Olaf Scholz oder Bundeskanzler ohne Eigenleben

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Bildquelle: Tichys Einblick

Über die Rolle von Olaf Scholz im wohl größten Steuerskandal, der Cum-Ex-Affäre, gibt es mittlerweile einen Roman, ein Enthüllungsbuch, TV-Dokumentationen und zigtausende Artikel. Aber weder gibt es eine endgültige Stellungnahme von Scholz noch eine Anklage, schon gar keine Verurteilung. Es bleibt dabei: Er kann sich nicht erinnern. Olaf Scholz ist der perfekte Schattenmann: An jedem Tatort sind seine Fingerabdrücke zu finden, aber er selbst bleibt unfassbar.

So, wie er hier mit einem fallengelassenen Wort eine Finanzermittlung stoppt oder dort bei einem Bankier die Hoffnung auf riesige Steuernachlässe nährt (die dann von anderen widerrufen werden), so hat er als Regierender Bürgermeister die Freie und Hansestadt Hamburg geführt. Nicht mal sonderlich erfolglos: Der Haushalt solide, der Wohnungsbau aktiv, und die Verantwortung für die skandalöse Stilllegung des Kraftwerks Moorburg musste sein Nachfolger auslöffeln. Die explodierenden Baukosten vergessen, die Elbphilhamonie bleibt. Sein Regierungsstil wurde als ruhig, kontrolliert und technokratisch wahrgenommen.

Aber was für Hamburg reicht, langt nicht für ganz Deutschland. Olaf Scholz geht als Gescheiterter in die Geschichte der Kanzler ein. Er wurde aus dem Amt gewählt. Kanzlerbonus? Pustekuchen. Diesmal hat es nicht geklappt, sich an die hinterlassenen Fingerabdrücke an den diversen Orten politischen Versagens einfach nicht erinnern zu wollen. Im Bund hat seine Bau-Ministerin Geywitz (SPD) ihr Ziel von jährlich 400.000 Wohnungen nicht mal halb erreicht. Die Wirtschaft schrumpft, die Energiepolitik ist ein Jammertal, die Bundeswehr untauglich. Trotz dieses Boris Pistorius, der auf dem Panzer zwar eine kernig-männliche Bella Figura abgibt, aber im Vollzug nichts auf die Kette bringt.

Letztlich war es ihm egal. Als geübter Opportunist kämpft er nicht für Ziele, sondern um Posten. Dabei stammt Scholz aus der Schröder-Schule; dem „Kanzler der Bosse“. Ohne inhaltliche Ansprüche wurde Scholz nur zum kleinen Kanzler von Eskens Gnaden. In Koalitionsregierungen muss der Kanzler fast hilflos zuschauen, wenn der grüne Partei-Partner so offenkundig unfähige wie überforderte Figuren wie Robert Habeck und Annalena Baerbock in die höchsten Ämter hievt.

Dagegen eigene Inhalte durchzusetzen, ist die Kunst der Hinterzimmerpolitik. Scholz versuchte es nicht einmal, es war ihm egal. Die grünen Ideologen siegten über den Egal-Kanzler. Als sie es zu arg trieben mit ihrer großen Transformation in den Krieg, versuchte Scholz wenigstens die Grundsatzentscheidungen der Außenpolitik an sich zu ziehen. Aber da er über Annalena Baerbock kein Flugverbot verhängen konnte, stolzierte sie weiter durch die Welt wie eine Vertreterin der   Damenoberbekleidungsindustrie. Doch während schöne Mannequins schweigen, zerplapperte Baerbock jede bedächtige Politik des Regierungschefs durch grandiose Schlagzeilen und zerschepperte jedes Porzellan auf ihren Unheil bringenden Flugrouten.

Scholz konnte nur noch die Scherben zusammenkehren. Habecks große grüne Transformation der Wirtschaft in ein zentral gelenktes Schlaraffenland für Parteifreunde ist nicht das, was Scholz eigentlich wollte. Aber auch hier fehlte ihm die Kraft, sich dagegenzustellen. Scholz fingert hintenherum, wo vorne Ansagen notwendig waren. Baerbock führte Deutschland in die bedingungslose Gefolgschaft von Wolodymyr Selenskyj. Wenn Baerbock theatralisch für ihre Fotografenmeute mit schusssicherer Weste und sauberen Stiefelchen durch die Bombentrümmer Kiews stolzierte, blockierte Scholz schweigend, dass Taurus geliefert wurde.

Diese vermüffelte Bedächtigkeit hat vielleicht, und das darf nicht zu niedrig bewertet werden, eine Eskalation bis zum Krieg verhindert. Viele, auch der Ampel kritische Gegenüberstehende schätzten diese ruhige, geradezu stoische Haltung, dieses uneitle Taktieren zwischen zwei Atommächten. Nachfolger Merz tritt da forscher auf, gerade, als gäbe es noch den früheren Atombunker der Bundesregierung im Ahrtal, der ihm und seinen Getreuen das Überleben sichert. Ohne Scholz’ stillschweigende Bremserei gewinnen dann doch die Kriegstreiber die Oberhand, pikanterweise von zwei Frauen angeführt: neben Baerbock noch Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Trommelschlägerin von Rheinmetall und anderer metallverarbeitenden Industrien.

