
Sie ist nicht dabei und steht doch im Mittelpunkt der deutschen Bundespolitik: die AfD. Einen Satz hört man im Berliner Regierungsviertel derzeit immer wieder: Wenn wir die Probleme der Menschen nicht lösen, überlassen wir der AfD das Feld, wobei AfD auch gern durch „Ränder“, „Extreme“ oder „Populisten“ ersetzt wird. Gemeint ist immer die AfD.
Tino Chrupalla und Alice Weidel nach der konstituierenden Sitzung der Fraktion im Bundestag.
Auch als sich am Dienstag die neue Unionsfraktion aus CDU und CSU konstituierte, drehte sich fast alles um die blaue Konkurrenz, die wohl den frei werdenden Fraktionssaal der FDP im Eckturm des Reichstags beziehen soll. Und auch das erste und dringlichste Projekt der angestrebten schwarz-roten Koalition wird vom Gedanken der AfD-Vermeidung getrieben: die Geldbeschaffung. Wer die vielfachen Bekenntnisse zum Festhalten an der Schuldenbremse im Wahlkampf als Absage an neue Schulden (miss)verstanden haben sollte, wurde jetzt bereits am Tag zwei nach der Wahl eines anderen belehrt: Weil die Aufweichung der Schuldenbremse langwierig und kompliziert ist und vor allem eine Zweidrittel-Mehrheit zur Verfassungsänderung benötigt, wollen Union und SPD nun wohl das bestehende „Sondervermögen“ für die Bundeswehr deutlich aufstocken.
Der Trick: Mit den Abgeordneten der zurückliegenden Legislaturperiode, die noch bis zur Konstituierung des neuen Bundestags am 24. März im Amt sind, können SPD, Union und Grüne die nötige Mehrheit für die hier ebenfalls nötige Grundgesetzänderung bekommen. Mit den Mehrheiten der Bundestagswahl würde es nicht reichen, und die Linke würde zur Aufstockung von Schulden für die Bundeswehr ausdrücklich nicht die Hand reichen. Und: Auch die Stimmen der AfD würden mit den alten Mehrheiten nicht gebraucht. Wie viele Milliarden neu aufgenommen werden sollen, ist noch offen. Einige hundert dürften es allerdings sein, wenn man nicht demnächst wieder auf dem Geldschlauch stehen will.
Olaf Scholz und Friedrich Merz schütteln sich die Hand vor dem „Kanzlerduell“.
Tricksen und Kungeln zum Einstieg. Ob sich die Wähler so davon überzeugen lassen, dass ihre Stimme künftig bei Union und SPD besser aufgehoben sind, darf bezweifelt werden. Die noch neue Koalition bedient sich allerdings eines Mittels, das Kanzlerin a.D. Angela Merkel schon 2005 bei ihrer ersten Wahl angewendet hatte, als sie die Mehrwertsteuer um zwei Punkte erhöhte, die SPD protestierte und dann noch einen Punkt obendrauf legte, um auch vom Geldsegen profitieren zu können. Und auch die Ampel hatte sich ja erhofft, mit den vom Corona-Fonds umgewidmeten und später vom Bundesverfassungsgericht gekippten 60 Milliarden die Widersprüche zwischen den Parteien kitten zu können.
Merke: Die alte Unsitte, mit Geld den Weg zur Macht zu ebnen, feiert allen anderslautenden Sonntagsreden zum Trotz fröhliche Urständ.
Getreu einer internen Mail, die schon vor dem Wahlabend kursierte, wird derzeit von der Union kein garstig Wort mehr über die SPD oder Projekte geäußert, die die Genossen verärgern könnten. Von harten Maßnahmen zur Grenzschließung hatte Friedrich Merz (CDU) sich bereits am Montag verabschiedet. Am Dienstag wollte er nicht einmal einen Flieger mit 150 Asyl-Afghanen kommentieren, dessen Landung in Deutschland die Rest-Ampel wohlweislich für die Zeit nach der Bundestagswahl terminiert hatte. Er wolle die Dinge erst noch detailliert erklären und prüfen lassen, sagte Merz auf entsprechende Fragen vor der Fraktionssitzung.
Mit all dem nimmt Merz Rücksicht auf die schwierige Selbstfindung und Konsolidierung der SPD, die er für seine Regierung braucht. Nachdem SPD-Chef Lars Klingbeil sich kurz nach der Wahl auch den SPD-Fraktionsvorsitz gesichert hatte, soll nun das vernehmbare Murren an der Parteibasis der Genossen nicht durch Unhöflichkeiten der Union befeuert werden. Allgemein wird damit gerechnet, dass das aufgestockte „Sondervermögen“ auch Spielräume für soziale Lieblingsprojekte der SPD eröffnen soll.
Der starke Mann der SPD: Lars Klingbeil wird der neue Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokraten.
Seit Sonntag, 18 Uhr läuft in der Union die Operation Machtsicherung. Ihr wird alles untergeordnet. Das wird auch noch eine ganze Weile anhalten, heißt es hinter vorgehaltener Hand in der Fraktion. Solange Merz nicht im Kanzleramt sitzt, dürfte in Berlin-Mitte die Kreide knapp werden, die die Schwarzen fressen müssen, um die Roten ins Regierungsboot zu bekommen.
Am Dienstag wurde Merz erst einmal mit 201 von 205 Stimmen zum alten und neuen Fraktionschef von CDU und CSU gewählt. Die Machtmaschine Merz läuft langsam an.
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