Opioid-Krise: Pharma-Familie muss Milliarden-Entschädigung leisten

vor 3 Monaten

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Bildquelle: Tichys Einblick

Die häufigste vermeidbare Todesursache bei Amerikanern unter 50 Jahren sind Drogenüberdosen. Zwischen April 2020 und April 2021 starben über 100.000 Menschen innerhalb eines Jahres daran – das entspricht mehr als 270 Todesfällen pro Tag. Diese erschreckenden Zahlen sind das Resultat der sogenannten Opioid-Epidemie, die in den USA seit über zwei Jahrzehnten andauert. Verantwortlich dafür ist jedoch nicht in erster Linie ein unkontrollierter Schwarzmarkt oder illegale Drogendealer. Die Wurzeln des Problems liegen bei dem Pharmaunternehmen Purdue Pharma und der Sackler-Familie, die sich dahinter verbirgt.

Die Sacklers stammten ursprünglich aus einer polnischen Einwandererfamilie, die in die USA migrierte. 1952 übernahmen sie Purdue Pharma und machten sich bereits in den 1960er-Jahren durch die aggressive Vermarktung von Valium einen Namen. Anstatt Patienten direkt anzusprechen, richtete sich Arthur Sacklers Marketingstrategie gezielt an Ärzte. Er ging sogar so weit, eine eigene Fachzeitschrift, die Medical Tribune, zu gründen, um Valium zu promoten. Besonders bemerkenswert war sein Einfall, eine neue Krankheit namens „psychic tension“ zu erfinden – ein Vorläufer des modernen Begriffs Stress. Damit vermittelte die Kampagne geschickt den Eindruck, dass nahezu jeder einen Grund habe, Valium einzunehmen. Die hochgradig unmoralische Strategie erwies sich dennoch als erfolgreich. Arthur Sackler schaffte es, Valium zum ersten amerikanischen Medikament zu machen, das die Umsatzmarke von 100 Millionen Dollar überschritt.

1996 brachte Purdue Pharma schließlich ein neues Produkt auf den Markt: Oxycontin. Dieses Medikament wird später in die Geschichte eingehen – als Hauptauslöser der Opioid-Krise.

Das Medikament wurde ein Jahr zuvor unter fragwürdigen Umständen von der US-amerikanischen Food and Drug Administration (FDA) zugelassen. Curtis Wright, der als Abteilungsleiter bei der FDA für die Genehmigung von Oxycontin verantwortlich war, verließ die Behörde nur ein Jahr nach der Zulassung und wechselte zu Purdue Pharma. Dort wurde er mit einer Einstiegsbonuszahlung von 400.000 US-Dollar belohnt. Trotz der fast schon offensichtlichen Korruptionsaffäre wurde Wright niemals dafür zur Rechenschaft gezogen. Hätte Wright damals die Zulassung verweigert, hätten Hunderttausende Menschenleben gerettet werden können. Dieses Medikament hätte niemals auf den Markt gelangen dürfen.

Nachdem Purdue Pharma 1996 Oxycontin auf den Markt gebracht hatte, wurde das Medikament mit einer innovativen Rezeptur beworben, die das Suchtrisiko angeblich minimieren sollte. Die Tabletten waren angeblich so konzipiert, dass der Wirkstoff gleichmäßig im Blutkreislauf freigesetzt werden sollte, um Spitzenkonzentrationen zu vermeiden, die typischerweise zur Abhängigkeit führen. Diese Behauptungen stützte Purdue jedoch auf keine wissenschaftlichen Studien – es handelte sich lediglich um unbelegte Marketingaussagen.

Nach der Zulassung setzte der Konzern eine Armee von Pharmavertretern ein, die gezielt Ärzte aufsuchten, um das Medikament aggressiv zu vermarkten. Ähnlich wie bei der Vermarktung von Valium griff die Sackler-Familie erneut zu zweifelhaften und unethischen Methoden. Die Vertreter wurden angewiesen, Ärzten die falsche Behauptung zu präsentieren, das Suchtrisiko von Oxycontin liege bei weniger als einem Prozent. Ärzte wurden sogar dazu ermutigt, Oxycontin nicht nur bei schweren Schmerzen, sondern auch bei alltäglichen Beschwerden wie Kopfschmerzen oder Zahnschmerzen zu verschreiben. Dies führte dazu, dass das Medikament häufig dort eingesetzt wurde, wo mildere Schmerzmittel ausgereicht hätten oder gar keine notwendig gewesen wären.

Besonders alarmierend ist, dass Purdue ein jährliches Budget von neun Millionen Dollar für Einladungen zu Abendessen und andere „Anreize“ bereitstellte, um Ärzte zu bestechen und für die eigenen Interessen zu gewinnen. Dieses systematische Vorgehen diente einzig dem Ziel, den Absatz von Oxycontin um jeden Preis zu maximieren – ohne Rücksicht auf die verheerenden Folgen.