Doch Anerkennung fehlt. Scholz hat nicht die Forschheit und Selbstgewissheit eines Gerhard Schröder, der auf dem Marktplatz von Goslar den USA die Gefolgschaft im Irakkrieg offen verweigerte. Scholz bleibt im Unbestimmten. Wie eine Wunde klafft die Frage, wer die Sprengung der Nordstream-Pipeline zu verantworten hat. Hier sind es die Ukraine und die USA, deren Fingerabdrücke unübersehbar sind. Ein kurzes Aufbellen von Justizminister Marco Buschmann, man werde die Täter „jagen“, wurde nie eingelöst: Scholz schweigt, wo klare Kante Orientierung gäbe; er führt nicht, wenn Führung unabdingbar ist.

Er versagt, wenn offene Konfrontation Klarheit schaffen müsste – Luthers „Hier stehe ich und kann nicht anders“ ist nicht das Ding des Mannes, der jederzeit auch anders kann. Der eine abgewetzte Aktentasche ohne Inhalt als Zepter der Macht mit sich herumträgt und im schäbigen T-Shirt meint, dass er im Regierungsflieger Punkte für Volkstümlichkeit sammeln könnte und dabei doch nur wie der Klempner wirkt, der die Rohrzange vergessen hat. Laut war Scholz noch nie gewesen, aber mit jedem Kanzler-Monat rutschte die Stimme tiefer in den Rachen, verzerrte sich das in früheren Jahren oft fröhliche Lachen zum bösartigen Grinsen des Gnoms aus der Waschmaschine.

Andere Kanzler zogen mit jedem Tag ihrer Amtszeit Macht und Kompetenzen auf sich. Unter langjährigen Kanzlern wie Helmut Kohl und Angela Merkel veränderte sich in der politischen Realität die Rolle des institutionell schwachen Kanzlersystems zum Präsidialsystem eines auf die Person zulaufenden Staatswesens. Andere wurden größer mit der Amtszeit: Schmidt intellektuell überragend, Kohl immer noch raumfüllender, Merkel entgrenzte sich und ihr Netzwerk. Scholz schrumpfte und vereinsamte. Er war von Anfang an zu klein, um das brutale Machtspiel in der Partei und in der Koalition für sich entscheiden zu können. Er konnte den SPD-Zwinger nicht sprengen, hat es auch nicht versucht. Egal.

Zweimal wollte er auftrumpfen, zweimal ging’s daneben. Im November 2023 war er auf dem Titel des „Spiegel“ abgebildet mit der radikalen Forderung: „Wir müssen endlich im großen Stil abschieben.“ Damals plädierte er für einen Politikwechsel in der Zuwanderungspolitik; in der englischen Übersetzung des Magazins ist dabei von „Remigration“ die Rede. Wenige Wochen später erschien im halbamtlichen Regierungsportal „Correctiv“ eine abenteuerlich zusammengeschusterte Story, nach der angeblich eine Reihe rechtsradikaler Politiker die Remigration von Migranten gefordert haben sollten – plump wurde eine Art Wiederbelebung der Wannsee-Konferenz zur Judenvernichtung von 1942 suggeriert.

Wochenlang beherrschte das Thema die Schlagzeilen und von Medien und Regierungs-NGOs aufgehetzt demonstrierten Millionen gegen die aufgebauschte Konferenz der Amt- und Machtlosen – mit Scholz an der Spitze. Er demonstrierte gegen sich selbst. Einen Olaf Scholz scheren die Beteuerungen von gestern so wenig wie den Hochstapler die Versprechungen von gestern: Eine schnellere, radikalere und weniger begründete oder wenigstens bemäntelte Wende war wohl noch nie da, bis dann später ein Friedrich Merz die Bühne betrat und die Show der wirbellosen Wendehälse perfektionierte.

Sein zweites Machtwort erlaubte Scholz sich gegenüber Finanzminister Christian Lindner, der ihm politisch wohl insgesamt näher stand und steht als all die grünen und roten Phantasten der Wirklichkeitsverweigerung. Mit Lindner und den letzten Resten einer halbwegs vernünftigen Finanzpolitik hat Scholz sich in den nachfolgenden Bundestagswahlen selbst aus dem Kabinettssaal katapultiert. Scholz ist der Kanzler ohne Eigenleben. Anläßlich der Papstbeerdigung treffen sich die politischen Spitzen – Trump, Selenskiy, Stamer und Macron reden über die Friedensverhandlungen der Ukraine mit Russland. Deutschland ist nicht dabei; Bundespräsident Frank-Wer? Steinmeier und Bayerns Selfie-Präsident Markus Söder fallen nur peinliche Selfies auf; angeschickert wie beim Betriebsausflug einer Dödelfirma. Friedrich Merz bleibt im Sauerland. Das muss zur Ehrenrettung von Olaf Scholz gesagt werden: Er ist nicht der Kleinste unter den Kleingeistern, die Deutschland so peinlich repräsentieren, wie es nicht mal der Vorstand eines Kegelclubs zustande brächte.

Scholz war nie auf Kanzlergröße gewachsen, sondern immer nur Teil einer abgewrackten Elite und Erfüllungsgehilfe. Seine Macht war nur so lange geduldet, wie sie den Parteigremien von SPD und Grünen entsprach. Es sei denn, er setzte seine Politik unbemerkt um wie der Dieb in der Nacht.

Und so schleicht er sich irgendwann im Mai aus dem Amt wie der Taschendieb aus dem Zugabteil: unsichtbar und schnell übersehen. Zurück bleiben Fingerabdrücke.

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