

Das Konkurrenzangebot des ZDF namens „heute“ erreichte nie einen vergleichbaren Status. In den langen Nachkriegsjahren steckten Redakteuren und Zuschauern noch die Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus in den Knochen, wo Medien als Propagandaapparat der Diktatur verstanden wurden. Dazu kam die Medienpolitik in der DDR mit einem identischen Medienverständnis. Man musste nicht viel tun, um sich davon abzuheben, und gleichzeitig tat man genug, um das deutlich werden zu lassen. So war das in den guten alten Zeiten, die aber viele Zeitgenossen keineswegs als zu gut empfanden, um es kritiklos hinzunehmen.

Heutzutage interessiert sich niemand mehr ernsthaft für die Programmplanung im linearen Fernsehen, außer es gibt Liveübertragungen etwa von großen Sportereignissen. Das lineare Fernsehen ist ein Relikt, so wie Sendungen in Latein und mit zwei brennenden Kerzen. Die Tagesschau als Nachrichtenformat wird in der ARD gehütet wie eine Reliquie. Der Glanz aus den glorreichen Gründungszeiten soll auf die Gegenwart strahlen, um das öffentlich-rechtliche Fernsehen als Inbegriff eines seriösen Journalismus erscheinen zu lassen. Der damit verbundene Nimbus macht jede Kritik zur Häresie. Aus Kritikern werden Nestbeschmutzer, die vom rechten Weg abgekommen sind.

Das wird im § 26 des Medienstaatsvertrages formuliert, der sie „in besonderem Maße“ zur „Einhaltung journalistischer Standards, insbesondere zur Gewährleistung einer unabhängigen, sachlichen, wahrheitsgemäßen und umfassenden Information und Berichterstattung wie auch zur Achtung von Persönlichkeitsrechten“ verpflichtet. Ferner „sollen sie die einem öffentlich-rechtlichen Profil entsprechenden Grundsätze der Objektivität und Unparteilichkeit achten und in ihren Angeboten eine möglichst breite Themen- und Meinungsvielfalt ausgewogen darstellen“.

Der Kollege Gábor Paál hat für den SWR seine Interpretation dieser Grundsätze formuliert: So sei es angemessen, „dass Positionen, die sich auf Fakten und auf Wissenschaft stützen, im Programm berücksichtigt werden und eine unbelegte Verschwörungserzählung gar nicht. Das mag, je nach Sichtweise, nicht „neutral“ sein“, aber es sei „wahrheitsgetreu, sachlich, objektiv, und es ist trotzdem ausgewogen und angemessen“. Um seinen Ausführungen besonderes Gewicht zu verleihen, hat er die zentralen Begriffe noch hervorgehoben. Im gleichen Sender ist in den vergangenen Tagen eine Dokumentation mit dem knalligen Titel „Plötzlich Hassobjekt – woher kommt die rechte Onlinehetze?“ erschienen. Den Hintergrund schildert Anna Diouf in diesem Artikel auf Tichys Einblick:

Katharina Schmieder, eine frühere Mitarbeiterin des SWR, hatte nur eines getan: Sie hatte auf ihrem X-Account Critical Cat die zahllosen Fälle dokumentiert, wo in Sendungen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks immer wieder aktive Politiker als vermeintlich neutrale Bürger präsentiert werden. Diese kaum journalistisch zu nennende Praxis erinnert zwar längst an Realsatire, aber es ist den SWR-Kollegen von Gábor Paál leider gelungen, eine unbelegte Verschwörungserzählung prominent im ARD-Programm zu platzieren. Als Hintergrund lohnt es, sich den Podcast von Alexander Teske mit Katharina Schmieder anzuhören.

Solche Fälle sind mittlerweile keine Einzelfälle journalistischen Versagens, sondern entsprechen einem Muster. So erwies sich in jüngster Zeit der Fall Michael Ballweg als eine veritable Geschichte des politisch-medialen Komplexes, wie Daniel Graeber und Boris Cherny auf Apollo News berichteten. Im Mittelpunkt steht wieder einmal der ZDF-Unterhaltungskünstler Jan Böhmermann. Apollo News selbst musste sich rechtlich gegen eine Philippika der ZDF-Moderatorin Dunya Hayali zur Wehr setzen – und gewann. Hayali wollte im Fall von Frauke Brosius-Gersdorf Desinformation anklagen, der sie aber selbst wegen unzureichender Recherche zum Opfer fiel.

Aber es gibt Grund zur Hoffnung. Denn es geht in diesen Fällen journalistischer Selbstentleibung keineswegs um links oder rechts. Das behaupten lediglich die Kollegen, die den öffentlich-rechtlichen Rundfunk gekapert haben, um ihn in eine Sekte zur Verbreitung ihrer vermeintlichen Werte und Meinungen zu transformieren. Das darf jeder machen, aber nicht im öffentlich-rechtlichen Auftrag. So macht etwa der schon besagte Alexander Teske zusammen mit Peter Welchering und Annekatrin Mücke den verdienstvollen Podcast „Sachlich richtig“. Alle drei waren langjährige Mitarbeiter in den öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten und kritisieren ihn aus einer journalistischen Perspektive. Diese Kritik teilen sie mit vielen anderen Kollegen, die den journalistischen Absturz von ARD und ZDF miterleben müssen.

Es geht nicht darum, welche politischen Positionen jemand einnimmt. Man kann und soll über jedes Thema streiten, dafür gibt es auch genügend journalistische Formate. Allerdings besteht der journalistische Auftrag nicht in den Leitartikelschlachten aus den guten alten Zeiten, sondern dem Leser, Hörer und Zuschauer die Meinungsbildung zu ermöglichen. Und schon in den verflossenen Zeiten interessierten sich die meisten Leser weniger für die Leitartikel, sondern mehr für Geburts- und Todesanzeigen oder Mietangebote. Für letztere stand man sogar mitten in der Nacht auf, um die aktuelle Tageszeitungsausgabe schon am Druckhaus zu bekommen. Für Leitartikler ist nie jemand aufgestanden. Ältere Leser werden das noch wissen.

Heute reicht ein Smartphone. Die Akzeptanz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks beim Publikum beruht schon längst auf seiner Sportberichterstattung und seichter Unterhaltung. Ohne Olympische Spiele oder Fußballweltmeisterschaften findet er oft genug ohne Zuschauer und Zuhörer statt. Junge Leute erreichen ARD und ZDF auf ihrem Portal Funk bestenfalls noch mit der alten journalistischen Masche namens „sex sells“. Seine politische Legitimation beruht aber immer noch auf seiner journalistischen Kompetenz in Formaten wie der Tagesschau. Wenn er diese sichern will, muss er sich mit seinen Kritikern auseinandersetzen. Mehr guten Willen als bei den Kollegen von „Sachlich richtig“ wird er in Zukunft nicht finden. Ansonsten werden sich ARD und ZDF mit dem Motto „Alles dichtmachen“ beschäftigen müssen. Für eine Todesanzeige nach dem Ableben könnte es aber vielleicht noch reichen.

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