Olaf Scholz bei Caren Miosga: Der Kanzler ist am Ende, der Regierungsjournalismus ist es auch

vor 6 Monaten

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Man kann Caren Miosga und Olaf Scholz gar nicht genug dankbar sein. Das einstündige Gespräch der öffentlich-rechtlichen Journalistin mit dem deutschen Bundeskanzler war ein erhellendes Dokument der Zeitgeschichte. Es zeigte in maximaler Verdichtung, wie zwei aneinander gekettete Deutungssysteme gleichzeitig zusammenstürzten: Ein Politiker, der sich von der Wirklichkeit abgewandt hat, traf auf einen Kuscheljournalismus, der es gar nicht so genau wissen will.

Nach dem Ende seiner Regierungskoalition ist Scholz in der Tat „auch ein gescheiterter Kanzler“. Diese Formulierung kam Miosga nach rund 22 Minuten tatsächlich über die Lippen. Davor allerdings interessierte sie sich mehr für den Gefühlshaushalt des Gescheiterten als für die Lage der Nation. Miosgas erste Frage setzte den ganzen Abend auf einen falschen Kurs: „Was genau hat Sie so wütend gemacht?“ Scholz hatte in rüden und sehr selbstgerechten Worten die Entlassung des Bundesfinanzministers begründet. Emotionen sollten psychologisch hergeleitet, nicht Probleme argumentativ erschlossen werden.

Scholz am Sonntagabend bei Miosga

Prompt nutzte Scholz die Gelegenheit, um abermals gegen Christian Lindner nachzutreten. Das war von mäßigem Erkenntniswert. Scholz unterstellte der FDP, diese habe die Renten „auf Kosten des Zusammenhalts in unserem Land“ kürzen wollen und sich geweigert, die „Finanzierung der Ukraine sicherzustellen“. Miosga hakte nicht nach. Weder entlarvte sie das Trugbild von den Rentenkürzungsplänen als Unwahrheit, noch fragte sie das Naheliegende: Warum soll ein deutscher Finanzminister die Ukraine finanzieren? Und stimmt der Vorwurf überhaupt? Scholz kam mit diesen und seinen weiteren Münchhausiaden durch.

Streckenweise sah es so aus, als wollte Miosga mit dem spröden Scholz flirten. Man warf sich neckische Blicke zu. Mehr als einmal setzte Scholz sein einst von Markus Söder treffend beschriebenes „schlumpfiges Grinsen“ auf. Nie war es unangebrachter. Die deutsche Wirtschaft droht zu kollabieren, und der Bundeskanzler und die wichtigste Talkmasterin kabbeln sich im verbalen Bällebad.

Kein einziges Mal fragte Miosga, was Scholz gegen den ökonomischen Sinkflug der Exportnation Deutschland zu tun gedenke. Keine Sekunde verwendete sie auf die Migrationspolitik. Miosga weigerte sich also, über die beiden Themen zu reden, die den meisten Deutschen am meisten unter den Nägeln brennen: die Wirtschaft und die Zuwanderung. Insofern war das Maß an Realitätsverleugnung auf beiden Seiten des Tisches gleich groß.

Über ein Drittel der Sendezeit war bereits vergangen, ehe die entscheidende Frage dieser Tage angesprochen wurde, die Frage nach den Neuwahlen. Es war der Kanzler, der von sich aus erklärte, die Legitimation einer neuen Regierung könne es nur durch „neue Wahlen“ geben, frühestmöglich. Auf den genauen Termin der vorher notwendigen Vertrauensfrage im Bundestag sollten sich die Fraktionsvorsitzenden der SPD und von CDU/CSU, Rolf Mützenich und Friedrich Merz, verständigen. Generös setzte Scholz hinzu und griff sich dabei in einer dramatischen Geste ans Herz: „Dann wird der Kanzler das möglich machen, trotz der Regeln der Verfassung.“

Der Kanzler ist am Ende – und weicht trotzdem nicht von seinem Posten.

Miosga ließ sich auch damit abspeisen. Wieso bitteschön kündigt der Kanzler an, die Verfassung hintanzustellen? Sich also gewissermaßen selbst zu entmächtigen und von seinem Initiativrecht abzuweichen? Sich zu schrumpfen zum Notar einer fremden Entscheidung? Nie war Scholz kleiner als in diesem Moment – oder er trickste. Dass Mützenich, der getreue Genosse, auf die Linie von Merz einschwenken und Scholz also bereits an diesem Mittwoch die Vertrauensfrage stellen wird, hat der Regierungssprecher mittlerweile dementiert. Scholz simulierte Entgegenkommen, weil er sich durchsetzen will.

Das Schweigen Miosgas in solchen Augenblicken zeigt ebenso wie die Aufschneiderei des Kanzlers: Da saßen zwei zusammen, die sich gefunden hatten in ihrem Desinteresse an der Wirklichkeit. Scholzens abenteuerliche Prophezeiungen hätten Gelächter oder einen scharfen Konter verdient. Beides unterblieb selbst dann, als der Kanzler einen demoskopischen Rückstand seiner SPD von rund 50 Prozent auf die Union eine „sehr aufholbare Größenordnung“ nannte. Yogisches Fliegen ist eine nüchterne Angelegenheit, verglichen mit dem experimentellen Gerede des Bundeskanzlers.

Sieht man den parallelen Kollaps von Politik und öffentlich-rechtlichem Regierungsjournalismus in einer längeren Linie, drängt sich ein Verdacht auf. Was mit dem roten Teppich begann, den einst Miosgas Vorgängerin Anne Will der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel ausrollte, steigerte sich zum publizistischen Geleitschutz für die Grünen und den Hosianna-Gesängen auf die Ampel.

Nun könnten beide Bewegungen vor ihrem Ende stehen. Gemeinsam stiegen sie auf, vereint stürzen sie zu Boden. Neues pocht an die Türen. Diese 60 Minuten waren ein gut gelauntes Requiem für eine unheilige Allianz.

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