Die Opioid-Krise hat die USA folglich mit voller Wucht getroffen und eine Spur der Verwüstung hinterlassen. Millionen von Menschen wurden abhängig, und unzählige verloren ihr Leben durch Überdosierungen. Schon kurz nach der Einführung von Oxycontin begannen Konsumenten, das Medikament zu missbrauchen. Besonders in wirtschaftlich schwachen Regionen des nordöstlichen Amerikas, wie den ehemaligen Kohleabbaugebieten in West Virginia, stieg der Missbrauch rasant an.

Doch entgegen der Behauptungen von Purdue Pharma war der Missbrauch nicht der eigentliche Auslöser der Abhängigkeit. Vielmehr führte sogar die korrekte Einnahme des Medikaments nach ärztlicher Verordnung viele Patienten direkt in die Sucht. Die Epidemie breitete sich unaufhaltsam aus – von ländlichen Regionen bis in die Großstädte – und hinterließ verheerende Auswirkungen auf Familien und ganze Gemeinden. Die Dimension dieser Krise schildert Beth Macy eindrücklich in ihrer 2018 erschienenen Buchreportage Dopesick. Auch der Netflix-Film Pain Hustlers aus dem Jahr 2023 wirft einen schonungslosen Blick auf die Machenschaften der Pharmaindustrie und die Folgen der Geldgier im Pharmasektor.

Mehr als 100.000 Menschen starben allein an den direkten Folgen der Opioid-Krise, während die Gesamtzahl der Todesopfer durch Opiat-Abhängigkeit auf über 500.000 geschätzt wird.

Die Sackler-Familie wurde für ihr Handeln in der Opioid-Krise nie vollständig zur Rechenschaft gezogen. Zwar wurde Purdue Pharma im Jahr 2007 zusammen mit drei Managern zu einer Strafzahlung von 634,5 Millionen US-Dollar verurteilt, doch die direkten Konsequenzen für die Familie selbst blieben überschaubar. Erst 2019 wurden die rechtlichen Schritte gegen die Sacklers ausgeweitet: Massachusetts verklagte erstmals acht Mitglieder der Familie persönlich. Daraufhin reichten auch weitere US-Bundesstaaten Klage ein.

Wichtige Entwicklungen folgten, wie etwa die Auflösung von Purdue Pharma. Außerdem wurde die Sackler-Familie vom Opioid-Geschäft ausgeschlossen.

Trotzdem gelang es der Familie häufig, weitreichende persönliche Konsequenzen zu umgehen. Ein Insider kommentierte, die Sacklers spielten ihre Karten geschickt und seien „überzeugt, nichts Falsches getan zu haben.“ Ihr Vermögen, das laut Forbes-Schätzungen rund 13 Milliarden Dollar beträgt, ermöglichte es ihnen, die meisten juristischen Herausforderungen ohne größere Einbußen zu überstehen. Nach Jahrzehnten des Leids und zahlloser zerstörter Leben durch Oxycontin gibt es nun jedoch endlich größere Fortschritte.

Die Sackler-Familie hat sich mit 15 US-Bundesstaaten auf einen Vergleich in Höhe von 7,4 Milliarden US-Dollar (rund 7,1 Milliarden Euro) geeinigt. Die Generalstaatsanwältin von New York, Letitia James, erklärte, die Sackler-Familie habe „versucht, auf Kosten gefährdeter Patienten enorme Gewinne zu erzielen“ und trage eine maßgebliche Verantwortung für die Entstehung und Verbreitung der Opioid-Krise.

Die Summe wird in den nächsten 15 Jahren Gemeinden im ganzen Land zur Unterstützung von Programmen zur Behandlung, Prävention und Heilung von Opioidabhängigkeit bereitgestellt.

Die Opioid-Krise in den USA hat verheerende Spuren hinterlassen, und Millionen von Menschen fielen der Gier der Pharmafamilie Sackler zum Opfer. Die Sacklers nutzten skrupellose Marketingstrategien und unethische Praktiken, um mit Oxycontin Milliarden zu verdienen, während sie die zerstörerischen Folgen ignorierten.

Erst nach jahrzehntelangem Leid und unzähligen Todesfällen wurden sie zu finanziellen Entschädigungen verpflichtet. Dennoch bleibt fraglich, ob diese Zahlungen den immensen Schaden aufwiegen können. Die Sackler-Familie mag Verantwortung übernehmen müssen, doch die Narben, die sie in der Gesellschaft hinterlassen hat, werden noch lange sichtbar bleiben.

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